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Steinfeld
"Revolution" in Steinfeld: Der Wandel des einstigen Bauerndorfes
Josef Greßer mit seinen Söhnen Otto, Albert und Viktor vor der Schmiede um 1930. Sie haben wohl soeben das Pferd mit neuen Hufeisen beschlagen.
Foto: Inge Klein | Josef Greßer mit seinen Söhnen Otto, Albert und Viktor vor der Schmiede um 1930. Sie haben wohl soeben das Pferd mit neuen Hufeisen beschlagen.
Martin Loschert
 |  aktualisiert: 14.09.2023 02:57 Uhr

"Revolution auf den Ackerflächen" und "Neue Industrie ohne Lärm und ohne Rauch", so lauteten 1958 die Überschriften von zwei Zeitungsartikeln. Sie stehen für den Umbruch in der Landwirtschaft und im Handwerk in Steinfeld, der sich in den 1960er und 1970er Jahre vollzog.

Steinfeld war bis in die 1970er Jahre ein Bauern- und Handwerkerdorf. Das Alltagsleben war vor allem geprägt von der Landwirtschaft. Die Bauern waren Selbstversorger, betrieben Ackerbau und hielten Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen.

Die meisten Bauern übten ihren Beruf im Vollerwerb aus. Die Hälfte der insgesamt 900 Hektar Ackerfläche bebauten sie 1956 mit Getreide, etwa zehn Prozent der Fläche nutzten sie für Futterrüben und Kartoffeln. Für die Main-Post war Steinfeld, dessen Bauern 50.000 Zentner Kartoffeln ernteten, die "Kartoffelkammer des Kreises" (Altlandkreis Lohr). Steinfeld lag damit "mit weitem Abstand an der Spitze des Kreises" und war einer "der Hauptlieferanten der begehrten Erdäpfel".

Zu dieser Zeit standen rund 1000 Rinder und ebenso viele Schweine in den Ställen, dazu kamen 316 Schafe und 72 Ziegen. Die Bäuerinnen waren nicht nur im Haushalt eingespannt. Füttern, Melken, Ausmisten und die Ernte erforderte viel Handarbeit und die Mithilfe der Frauen. Außerhalb der Landwirtschaft gab es nur wenige Verdienstmöglichkeiten. Wenn im Winter die Arbeit auf dem Feld ruhte, fanden die Bauern Arbeit im Wald. 1964 gingen bis zu 25 Mann, meist Landwirte, in den Gemeindewald, um Holz für die Abfuhr zu fällen. Als Pflanzensetzer verdienten sich auch Frauen im Wald ein Zubrot.

Fröhliche Pflanzensetzer 1967 mit Bürgermeister Oskar Scheiner in der Bildmitte.  Vor allem Frauen konnten sich als Pflanzensetzer im Gemeindewald ein Zubrot verdienen.
Foto: Agnes Seufert | Fröhliche Pflanzensetzer 1967 mit Bürgermeister Oskar Scheiner in der Bildmitte. Vor allem Frauen konnten sich als Pflanzensetzer im Gemeindewald ein Zubrot verdienen.

In einer Bauernversammlung 1958 bemängelte das Landwirtschaftsamt, dass es in Steinfeld viele "Kleinstbetriebe" gab, die Felder von durchschnittlich 20 Ar hatten. Um eine "Revolution" einzuleiten, sprach es sich für eine Flurbereinigung sowie für technischen Fortschritt und rationelle Erzeugung aus. Eine erste große Flurbereinigung hatte schon 1923 stattgefunden. 1966 folgte die zweite Feldzusammenlegung.

Mit dem Bau einer modernen Milchsammelstelle 1958 wurden täglich bis zu 1800 Liter Milch angeliefert. Im oberen Geschoss der Milchzentrale konnte man auch eine der 60 Kühltruhen mieten.

Bereits nach dem Krieg hatte die Mechanisierung eingesetzt. Nun lösten Traktoren die Pferde und Ochsen ab, die viele Jahrhunderte treue Zugtiere waren. Auch die Zeit der Dreschmaschine nahm ein Ende. Jetzt erledigten Mähdrescher in einem Arbeitsgang das Mähen, Dreschen und Strohpressen. Doch der Zwang zur Technisierung und der Konkurrenzdruck beschleunigten das Hofsterben. Viele Kleinbauern wanderten wegen der Aussicht auf ein höheres Einkommen in die Industriebetriebe ab. Die Zahl der Betriebe ging zurück, während die bewirtschaftete Fläche der einzelnen Höfe anstieg.

