
Was wäre ein Dorf ohne seine Wirtschaften? Das dachte sich vor fünf Jahren auch Sigrid Oestemer. Jetzt ist ihr neues Heimatbuch "Retzbach genießen – Ein Fünf-Gänge-Menü für Leib und Seele" fertig. Dabei handelt es sich um weit mehr als eine Dokumentation der einstigen und heutigen Gastronomie Retzbachs, wie sie es ursprünglich geplant hatte. Denn sie erweiterte den Bogen mehrfach, wie sie bei der Vorstellung des Werkes im historischen Rathaus erklärte, zum Beispiel um Heckenwirtschaften, Weinberge, Feste, Vereine und vor allem um "Gschichdli" und Anekdoten. Damit wuchs der Umfang derart an, dass sie inzwischen an einem zweiten Band arbeitet, der zwischen März und Dezember 2024 erscheinen wird. Es ist nicht das erste Buch der gelernten Kunsthändlerin mit einem Faible für Geschichte und alte Darstellungen, unvergessen ist ihr Bildband über Retzbach.
Wichtiger Ausgangspunkt für das Buch war das Jubiläumsjahr 2015. Da erklärte sich die Retzbacherin für eine einzige historische Ausstellung bereit, woraus zwei wurden, zwei weitere initiierte und organisierte sie mit. Hier waren auch schon Bilder der Retzbacher Biergärten dabei.

Auch Gäste und Bürger kommen zu Wort
Die Dokumentation der Retzbacher Gastronomie beginnt bei den ersten Schankstuben, geht über den Bauernkrieg und die beginnende Industrialisierung bis heute. Die Autorin dokumentiert aber nicht nur die Geschichte der Wirtshäuser, etwa wie aus dem Gasthaus Löwen das Hotel Vogelsang wurde, sondern lässt auch die Gäste und Bürger zu Wort kommen. Wie Dritter Bürgermeister Michael Zull in seinem Grußwort treffend feststellte, waren Gasthäuser früher unverzichtbar für Familienfeiern, Versammlungen und auch viele Geschäfte wurden dort abgeschlossen. Nicht fehlen darf die Entstehungsgeschichte der Biergärten. Kurze Streiflichter in die allgemeine Geschichte erleichtern den Leserinnen und Lesern, das alles einzuordnen. Ausführlich beschrieben werden die Haus- und Wirtschaftsgeschichten der Gaststätten und Cafés mit ihrem Umfeld. Es gibt auch touristische Tipps, aktuelle Übernachtungsmöglichkeiten und sogar Rezepte. Knapp 800 Bilder lassen die Geschichte lebendig werden.
Bei der Vorstellung lobte Jörg Brimer als Laudator den anderen Blickwinkel auf alte und neue Gasthäuser in Retzbach. Alles werde in einem neutralen Erzählstil und doch unterhaltsam berichtet. Manches wie der Sauer-Biergarten und mancher Brauch werde da wieder lebendig – bis hin zu Friseuren, die vor Ostern bis in die tiefe Nacht hinein quasi im Akkord Dauerwellen legen mussten. Das Buch fülle Lücken, die in klassischen Chroniken offen blieben. Damit sei es nicht nur für Heimatforscher ein großer Schatz, sondern erhalte den Retzbacherinnen und Retzbachern auch ihre Identität. Wer es gelesen hat, gehe mit anderen Augen durch den Ort – dort war ein Biergarten, hier die "Sonne", da drüben der "Ochsen", es gab eine Bahnhofgaststätte, ein Ausflugslokal auf der Benediktushöhe und noch manches mehr. Dazu die vielen Anekdoten und "Gschichdli" – das Buch mache die Vergangenheit Retzbachs zur Geschichte seiner Einwohnerinnen und Einwohner.
Musikalisch umrahmten die Buchvorstellung Anja Schlund und ihre Schülerin Olivia Oestemer mit ihren Violinen. Auch die neue Weinprinzessin Emma Ehrenfels sprach ein Grußwort.
Erhältlich ist das Buch "Retzbach genießen" (Band I) zum Preis von 35 Euro im Zellinger Rathaus, im Weingut Christine Pröstler und bei der Autorin selbst. Band II wird die Geschichte des Weines im Ort fortführen und einstige und heutigen Heckenwirtschaften beleuchten. Den Hauptteil werden die Ortsfeste der Vereine einnehmen, samt Gschichdli und Rezepte.