
Kerstin Sprott ist Heilpraktikerin für Psychotherapie. Seit sechs Jahren arbeitet sie dabei auch tiergestützt. Ihre sechs Lamas, die sie auf ihrem Hof im Retztal hält, bezieht sie in die Therapie mit ein. In einem Schreiben an die Redaktion formuliert die Tierhalterin nun ihre Sorge: Durch den Lama- und Alpaka-Boom der letzten Jahre werden die Tiere zu sehr zum Kuscheltier reduziert.
Kerstin Sprott: In den letzten Jahren verfallen immer mehr Menschen der Liebe zu Lamas und Alpakas. Das kann ich grundsätzlich verstehen. Manche unterschätzen aber, dass es sich hier um ganz andere Wesen handelt, als Hund, Katze oder Pferd. Oft macht es den Eindruck, das Lama sei zum Reiten für Kinder oder zum Streicheln gut geeignet. Dem ist überhaupt nicht so. Andererseits denken viele, dass das Lama wild spuckend auf uns Menschen zukommt. Ein Irrglaube, denn Lamas spucken lediglich innerhalb ihrer Herde, um die Distanz zu bewahren.
Sprott: Lamas sind Distanz-, Herden- und Fluchttiere. Sie sind keine Reittiere, keine Kuscheltiere und für Kinder nur bedingt einsetzbar. Auch finden sie es überhaupt nicht prickelnd, in den Aufzug eines Altenheims eingepfercht zu werden oder inmitten einer grölenden, feucht fröhlich feiernden Junggesellinnen-Abschieds-Meute durch die Weinberge zu hetzen. Natürlich sind Einsätze in Altenheimen denkbar. Wir haben auch schon mehrmals soziale Einrichtungen besucht, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben waren. Dazu gehört unbedingt eine Wiese vor dem Gebäude. Auch Junggesellinnen-Abschiede werden bei uns gebucht, allerdings ohne Alkohol am Tier und nur mit voller Konzentration während der Wanderung auf das Lama, in Ruhe, entspannt, entschleunigt.
Sprott: Wenn ein Lama tritt, wird es häufig als das „böse Tier“ bezeichnet. Die Tiere zeigen manchmal erst sehr spät, wie sehr sie ein Einsatz stresst. Schmerzen zeigen sie so gut wie nie und wenn doch, ist es meistens schon zu spät. Viele erkennen die Stressfalte unter dem Auge nicht oder die aufgeblähten Nüstern. Oft friert das Tier einfach ein, sogenanntes Freezing, und lässt über sich ergehen, was es eigentlich als ganz schrecklich empfindet. Dann finden die Menschen dieses Tier fälschlicherweise oft besonders brav und lieb oder gar wohlerzogen.
Sprott: Ein Lama oder ein Alpaka lernt in seinem ersten Lebensjahr, dass es ein Distanztier ist. Das heißt, kommt das Kleine neugierig auf die großen Tiere zugelaufen, zeigen diese ihm, dass es Abstand halten muss. Neuweltkameliden, zu denen auch Lamas und Alpakas gehören, spucken, wenn ihnen der Abstand zu gering ist. Werden junge Tiere zu viel vom Menschen angefasst, werden sie fehlgeprägt. Das heißt, als erwachsene Tiere, können sie nicht mehr zwischen Mensch und Tier unterscheiden und behandeln den Menschen wie einen Artgenossen: Ist dieser zu nahe, wird er weggespuckt oder sogar getreten oder angesprungen.
Sprott: Anbieter sollten eine Ausbildung haben zur Fachkraft für tiergestützte Pädagogik, Therapie oder Aktivitäten in Verbindung mit einem Grundberuf, indem man gelernt hat, wie man mit den Menschen umgeht. Man braucht auch unbedingt eine Sachkundeprüfung nach Paragraph 11 Tierschutzgesetz. Ich finde es reicht nicht aus, sich als Bankangestellter oder Bauarbeiter ein paar Tiere anzuschaffen und dann mit diesen Spaziergänge oder gar tiergestützte Therapie oder Coaching anzubieten.