Wenn im späten Herbst die Dreschmaschine auf den Bauernhof kam, begann ein anstrengender Tag für die ganze Bauernfamilie. Die Maschine lief schon in den frühen Morgenstunden auf vollen Touren. Dabei mussten die 'Dreschleut' viel Lärm und Staub ertragen. Doch auch die Zeit der Dreschmaschine, die einst die mühsame Arbeit mit dem Dreschflegel abgelöst hatte, nahm in den 1960er Jahren ein Ende. Jetzt erledigten Mähdrescher in einem Arbeitsgang das Mähen, Dreschen und Strohpressen.
Foto: Erika Fleckenstein | Wenn im späten Herbst die Dreschmaschine auf den Bauernhof kam, begann ein anstrengender Tag für die ganze Bauernfamilie. Die Maschine lief schon in den frühen Morgenstunden auf vollen Touren.

Mit der Ansiedlung von Betrieben wollte die Gemeinde Steinfeld neue Arbeitsplätze für die Familien schaffen, die keine Zukunft mehr in der Landwirtschaft sahen. 1948 gründete Willy Kreutz eine Entwicklungswerkstatt für Maschinenbau und Feinmechanik. Die Firma, einst Weltmarktführer für Kontaktstifte von Neonröhren, hatte zuletzt 80 Mitarbeiter, musste aber 2016 Insolvenz anmelden. 1956 zog die Lederwarenfabrik Koser in die alte Schule ein und bot vor allem für Frauen Arbeitsplätze an. Sie zählte 1966 schon 70 Mitarbeiter.

1964 entschloss sich Landwirt Engelbert Scheiner zum Bau des ersten Schweinemastbetriebs. Es war damals ein mutiges Unterfangen, einen modern ausgestatteten Stall für 100 Schweine zu errichten. Die Viehwaage unterhalb der Kirche erinnert daran, wie einst die Metzger Schweine und Rindvieh durchs Dorf zum Woachhäusle trieben, wo eine vereidigte Person das Wiegen vornahm.

Die mächtige Zehntscheune, die das Kloster Neustadt 1677 mitten im Dorf erbauen ließ, war ein Zeichen für die große Bedeutung der Landwirtschaft in Steinfeld. Der Abriss dieses Gebäudes 1965 symbolisierte die Befreiung von jahrhundertelanger Zehntpflicht und Fronarbeit sowie den Strukturwandel im Dorf.

Ochsengespann auf dem Weg aufs Feld. Schon nach dem Krieg setzte die Mechanisierung ein. Traktoren lösten die Pferde und Ochsen ab, die viele Jahrhunderte als Zugtiere wertvolle Helfer der Bauern waren.
Foto: Herbert Schuhmann | Ochsengespann auf dem Weg aufs Feld. Schon nach dem Krieg setzte die Mechanisierung ein. Traktoren lösten die Pferde und Ochsen ab, die viele Jahrhunderte als Zugtiere wertvolle Helfer der Bauern waren.

Auch der staatlich geförderte Bau von Aussiedlerhöfen veränderte das dörfliche Bild. Am Ortsrand entstanden nun neue Bauernhöfe mit Wohnhäusern, die von den großen Stallungen, Scheunen und Maschinenhallen getrennt waren. Im Altort aber standen nun alte Bauernhöfe leer.

In den 1960er Jahren arbeiteten die Handwerker noch ausschließlich für das eigene Dorf, das so wirtschaftlich unabhängig war. An altes Handwerk erinnern Straßennamen (Wagner-, Sattlerstraße) und Hausnamen (Glaser, Wäwer). Der Schmied beschlug für die Bauern die Pferde mit neuen Hufeisen oder zog an den Rädern der Leiterwägen die Eisenreifen auf. Der letzte Wagner war Josef Weidner (Plitze-Wagner). Er stellte für die Landwirte vornehmlich Holzwägen sowie Geräte für die Arbeit auf Hof und Feld her. Den Sattler suchten die Landwirte auf, wenn sie für die Ochsen ein neues Stirnjoch oder für die Pferde ein Brustgeschirr und Zügel brauchten.

