Aus heutigen Konzertprogrammen ist der "Odenwälder Mozart" verschwunden. Nur wenigen Experten ist das originelle Werk von Joseph Martin Kraus (1756-1792) vertraut. Zeit für eine Wiederentdeckung vor allem hier in Unterfranken, meint der Homburger Pianist und Musikwissenschaftler Michael Günther.
Bei vier Gesprächskonzerten im Homburger Gebsattel-Schlosses stellte er deshalb drei Werke des Komponisten der Empfindsamkeit vor. Die Auswahl fiel zunächst auf ein Kuriosum aus den Göttinger Studienjahren des in Miltenberg geborenen Kraus. Bevor er 1778 Deutschland verließ, um schließlich am schwedischen Hof als Kapellmeister Karriere zu machen, tauchte anonym ein Einblattdruck "Zwei neue kuriose Minuetten, C-Dur/c-moll" auf, der dem hoch anerkannten Göttinger Musikforscher Johann Nikolaus Forkel (1749-1818) gewidmet war.
Kompositorische Ungereimtheiten
Als Günther die beiden Miniaturen auf einem Hammerflügel (um 1785) des Wieners Ferdinand Hofmann genüsslich interpretierte, fielen selbst dem musikalischen Laien unerklärliche kompositorische Ungereimtheiten auf. Schritt für Schritt entschlüsselte der Musikwissenschaftler eine spaßig-spöttische Kritik am enthusiastischen Bach-Bewunderer Forkel. Dass diese Ohrfeige saß, belegte ein Brief des Berliner Musiktheoretikers Johann Philipp Kirnberger (1721-1783), der jedoch andere Urheber hinter dem "dummen Wisch" vermutete.
Mehr und mehr sah Joseph Martin Kraus die übersteigert künstliche, spätbarocke Musikwelt als überlebt an. Er wandte sich einer empfindsamen Auffassung zu, in der die Begriffe "einfach, natürlich und herzbewegend" zu Schlüsselworten wurden.
An Klang von Jagdhörner orientiert
Auf einem um 1760 in Thüringen entstandenen Pantaleon erklang das "Thema mit Variationen C-Dur", das Kraus einer Schwester widmete. Hintergrund dieses vielfältigen Klavierwerkes, das sich an den Naturklängen von Jagdhörnern orientiert, ist die Einladung zu einem musikalischen Waldspaziergang. Günther nutzte dazu bewusst die lange nachschwingenden Töne des ungedämpften Tasteninstruments und die besondere Klangqualität einiger Registerzüge.
Zurück am Hammerflügel ging es mit der "Sonata E-Dur" um ein ausgereiftes Meisterwerk, das den Vergleich zu den Größen jener Zeit nicht scheuen muss. Günther demonstrierte virtuos die absolut überragende Originalität der drei Sätze: Vivace - Adagio – Andantino con Variazoni.
Freundschaft mit Henri-Joseph Rigel
Einen Höhepunkt der Empfindsamkeit sah er dabei im Zweiten Satz, der die Begegnung von Kraus mit dem in Wertheim gebürtigen Henri-Joseph Rigel (1741-1799) spiegelt. Die beiden Komponisten waren sich Mitte der 1780er Jahre in Paris begegnet und hatten sich wohl angefreundet, was sich zu Beginn des Adagio und an dessen Ende dann mit fühlbarem Abschiedsschmerz motivisch Bahn bricht. Der variationsreiche Dritte Satz, der Günthers Fingerfertigkeiten vollends forderte, verweist mit einem ganz anderen lebhaften Motiv auf die Kraus-Oper "Æneas i Carthago", die 1799 in Stockholm aufgeführt wurde.
Der konzertante Klaviervortrag, ergänzt um profunde musikwissenschaftliche Erkenntnisse, fand bei den Zuhörerinnen und Zuhörern großen Anklang. Gerne nutzte man die Gelegenheit, bei einem Gläschen "Homburger Schlosswein" die Gesprächskonzerte ein wenig nachklingen zu lassen.