Nur knapp zwei Wochen stand das Gerüst im nördlichen Seitenschiff der Lohrer Stadtpfarrkirche St. Michael. Im Gottesdienst am Sonntag konnte Pfarrer Sven Johannsen den restaurierten Rokoko-Kreuzaltar wieder einweihen. Er bedankte sich im Namen der Pfarrgemeinde vor allem bei dem ungenannten Sponsor, der diesen „Vorgeschmack“ auf die 2014 geplante Restaurierung der Kirche finanziert hatte. „Wir hätten uns das nicht leisten können“, meinte er.
Der Restaurator Georg Pracher (Würzburg) erläuterte die Arbeiten: Es seien vor allem die Rußschichten gewesen, die durch den Kerzenrauch entstanden waren und besonders das eindrucksvolle Altargemälde so stark verdunkelt hatten, dass die Darstellung nur noch schemenhaft zu erahnen war. Auch die Vergoldung hatte durch den Ruß stark gelitten.
Unter der jetzigen grauen Marmorierung des Altars wurde eine frühere Fassung in einem eher grünlichen Farbton entdeckt. Viele kleine abgeplatzte Stellen mussten repariert werden.
Bei der Reinigung und Restaurierung des Gemäldes hatte sich bestätigt, was schon frühere Untersuchungen vermuten ließen: Es war ursprünglich größer und wurde beschnitten, um es in den Altar einzupassen. Es zeigte sich auch, dass das ursprüngliche Bild bei Ausbesserungen im Lauf der Zeit mehrfach übermalt wurde – „nicht immer ganz perfekt“, wie Pracher meinte. Da man aber über die Qualität und den Zustand tieferer Malschichten zu wenig weiß, ging der Restaurator nicht das Risiko ein, die Übermalungen zu entfernen. Das Bild wird also einige Geheimnisse für sich behalten.
Der Rokoko-Altar ist ein Werk des Karlstadter Bildhauers Anton Herwith. Er fertigte 1756 die Mensa (Altartisch) und das Altarblatt. Die ursprüngliche farbliche Fassung besorgte Michael Seitz aus Lohr. Herwith hat auch eine Reihe anderer Kirchen im Raum des heutigen Landkreises Main-Spessart ausgestattet.
Das Altarblatt bekrönt das Lamm Gottes unter einem geschnitzten Baldachin.
Das Antependium, die Holzverkleidung an der Vorderseite des Altartischs, lässt sich öffnen. Das geschieht jedes Jahr, am Karfreitag und Karsamstag. Dann ist darin die fast lebensgroße hölzerne Statue Christi zu sehen, der im Grab liegt, und zu seinen Füßen ein Engel. Diese Gruppe trägt die Jahreszahl 1926 und das Monogramm des Würzburger Bildhauers Josef Gerngras (1894 – 1959), der 1925 auch das große hölzerne Kruzifix vor dem südlichen Seitenschiff der Kirche geschaffen hat.
Das Altarbild zeigt Christus am Kreuz, dazu Maria, den Evangelisten Johannes und die kauernde Maria Magdalena. Es passt damit zwar thematisch zu dem Altar, aber stilistisch nicht in die Zeit des Rokoko. Das Bild des Gekreuzigten ist unverkennbar beeinflusst vom Isenheimer Altar des Mathis Nithart, besser bekannt als „Matthias Grünewald“, geboren um 1460/70 in Würzburg, gestorben am 31. 8. 1528 in Halle. Rechts und links oben sind die verdunkelte Sonne und der Mond leider durch die Verzierungen des Rahmens verdeckt, ebenso der Totenkopf zu Füßen des Gekreuzigten. Seitlich von dem Bild halten zwei Engelsskulpturen in Weiß und Gold das Ysoprohr mit dem Essigschwamm und die Lanze. Neben dem Kreuz sind sie die wichtigsten Werkzeuge des Leidens Christi, nach seiner Auferstehung Zeichen des Sieges über den Tod.
Bei einer Restaurierung um 1888 war das Altarbild durch ein neues ersetzt und als „wertlos“ dem restaurierenden Vergoldermeister überlassen worden. Von ihm hatte es der aus Lohr stammende Prälat Martin Hettiger erworben. Als er 1909 Pfarrer im Juliusspital wurde, brachte er es nach Würzburg. Das berichtete am 3. Juni 1937 Dr. Anton Ott in einem Artikel in der „Lohrer Zeitung“.
Weiter schrieb er: „Durch die Hochherzigkeit des Besitzers kommt es wieder an seinen ursprünglichen Platz in der Pfarrkirche zu Lohr. Das auf Leinwand gemalte und sicher stark übermalte Werk hat eine Größe von 1,80 Meter Höhe und 1,40 Meter Breite. Durch den Barockrahmen ist jedenfalls das ursprüngliche Format verkleinert worden. Das Bild stellt den Gekreuzigten in echt Grünewaldscher Leidensgewalt dar mit Maria, Johannes und Magdalene. Die Beifiguren tragen stark barocken Charakter. Das Ganze scheint ein Zwischenglied zu den bekannten Kreuzigungsgruppen des Meisters zu sein. Ob es sich um ein Original oder eine Kopie handelt, kann erst durch eine eingehende Untersuchung festgestellt werden.“
Es dauerte jedoch noch bis in die Nachkriegszeit, bis das Bild an seinen angestammten Platz zurückkehrte. Ältere Lohrer erinnern sich noch, dass in ihrer Jugend die Stelle des Altarbildes durch eine abstrakte Komposition dunkler Farben ausgefüllt war. Vor diesem dunklen Hintergrund stand alljährlich während der Kartage ein schlichtes, braun gestrichenes Holzkreuz, mit einem weißen Leinentuch drapiert.
Der künstlerische Wert des Gemäldes ist inzwischen unbestritten. Es könnte von einem älteren in den 1756 errichteten neuen Altar übernommen worden sein. Ein Heilig-Kreuz-Altar in der Kirche wird schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts erwähnt. Einen Altaristen des Heiligen Kreuzes, also einen Priester, der eigens dafür bezahlt wurde, dass er an bestimmten Tagen an diesem Altar die Messe hielt, gab es nachweislich sogar schon 1414.