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KARSCHT
Sack Zement: Von Briefmarken und Benediktinern
Von GÜNTER ROTH red.karlstadt@mainpost.de
 |  aktualisiert: 13.03.2015 17:43 Uhr

Das Schwedenmännle auf dem Karschter Rathaus traute am vergangenen Samstag seinen Augen kaum. Kurz bevor es zur Mittagszeit die Trompete an die hölzernen Lippen setzen und sein „Vom Barette schwankt die Feder“ schmettern wollte, rotteten sich unter ihm auf dem Marktplatz plötzlich so mir nichts dir nichts wildfremde Leute zusammen. Die fehlenden Plakate, Transparente und Trillerpfeifen wiesen darauf hin, dass es keine Demonstranten waren. Stattdessen hatten die Menschen am Boden Bücher dabei und verhielten sich ganz, ganz still. Das Schwedenmännle betrachtete die Szene mit höchster Verwunderung.

Flashmob nennt man das, was die da unten machten. Weil gewiss viele unserer Leserinnen und Leser mit diesem englischen Begriff nichts anzufangen wissen, versuchen wir es mal mit einer wörtlichen Übersetzung ins Deutsche: „Blitzpöbel“. Hm, das hilft wohl kaum weiter! Also werfen wir einen Blick ins Lexikon: Dort steht, ein Flashmob sei ein „scheinbar spontaner Menschenauflauf in der Öffentlichkeit, bei dem sich die Teilnehmer persönlich nicht näher kennen und ungewöhnliche Dinge tun“.

Gekannt haben sich bei der Aktion in Karscht freilich einige – aber das Wort „ungewöhnlich“ trifft es ganz gut, was da am Samstag abging. Alle Leute hatten je ein Buch dabei, in dem sie vier Minuten lesen wollten. Wer seine beiden aufgeschlagenen Seiten schneller durch hatte, konnte nicht etwa umblättern – nein, das war verboten. Denn die Ansage war, dass sich keiner der Leser auf dem Marktplatz in der vorgegebenen Zeit auch nur einen Millimeter bewegen durfte. Vier Minuten hätte das auch das Schwedenmännle ausgehalten – schon allein deshalb, weil es gar nicht lesen kann.

Nun gilt folgender Grundsatz: „Sage mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist!“ Welche Schmöker hatten die Leute denn so dabei? Zum Beispiel der Büttners Schorsch? Klar, als Kreisheimatpfleger ein Büchlein über „Ostern in Franken“. Eine Tierfreundin schaute sich „Hundebabys zum Liebhaben“ an, eine angehende Rentnerin las aus dem Buch „Nein, ich will keinen Seniorenteller!“ und die ehemalige Karlstadter Lesezarin Anneheide Ehehalt glänzte mit großer Literatur: „Das Geisterhaus“ von Isabel Allende.

Unser Bürgermeister Paul Kruck hatte ein Buch von Pater Anselm Grün dabei: „Gelassenheit – das Glück des Älterwerdens“. Was muss uns das sagen? Wird der Paul etwa alt? Seinen 60. Geburtstag hat er ja neulich gefeiert – aber seit er sich von seiner Schnurre getrennt hat, sieht er wieder aus wie 50. Gut, sagen wir 55. Aber auf jeden Fall könnte er ob seines Äußeren doch eigentlich auch ohne die Hilfe eines Benediktiners recht gelassen sein.

Beim nächsten Flashmob wollen sich angeblich weitere Prominente beteiligen. Der Sparkassenchef Peter Schmitt wird in seinem Sparbuch schmökern – viele andere würden ihres in zehn Sekunden gelesen haben. Die Arnsteiner Bürgermeisterin Anna Stolz stöbert in den Geheimprotokollen um den Verkauf von Gut Erlasee. Den Vogel aber schießt wieder einmal Werner Hofmann ab: Er bringt eine seiner Briefmarken mit.

 
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