Einen faszinierenden Einblick in sein abenteuerliches Leben gab Rüdiger Nehberg am Freitagabend den rund 450 Besuchern seines Vortrags in der Stadthalle. Der Überlebensexperte und Menschenrechtsaktivist unternahm seine Expeditionen anfangs aus reiner Abenteuerlust. Später nutzte er sie, um auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen.
Einsatz für die Yanonami-Indianer Zu den wichtigsten Projekten seines Lebenswerks zählt sein Engagement für das südamerikanische Volk der Yanomami-Indianer und sein Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung.
Nehberg, der in wenigen Wochen 82 wird, sieht man sein Alter nicht an. Der Mann, der da auf der Stadthallenbühne steht und im Plauderton aus seinem äußerst ungewöhnlichen Leben erzählt, wirkt energiegeladen. Und Nehberg ist der lebende Beweis, dass man ernste Anliegen verfolgen und trotzdem über einen unglaublichen, teilweise auch schwarzen, Humor verfügen kann. Gelacht wurde häufig während seines Vortrags.
Als Dreijähriger ausgerückt
Seine erste Expedition startete Nehberg im zarten Alter von drei Jahren; damals wollte er zu seiner Oma, die am anderen Ende der Heimatstadt Bielefeld wohnte. Mit 16 begann er Radtouren um die halbe Welt zu machen. Von 1965 bis 1990 führte er in Hamburg eine Konditorei mit bis zu 50 Mitarbeitern. Er warb mit einem für seinen Humor typischen Slogan: „Konditorei Nehberg – es gibt schlechtere“.
Zu einer Mumie geschrumpelt
Anfangs, so erzählt Nehberg, war er bei seinen Reisen in alle Welt auf Straßen unterwegs. Dann habe er in den 1960er Jahren von Survival gehört und angefangen, sich abzuhärten, beispielsweise durch Baden in eiskaltem Wasser oder dem Essen von Insekten. Mit 40 hätten ihn alle locker auf 240 geschätzt, unkt Nehberg, weil er durch seinen Lebensstil „zu einer Mumie geschrumpelt war“.
Viele Jahre lang setzte sich Nehberg für das Indianervolk der Yanomami ein, dessen Lebensraum durch Goldsucher bedroht war. Da die Yanomami schlechte Erfahrungen mit Weißen gemacht hatten, musste sich Nehberg erst einmal überlegen, wie er mit ihnen in Kontakt kommen konnte. Er entschied sich dafür, nur mit Sandalen und Badehose bekleidet durch den Urwald zu streifen und alle 15 Minuten ein Lied auf seiner Mundharmonika zu spielen. Dadurch wollte er die Indianer anlocken und positiv stimmen.
Nicht schießen, ich bin ein Freund
Nach einer Woche seien plötzlich drei Indianer vor ihm gestanden, und er habe den einzigen Satz, den er in ihrer Sprache gelernt hatte, gesprochen: „Nicht schießen, ich bin ein Freund“.
Bei den Yamomami erlebte Nehberg eine „komplett andere Welt“. Eine Welt ohne Überbevölkerung und ohne Hektik. Aber man dürfe sich nichts vormachen; es sei keine Welt der edlen Wilden. Durch fehlende Privatsphäre komme es häufig zu Streit und alle seien „sehr nikotinabhängig“.
Arme Teufel
Laut Nehberg gab es zu den Hochzeiten des Goldrauschs im venezolanisch-brasilianischen Grenzgebiet 65 000 bewaffnete Goldsucher, gegen die die Indianer mit ihren Pfeilen keine Chancen hatten. Allerdings habe er irgendwann feststellen müssen, dass es sich bei den Goldsuchern meist um „arme Teufel“ gehandelt habe, die „reingelockt“ worden waren.
Nehberg veranstaltete viele spektakuläre Aktionen zu Lande und zu Wasser, um die Öffentlichkeit auf die Situation der Yanomami aufmerksam zu machen. Er war mehrfach mit wechselnden Partnern bei ihnen und wegen ihnen auch beim Papst und bei der Weltbank. Vor allem durch Filme sei es gelungen, viele Unterstützer für die Interessen der Yanomami zu mobilisieren. Nach einer fast 20-jährigen Intervention hätten die Indianer im Jahr 2000 schließlich einen „akzeptablen Frieden“ erhalten.
Todbringende Verstümmelung
Seitdem widmet sich Nehberg dem Kampf gegen die äußerst schmerzhafte und in rund jedem dritten Fall todbringende Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane. Auslöser sei das Buch „Wüstenblume“ von Waris Dirie gewesen. Als er darin gelesen habe, dass täglich 8000 Mädchen verstümmelt würden und dies meist mit dem Koran begründet werde, sei er geschockt gewesen. Seine Frau Annette und er hätten sofort die Idee gehabt, dieses Verbrechen zu beenden.
Allerdings hätten sie in Deutschland keine Partner gefunden, es habe geheißen, der Islam sei nicht dialogfähig. Also gründeten Annette und Rüdiger Nehberg ihren eigenen Verein „Target“ (Ziel). Erste Erfolge haben sie durch zähe Aufklärung erreicht: Das Nomadenvolk der Afar in Äthiopien habe den Brauch verboten und der höchste Jurist der Sunniten, der Großmufti von Ägypten, habe die seit 5000 Jahren praktizierte Verstümmelung weiblicher Genitalien zu einem strafbaren Verbrechen erklärt, das höchste Werte des Islam verletze.
Nach wie vor ein Tabu-Thema
Leider habe sich dieses Bekenntnis der von 120 sunnitischen Gelehrten unterzeichneten Azhar-Fatwa nicht herumgesprochen, bedauert Nehberg, denn das Thema sei tabu. Zwar seien die Verstümmelungen mittlerweile rückläufig, „aber viel langsamer, als wir erhofft hatten“.
Da Geduld nicht seine größte Stärke sei, arbeite er derzeit an der Verwirklichung seiner größten Vision: der Verkündung der Azhar-Fatwa in Mekka, wo in der Hauptpilgerzeit seinen Worten nach vier Millionen Menschen zusammenkommen.
Der lange Weg zum saudischen König
Doch dies bedürfe der Zustimmung des saudischen Königs, der als einziger Mensch „durch Allahs Gnade“ in diese einzigartige Position bestimmt worden sei. Bislang sei er – trotz hochrangiger Empfehlungen – leider noch nicht an den saudischen König herangekommen, räumte Nehberg ein; aber er werde nicht eher Ruhe geben, bis er es geschafft habe. Bei Nehberg klingt das so: „Ich lege den Löffel vorher nicht aus der Hand.“
Der Veranstalter des Nehberg-Vortrags, die Lohrer Weltenbummlerfamilie Zagel, überreichte Nehberg am Ende des Abends für den Verein Target eine Spende von 200 Euro.