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Gemünden
Richterin kritisiert milde Urteile von Kollegen: Zu lange mit Angeklagtem "gekuschelt"
Ein 20-Jähriger wurde immer wieder straffällig. Zuletzt wollte er einen Bekannten am Bahnhof abziehen. Doch der schaltete die Polizei ein. Jetzt gab es einen Schuss vor den Bug.
Das Amtsgericht Gemünden.
Foto: Benjamin Brückner | Das Amtsgericht Gemünden.
Herbert Hausmann
 |  aktualisiert: 22.10.2024 02:43 Uhr

Deutliche Worte fand Jugendrichterin Kristina Heiduck bei der Verhandlung in Gemünden gegen einen 20-Jährigen, der trotz seiner Jugend schon elf Eintragungen im Bundeszentralregister hat. "Man hat zu lange mit Ihnen gekuschelt" und "wenn es mit ihnen so weiter geht, führt sie ihr Weg unweigerlich ins Gefängnis". Ihre Kritik richtete sich nicht nur gegen ihn sondern auch gegen die Justiz, die zu lange zu milde Urteile gefällt habe. "Sie haben dann nach jeder Straftat immer wieder eine Schippe drauf gelegt", so die Richterin.

Insgesamt sechs Mal hatte der 20-Jährige in den vergangenen Jahren vor einem Gericht gestanden. Dabei kam es aber nur in drei Verhandlungen zu einer Verurteilung. In den anderen Urteilen wurden die Verfahren niedergeschlagen. Doch nun hatte der junge Mann den Bogen deutlich überspannt und musste sich wegen versuchter räuberischer Erpressung und Bedrohung vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Gemünden verantworten.

Angeklagter wollte am Bahnhof 19-Jährigen abziehen

Den Grund dafür lieferte der Angeklagte am 28. Februar 2024. Nach der Fahrt mit dem Zug von Würzburg zum seinem Wohnort traf er am Bahnsteig auf einen "alten" Bekannten, ein 19-Jährigen, mit dem er vor einiger Zeit eine Auseinandersetzung hatte. Der ehemals drogenabhängige junge Mann telefonierte mit seiner 18-jährigen Freundin, als ihn der 20-Jährige zur Rede stellte. Er forderte sein Gegenüber auf, ihm den Geldbeutel auszuhändigen. Aus diesem wollte er die EC-Karte sowie die PIN. Allerdings gelang es dem Angesprochenen, die Karte hinter anderen Papieren zu verstecken, worauf ihn der Angeklagte aufforderte, ihm am Abend am Bahnhof 200 Euro auszuhändigen. Als Pfand wollte er bis dahin dessen Handy, sah aber dann doch von der Herausgabe des Telefons ab.

Seine Forderung untermauerte er noch mit der Drohung: "Ich komm mit einer Waffe und knall dich ab." Weiterhin drohte er, den 19-Jährigen in den Kofferraum seines Pkw zu stecken und mitzunehmen. Als Grund dafür erinnerte er sein Opfer an dessen Aktion einige Monate zuvor. Da hatte der Jüngere die Polizei gerufen, weil der Angeklagte angeblich ihn mit einer Pistole bedroht hat. "Wie willst du das wieder gutmachen, da du beim letzten Mal die Polizei gerufen hast?"

Opfer schaltete die Polizei ein

Doch anstatt die 200 Euro zu besorgen, informierte der Bedrohte die Polizei. Die Beamten versprachen, bei der ausgemachten Geldübergabe zugegen zu sein. Gleichzeitig verwickelte der 19-Jährige seinen Peiniger in eine Chatunterhaltung. Hier wollte er den jungen Mann zu Aussagen bringen, die die Polizei anschließend auswerten kann. Dieser Nachrichtenverlauf lag den Gerichtsunterlagen in ausgedruckter Form vor. Jedoch hatte der 20-Jährige die vermutlich verfänglichsten Äußerungen gelöscht. Die verbliebenen Aufzeichnungen genügten aber dem Gericht, den Gesprächsverlauf nachzuvollziehen.

Unterstrichen wurden die Aussagen des Geschädigten durch die seiner Freundin. Sie hatte den größten Teil der Unterhaltung vom Bahnsteig mitverfolgt, da das zuvor mit ihrem Freund geführte Gespräch noch weiterlief.

Angeklagter nannte gegenüber Polizei falschen Namen

Einem Kriminalfilm gleich gestaltete sich die für 19 Uhr anberaumte "geplante Geldübergabe" am Bahnhof. Auf dem Weg dahin trafen die Polizeibeamten auf den Angeklagten. Als sie ihn förmlich nach seinem Namen fragten, nannte er nicht seinen eigenen, sondern einen fremden. Einer der Beamten erkannte sein Gegenüber von früheren Delikten.

In seinem Plädoyer beantragte Staatsanwalt Dr. Ingo Krist eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Zudem wollte er einen Haftbefehl, weil der Angeklagte vier Wochen vor der Verhandlung den Geschädigten aufgefordert hat, die Anzeige zurückzunehmen. Der Pflichtverteidiger sprach sich für einen Freispruch aus, ersatzweise sechs Monate Jugendstrafe auf Bewährung.

Die Schöffen verurteilten den Angeklagten nach etwa einer Stunde Beratungszeit zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Während dieser Zeit bekommt er einen Bewährungshelfer zur Seite. Zudem muss zwei Wochen in den Dauerarrest und an einer Gesprächstherapie bei der Caritas-Beratungsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter teilnehmen.

 
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Kommentare
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  • Christiane Schneider
    Herr Müller

    Steuern werden täglich ohne viel überlegen verschleudert, da sollte es doch für einen mehrfachen Straftäter " noch Jugendlich" !! ausreichen , dass der im Knast versorgt wird?
    Was passiert wenn der Typ wieder auf den "alten Bekannten " trifft?
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  • Hubert Endres
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • Gerhard Zwierlein
    Auch für Richter gilt: den Splitter im Auge des anderen sieht man, den Balken im eigenen Auge nicht? - Kritik an Kollegen? und macht dann das gleiche?
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  • Wolfgang Heß
    Warum schon wieder NUR Bewährung? Er hat sich nicht bewährt. Solche Jungs lernen nur durch OHNE Bewährung.
    Und die Bevölkerung muss vor dem Mann eine zeitlang keine Angst haben. Wie wird es dem "alten Bekannten" ergehen, wenn er wieder auf den Angeklagten trifft?
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  • Alfred Mahler
    Mehrfachstraftäter. 20 Jahre alt und dennoch nach Jugendstrafrecht zu Bewährung verurteilt.
    Somit läuft er weiterhin durch unsere Straßen. Der schwindende Respekt vor unserer Justiz ist absolut verständlich.
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  • Helga Scherendorn
    warum schon wieder eine Chance?
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  • Werner Müller
    Frau Scherendorn, weil jeder Tag Knast dem Steuerzahler einen Haufen Geld kostet!
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  • Helga Scherendorn
    @Müller, vielen Dank für ihre Weitsichtigkeit. Also brauchen wir keine Justiz mehr und rufen die Anarchie aus?
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