
Pfarrer Sven Johannsen hinterließ in seiner Predigt über das Verhältnis von Stadt und Kirche so etwas wie ein Vermächtnis: Gläubige seien keine elitäre Sekte, sondern müssten den Dienst am Nächsten immer wieder in den Mittelpunkt rücken.
Die Prozession geht auf das Jahr 1666 zurück, als sich die Pest entlang von Rhein und Main auf Lohr zu ausbreitete, das im 30-jährigen Krieg von dieser Krankheit entvölkert worden war. In ihrer Angst gelobten die Lohrer, bei einer Verschonung jedes Jahr am 16. August zur Valentinuskapelle zu ziehen, die neben dem Namensgeber auch Rochus und Sebastian gewidmet ist. Die Pest stoppte bei Hanau.
Rund 130 Lohrerinnen und Lohrer beteiligten sich in diesem Jahr an der Prozession, etwas mehr als im Vorjahr. Allerdings lassen sich viele ältere Menschen mittlerweile mit dem Auto zur Valentinuskapelle bringen. Der Prozession wurde die schwarze Pestfahne mit der Mahnung "Homo memento mori" (Mensch, gedenke des Todes) vorangetragen.
Vergleich mit Don Camillo
Pfarrer Sven Johannsen, der bis zu seiner Amtseinführung in Würzburg in Lohr noch aushilft, räumte ein, man habe ihn in seinen 16 Jahren in Lohr manchmal mit Don Camillo verglichen, etwa bei Disputen mit der Stadt wegen der Sanierung des Wombacher Kirchturms. Der Vergleich spiegele die zunehmende Diskrepanz zwischen Kirche und Kommunen wieder.
Dahinter müsse man keine Streitigkeiten vermuten, die Schnittmengen würden einfach kleiner. Im Lohr des 17. Jahrhunderts seien Kirche und Politik eins gewesen, zumal mit dem Mainzer Erzbischof als Landesherrn. Heute gebe es Religionsfreiheit, aber keine völlige Ausblendung von Religion im öffentlichen Bereich, so Johannsen.
Die Menschen verschiedenen Glaubens lebten miteinander, schienen oft aber nur wenig miteinander zu tun zu haben. Doch der Prophet Jeremia mahne: "Bemüht euch um das Wohl der Stadt, ..., denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl." Johannsen erinnerte daran, dass das Gelöbnis für die Prozession nicht von einem Pfarrer geleistet wurde, sondern von Vertretern der Stadt.
Der Rochustag sei somit eine weltliche Initiative – und für viele Lohrer eine Herzensverpflichung. Nicht wenige kämen in ihre Heimatstadt zurück, um die Prozession zu begleiten. Er nehme das Verpflichtungsgefühl in Lohr für die Rochus-Prozession so stark wahr wie am Karfreitag. Die Geschichte der Stadt, ihre Traditionen und ihr Selbstbewusstsein seien geprägt von Religion.
Keine elitäre Sekte
Die Stadt mit ihren Behörden und Gremien sei für alle Menschen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit da, betonte der Pfarrer. Christen hätten keinen Anspruch auf Bevorzugung, aber das Recht auf Unterstützung und Anerkennung ihres Beitrags zum Leben der Stadt. Glaubende Menschen seien keine elitäre Sekte hinter verschlossenen Kirchenmauern, sondern lebten mitten unter den anderen.
Sie engagierten sich vielfältig, denn Christsein könne kein Anliegen der privaten Frömmigkeit sein. Nicht alle sozial engagierte Menschen seien Christen, aber es ist nach Johannsens Worten nicht zu übersehen, dass viele, die sich helfend einbringen, dies aus einer christlichen Motivation täten. Trotz Nachwuchsproblemen müsse der Dienst am Nächsten immer wieder ins Zentrum gerückt werden.
Gerade der Blick auf den heiligen Rochus, der jedem zu Hilfe geeilt sei, mache aus der "städtischen" Prozession ein Glaubensanliegen. Es sei ein guter Platz für die Kirche in einer Stadt, wenn Stürme über sie hereinbrächen, einander zu helfen und beizustehen. Die Kirche allein rette niemanden, aber sie könne ihren Beitrag leisten.
Johannsen betonte den Dienst an der Hoffnung: Die Kirche könne wie hier in Lohr Jahr für Jahr ein Gebet der Hoffnung für die Stadt hinauf zum Himmel senden. Er wünsche Lohr, dass die Tradition des Rochustages noch vielen Generationen von Menschen ein solches Hoffnungszeichen sei und Mut mache, an das Gute zu glauben.
Die Tradition hat sich Lohr eingeprägt. Manche Lohrer Geschäftsleute lassen am 16. August auch heute noch ihren Laden vormittags geschlossen. Und in einigen Gaststätten gibt es an diesem Tag als typisches Gericht Beizfleisch mit Leberknödeln und Sauerkraut.