Wo im 16. Jahrhundert in den großen Gewölbekellern der Ruine Schönrain Nahrungsmittel und Wein lagerten, tummeln sich heute Fledermäuse – unterschiedlicher und seltener Art. Eigentlich schwärmen die Tiere nur in der warmen Jahreszeit weit aus. Die Ritzen der Natursteinmauern des Gewölbes benutzen sie als Winterquartier.
In Gemünden und Umgebung gibt es mehrere Refugien, die dem Großen Mausohr oder dem Braunen Langohr zum Überwintern dienen, wie Jürgen Lang, Vorsitzender der Ortsgruppe Gemünden/Sinngrund im Bund Naturschutz, informiert. Das sind unter anderem der so genannte Kusterer-Keller in der Bahnhofstraße, der Scherenburgturm und einige Naturhöhlen.
Diplombiologe Matthias Hammer von der Universität Erlangen kennt die Fledermauspopulation in Gemünden und Umgebung ganz genau, weil er sie in regelmäßigen Abständen im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Umwelt überprüft und wissenschaftlich dokumentiert. Über die jüngste Zählung im Schönrain-Keller zeigt er sich sehr erfreut. Es war eines der besten Ergebnisse, die dort je aufgezeichnet wurden: 24 Mopsfledermäuse, elf Große Maus-ohren, sieben Fransenfledermäuse, drei Bartfledermäuse, zwei Braune Langohren, eine Bechsteinfledermaus und drei nicht zuzuordnende Fledermäuse wurden registriert.
Gerade wegen der Vielfalt ihrer Bewohner sind die historischen Gewölbe nicht nur durch massive Eisengitter gesichert, sie sind auch durch das bayerische und deutsche Naturschutzgesetz geschützt und stehen außerdem unter dem Schutz der Europäischen Gemeinschaft.
Mosaikstein der Artenvielfalt
„Sie sind somit ein Mosaikstein, der die Artenvielfalt des Kontinents erhalten soll“, sagt der Experte Matthias Hammer. Die Ruine Schönrain ist nach seiner Auskunft ideal, weil die Keller lange kühl bleiben. Die elegant fliegenden Gäste wachen nämlich erst dann aus der Winterruhe auf, wenn es wirklich genug Nahrung für sie gibt. Wird ein Winterquartier zu schnell warm, kann ein Kälteeinbruch tödlich sein.
Jürgen Lang war bei Hammers Zählung dabei und zeigt sich ebenfalls überaus angetan vom „hervorragenden Resultat“. „Das ist nicht selbstverständlich, da die Anforderungen der nachtaktiven Säugetiere an ihre Umgebung sehr anspruchsvoll und unterschiedlich sind“, erklärt Lang. Eine Mopsfledermaus – diese Art ist in Bayern wenig verbreitet – könne man beispielsweise kaum wahrnehmen, trotzdem sei sie sehr erfolgreich bei der Jagd nach Insekten.
Wasserfledermaus im Sinntal
Alle Fledermausarten sind Kulturfolger und passen sich den regionalen Gegebenheiten an, wie auch die Wasserfledermäuse im Sinn- und Saaletal. Fantastisch an den nachtaktiven Tieren ist laut Lang das Echo-Ortungssystem, das auf Ultraschall-Rufen und -Empfang basiert. Die ständig ausgesandten hohen Töne, die den Blindflug ermöglichen, kann das menschliche Ohr nicht aufnehmen. Fledermäuse aber können damit auf kurzer Distanz, etwa in ein bis eineinhalb Meter Entfernung, kaum millimetergroße Hindernisse orten. Insekten reflektieren den Schall ebenfalls und werden im Flug gefangen. Der Bund Naturschutz Gemünden verfügt über Detektoren, die die Schallwellen für das menschliche Ohr wahrnehmbar machen. Bei Exkursionen an Sommerabenden informiert Jürgen Lang immer wieder über die Besonderheiten der kleinen „Nachtschwärmer“, die sich in ihrem mitunter bis zu 20 und mehr Jahre dauernden Erdendasein sehr sozial verhalten.
Das Leben verschlafen
Viel Zeit ihres Lebens verbringen sie im Winterschlaf, bei dem sich Herzfrequenz und Körpertemperatur absenken. Zwischen zwei und acht Grad Celsius sei die richtige Überwinterungstemperatur. „Was sie nicht gebrauchen können, sind warme Heizungskeller“, ergänzt Lang. Daher appelliert er an die Besitzer alter Keller und sonstiger geeigneter ungeheizter Bauwerke, für die interessanten Tiere eine ungefähr 20 oder 30 Zentimeter große Einflugtüre offen zu halten.
„Die Fledermäuse beschädigen nichts und gehen auch nicht an das in der Ecke liegende Mostfass“, versichert Matthias Hammer. Zum Dank helfen sie mit ihrem unstillbaren Hunger – ein Tier vertilgt bis zu 3000 Insekten in einer Nacht – die Fliegen- und Schnakenplage im Sommer auf ganz natürliche Weise einzudämmen.