Freitagabend im Festsaal der Forstschule Lohr: Professor Dr. Karl Heinz Göttert aus Koblenz nahm seine rund 50 Zuhörer mit auf eine flotte Reise durch die deutschen Dialekte. Er ist Autor des Buches „Alles außer Hochdeutsch“ (2011, Ullsteinbuchverlag), Mediävist und Rhetorikforscher und lehrt an der Universität Köln Germanistik.
Hochdeutsch sei eine künstliche Sprache, sagte der 68-jährige Rheinländer. Man könne sie erlernen („ich selbst kann sie nicht“). Die Dialekte nannte er „eine natürliche Sprache“. Ihnen dürfe man kein Reinheitsgebot anordnen. Sie seien emotionale Heimat in unserer globalisierten Welt. Die Prognosen über das Aussterben der Dialekte erachtet er als falsch. „In Deutschland leben 82 Millionen Menschen; sie kann man nicht in einer Sprache festmachen.“
Trefflich passend zum Thema gab Berthold Wagner, Beiratsmitglied des veranstaltenden Kunst- und Kulturverein Lohr, Kostproben in der Mundart seines Heimatortes Frammersbach. Dieser besteht aus vier Ortsteilenden und hat vier Dialekte. Seit er „Kid“ (Kind) gewesen sei, nehme diese farbenfrohe Sprache ganz und gar Besitz von ihm, sagte Wagner. Er spreche sie heute noch mit ehemaligen Schulkameraden. Den Geistlichen tituliere man in Frammersbach seit jeher mit „Herr Parre“, die Frau sei „Fra“ oder „Weib“ genannt worden. Ein „Sie“ habe es nie gegeben. „Man sagte Ihr oder euch'.“
Der Ursprung der Dialekte geht laut Göttert ins fünfte Jahrhundert und auf die Besiedlung Deutschlands durch germanische Einzelstämme zurück. Vom Süden ausgehend habe sich in den darauf folgenden zwei Jahrhunderten eine konsequente Verschiebung der Konsonanten „p“, „t“ und „k“ nach „b“, „d“, „g“ im alemannischen, bayerischen und fränkischen Oberdeutsch ausgebreitet. Im Norden sei sie nicht durchgeführt worden.
Im 15. Jahrhundert kam es mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg zu dem Versuch, eine einheitliche süddeutsche Schriftsprache zu schaffen. Die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther basiert auf der sächsischen Schriftsprache. Sie wurde zur Grundlage der hochdeutschen Schriftsprache. Ihren Abschluss fand sie im 18. Jahrhundert. 1880 begründete der Philologe Konrad Duden mit seinem „vollständigen orthographischen Wörterbuch der deutschen Sprache“ die Einheitsrechtschreibung.
Georg Wenker (1852 - 1911) aus Düsseldorf, Sprachwissenschaftler und Leiter des Forschungsinstituts für Deutsche Sprache, stellte bis 1880 die nach ihm benannten 40 Wenkersätze zusammen, die er in rund 45 000 Briefen an Lehrer aus dem gesamten Deutschen Reich versandte und in die jeweilige Ortsmundart übertragen ließ. Die unterschiedlichen Artikulationen trug er auf Landkarten ein. Daraus entstanden ist der Deutsche Sprachatlas, der um den Wortatlas ergänzt wurde.
Anhand der Karten erläuterte Göttert die Laut- und Wortverschiebungsgrenze zwischen dem Oberdeutschen und Niederdeutschen. Im Süden zum Beispiel spricht man vom Samstag und benutzt den Präfix „-ig“, im Norden heißt er Sonnabend. Die Nachsilbe hier ist „-ich“. Der bayrische Dialekt belegt mit 37 Prozent Platz eins in der Beliebtheit, gefolgt von Norddeutsch/Platt mit 32 Prozent. Fränkisch (zehn Prozent) gehört laut Göttert zu den schwierigsten deutschen Mundarten. Am unbeliebtesten ist mit 50 Prozent die „Mutter“ der deutschen Hochsprache: Sächsisch.
Prominente Vertreter von Dialekten waren Karl der Große; er sprach fränkisch, Otto der Große sächselte. „Goethe hat Hochdeutsch in der Schriftform ganz gut beherrscht, mit dem Sprechen jedoch haperte es“, scherzte Göttert. Bei einer Einladung nach Weimar 1775 habe er sich mit 'Gede' vorgestellt. Beim entsetzlich schwäbelnden Dichter Schiller seien gar die Schauspieler geflohen, wenn er vorsprach.