Der Flurname Zieglersrain verweist auf eine Ziegelei. Der alte Standort war außerhalb der Dorfmauern und unter der Nummer 158 auf der Uraufnahme von 1839 eingezeichnet. 1921 wurde die Ziegelei dort aufgegeben. Dafür entstand in der Flurabteilung An der Lehmgrube eine neue Ziegelei, aus der später ein Sägewerk und eine Zimmerei wurden.

Heute noch kann man den Steinfelder Waschkeller am Fuß des Kirchbergs bewundern. Auf den beiden wuchtigen Steintischen reinigten dort Waschfrauen noch hundert Jahre später ihre Wäsche. Die Aufnahme stammt von der 1200-Jahrfeier im Jahr 2012.
Foto: Jürgen Brückner | Heute noch kann man den Steinfelder Waschkeller am Fuß des Kirchbergs bewundern. Auf den beiden wuchtigen Steintischen reinigten dort Waschfrauen noch hundert Jahre später ihre Wäsche.

Wegen ihres beruflichen Könnens gefragt waren die Steinhauer aus der Familie Stolz, die unter anderem den Tiefbrunnen im Felsenkeller der Brauerei Schmitt ausbaute. Heute noch kann man auch den Steinfelder Waschkeller am Fuß des Kirchbergs bewundern, den Anselm Stolz 1889 in einem Tonnengewölbe errichtete. Auf den beiden Steintischen reinigten dort Waschfrauen ihre Wäsche.

1944 gründete Emil Scheiner eine Küferei und spezialisierte sich auf die Herstellung von Weinfässern aus Eichenholz aus dem Steinfelder Wald. Er produzierte im Schnitt jährlich 1000 Fässer.

Alte Stallungen mit Misthaufen im Altort um 1983. Der Zwang zur Technisierung und der Konkurrenzdruck in der Landwirtschaft beschleunigten das Hofsterben. Viele Kleinbauern wanderten wegen der Aussicht auf ein höheres und geregeltes Einkommen in die Industriebetriebe der umliegenden Städte ab.
Foto: Bernd Scheiner | Alte Stallungen mit Misthaufen im Altort um 1983. Der Zwang zur Technisierung und der Konkurrenzdruck in der Landwirtschaft beschleunigten das Hofsterben.

Heute sind viele Handwerksberufe verschwunden oder gar ausgestorben und von den Handwerksbetrieben aus dem vergangenen Jahrhundert sind nur noch wenige übrig geblieben, darunter die Metzgerei Loschert. Im Jahr 1881 gegründet, ist sie heute der älteste noch bestehende Handwerksbetrieb.

In der Landwirtschaft hat sich die "Revolution" in den letzten Jahrzehnten beschleunigt und der Trend zur Ansiedlung mittelständischer Industriebetriebe hat das Dorf mit seinen 300 Arbeitsplätzen verändert. Vor allem im Altort, wo früher lebhaftes Treiben herrschte und heute Häuser leer stehen, bedarf es dringend einer Erneuerung. Hoffnung macht es, dass zahlreiche junge Leute bei der anstehenden Dorferneuerung ihre Ideen einbringen wollen.

Der Heimat- und Geschichtsverein (HGV) Steinfeld-Hausen-Waldzell bietet am Sonntag, 17. September, von 13 bis 17 Uhr Führungen durch den Steinfelder Altort (jeweils etwa 60 Minuten) sowie durch den Gewölbekeller der ehemaligen Brauerei Schmitt (jeweils etwa 30 Minuten) an. Treffpunkt ist jeweils am Kirchplatz 4, Parkplätze gibt es am Sportgelände an der Waldzeller Straße, im Pfarrheim wird Kaffee und Kuchen angeboten. Kinder können mit ihren Eltern den Rundgang via App verfolgen und an einem Spiel teilnehmen.

Handwerk und Fabrik am Ortsrand von Steinfeld um 1960: Horst Höhn betrieb eine KFZ-Werkstätte mit Tankstelle. Dahinter das Gebäude der Firma Willy Kreutz. 1948 gegründet, war sie einst Weltmarktführer für Kontaktstifte von Neonröhren und hatte vor der Insolvenz 2016 zuletzt 80 Mitarbeiter.
Foto: Horst Höhn | Handwerk und Fabrik am Ortsrand von Steinfeld um 1960: Horst Höhn betrieb eine KFZ-Werkstätte mit Tankstelle. Dahinter das Gebäude der Firma Willy Kreutz.
 
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