Italienern wird seit jeher eine gewisse Freude an ausgiebigen und lauten Gesprächen nachgesagt. Zu ihrer Ehrenrettung muss jetzt doch einmal in aller Deutlichkeit betont werden: Das stimmt so nicht. Italiener reden nur viel und lautstark, wenn la famiglia beisammen ist, was in gut funktionierenden Sozialgefügen höchstens in 80 Prozent der Zeit zutrifft. Und natürlich, wenn ich einen Mittagsschlaf machen möchte. So wie bei meinem letzten Campingurlaub an Ostern.
Nach einem ausgiebigen Ostermahl zog ich mich in die Geborgenheit meines Wohnwagens zurück, um Geist und Magen die Gelegenheit zu geben, das eben Genossene in aller Ruhe zu verdauen. Die freundliche italienische Familie im Wohnmobil nebenan war nicht anwesend, das machte Hoffnung auf eine gemütliche Siesta. Was ich allerdings völlig übersehen hatte, waren die fünf Tische anstelle des bisherigen einen, und plötzlich fanden sich gefühlte 50 Azzurri direkt an meinem Schlaffenster zu einer spontanen Familienfeier ein.
Ciao bella, come stai Alonso, allo bambini – man hörte die Bussi-Bussis förmlich schmatzend herumschwirren. Auch der kleine Matteo wurde von Tante Elettra trotz heftigstem Widerstand mit hörbarer Liebe bedacht. Dafür bekam er offensichtlich von ihr ein Flugzeug geschenkt, denn fortan rannte der Zwerg nur noch „volare, volare“ schreiend auf und ab. Inzwischen redeten die Anwesenden wild durcheinander und begrüßten hocherfreut 100 Neuankömmlinge, während der Nachwuchspilot jedem aufgeregt sein „volare, volare“ zeigte.
Mittlerweile drehten sich die Gespräche im Kreis, besser gesagt, jeder redete einfach, und keiner hörte dem anderen zu. Obwohl ich kein Wort verstehen konnte, weil mein Italienisch nun wirklich nicht so toll ist, muss es so gewesen sein. Auch Tante Elettras Bericht, ihr Sohn aus zweiter Ehe habe endlich nach einer Reihe von Aushilfsjobs bei der Mafia eine Anstellung in der Bezirksregierung gefunden, fand nur wenig Beachtung. Bestenfalls hob man das Prosecco-Glas für ein „Salute“ oder „Skol“ – es musste wohl ein Schwede versehentlich dazwischen geraten sein. Warum zum Teufel geht keiner von der Bande mit der kleinen Blage Matteo an den Strand, um dort sein Volare auszuprobieren!? Sonst ist hier bald Matthäus am Letzten!
Strand!? Ja das ist die Lösung, wenn alle Italiener Pasqua zwischen den Wohnmobilen feiern, ist dort Ruhe, Schlaf! Erschöpft falle ich in den Sand und schließe entspannt die Augen für zwei Minuten. Der Ball am Kopf trifft ja schon heftig, aber die Aufforderung der Halbstarken, ihr Volleyball-Feld freizugeben noch mehr. Außerdem, woher kommt auf einmal die Musik-Box mit dem ewig stampfenden Techno, den die Milchbärte durch lautes Schreien zu übertönen versuchen?
Resigniert packe ich meine Siebensachen zusammen, um mich irgendwo zu verkriechen. Am Wohnwagen ist die Levantiner-Schar noch fröhlich am Feiern. „Ciao amico tedesco“, ruft mein südländischer Nachbar, „warume so traurige? Oggi iste doche Pasqua – eine Feste dere Freude! Andiamo, trinke mite unse eine Glasse Lambrusco!“
Also, das Volare des kleinen Matteo ist ja schon ein tolles Spielzeug und Rotwein mit selbstbemachter Bruschetta vertreibt alle Ostertrübsal. Übrigens: Der Sohn von Tante Elettra war nicht bei der Mafia, sondern bei der Vatikanbank – und das ist ja schließlich etwas ganz anderes.