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GEMÜNDEN
Richter schickt aufgebrachten Kläger aus dem Gerichtssaal
Richter schickt aufgebrachten Kläger aus dem Gerichtssaal
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:00 Uhr

Eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Verhandlung fand am kürzlich am Amtsgericht Gemünden statt. Die Angeklagte erschien nicht, äußerte sich aber schriftlich, ein Staatsanwalt war nicht zugegen, obwohl es um eine Strafsache ging, der mutmaßliche Geschädigte, Typ schrulliger Professor, trat als Privatkläger auf, war aber so aufgebracht, dass er die meiste Zeit der Verhandlung vor der Tür zubringen musste.

Aber von vorne: Es ging um den Vorwurf der Beleidigung und Verleumdung. Eine 75-Jährige aus dem Raum Karlstadt soll ihren 65-jährigen Nachbarn als „ganz gemeinen, hinterhältigen Lump“ bezeichnet und gesagt haben, dass der es nicht wert sei, in seinem Haus zu wohnen, dass er eine Schande sei und wohl Alzheimer habe. Einen Vogel soll sie ihm auch gezeigt haben.

Die Staatsanwaltschaft erkannte aber kein öffentliches Interesse an dem Fall und hätte ihn eingestellt. Das wollte der Geschädigte aber nicht, und beschritt den Weg der Privatklage. Ein Sühneverfahren bei der Gemeinde war gescheitert, weil auch dort die Beschuldigte nicht erschienen war. Bei einem Privatklageverfahren, das im Strafrecht laut Richter Christian Spruß zwar früher selten war, heute aber häufiger vorkommt, trägt der Kläger im Zweifel die Kosten des Verfahrens selbst.

Die Staatsanwaltschaft, die bei Strafverfahren normalerweise die Rolle des Klägers übernimmt, ist außen vor. Für Spruß war es das erste strafrechtliche Privatklageverfahren, im Zivilrecht komme derlei häufiger vor.

Persönlichkeit verändert

Der Verteidiger der nicht erschienenen Angeklagten sagte, es sei sein zweites Privatklageverfahren in 30 Jahren. Er führte für seine Mandantin aus, die wegen Herzbeschwerden nicht habe kommen können und sich schriftlich äußerte, sie habe jahrzehntelang gedacht, sie habe eine vernünftige Nachbarschaft mit dem 65-Jährigen. Zuletzt sei dieser ihr gegenüber aber zunehmend feindlich aufgetreten. Seine Persönlichkeitsveränderung habe sie mit einer möglichen Alzheimererkrankung zu erklären versucht, ohne ihn beleidigen zu wollen. Die anderen Beleidigungsvorwürfe bestritt die 75-Jährige. So habe sie statt Lump „Gelump“ gesagt und damit im Hof liegendes Blattzeug gemeint.

Richter Spruß, der früher Erfahrungen als Zivilrichter gesammelt hatte, sagte, er frage bei Nachbarschaftsstreitigkeiten immer: „Wer von Ihnen beiden will denn eigentlich wegziehen?“ Oft sei Wegzug die einzige vernünftige Lösung. Das bekam der aufgeregte und schwerhörige Kläger aber offenbar in den falschen Hals. Er war zwar noch nicht an der Reihe, ließ sich aber weder von seinem Anwalt noch vom Richter beruhigen. „Ich habe das Recht, vor Gericht auch meine Meinung zu sagen“, sagte er. Er lasse sich nicht aus dem Haus jagen, das habe sogar schon der Bürgermeister versucht.

Auf den lauten Ordnungsruf von Richter Spruß, dass niemand den 65-Jährigen aus seinem Haus jagen wolle, er möge sich doch an seinen Anwalt wenden, wenn er etwas nicht verstehe, rief der Kläger, der es entweder nicht verstanden oder nicht begriffen hatte, wieder laut: „Sie können mich nicht aus dem Haus jagen.“ Spruß unterbrach daraufhin die Sitzung. Der Anwalt des Klägers entschuldigte seinen Mandanten, er habe vor einem halben Jahr bei einem Sturz ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten.

Die beiden Anwälte und Richter Spruß fanden kurz darauf eine pragmatische Lösung, um die Verhandlung fortsetzen zu können: Der Kläger blieb vorsichtshalber vor der Tür. Dessen Anwalt schlug dem Verteidiger, den die Mandantin bevollmächtigt hatte, vor, das Ganze mit einem Vergleich und einer Unterlassungserklärung zu beenden. Der Verteidiger stimmte zu.

Entschuldigung der Angeklagten

In der Unterlassungserklärung entschuldigt sich die Mandantin für mögliche Beleidigungen und verpflichtet sich, künftig für ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu sorgen. Bei jeder Zuwiderhandlung werden 600 Euro fällig. Außerdem übernimmt die Angeklagte die entstandenen Kosten des Klägers und des Verfahrens. Damit war die Privatklage vom Tisch.

Anschließend wurde der Kläger wieder in den Sitzungssaal geholt, und Richter Spruß las ihm die Abmachung laut und deutlich zur Zustimmung vor. „Ich hoffe, dass Sie in Frieden miteinander weiterleben können“, gab er ihm mit auf den Weg.

 
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