
Auf die Spuren Johann Conrad Ulmers haben sich am Sonntag rund 60 Teilnehmer einer Sonderstadtführung zwischen Stadtpfarrkirche St. Michael und evangelischer Auferstehungskirche begeben. Die Stadtführer Elke Bahnemann, Reinhilde Becher und Bernhard Schneider informierten über das Wirken des Reformators, das Lohr rund 60 Jahre lang prägte.
Die Anregung zur Führung kam von Dekan Till Roth, der damit an den 500. Geburtstag Ulmers am 31. März erinnern wollte. Den Termin 24. Februar schlugen die Stadtführer vor, denn dieses Datum ist "Weltgästeführertag", der nach den Worten von Bernhard Schneider im Landkreis noch nie begangen worden ist: "Wir sind heute in Lohr die ersten".
"Diener Christi"
"Einer meiner Vorgänger hieß Johann Conrad Ulmer", meinte Till Roth vor der Stadtpfarrkirche, die seinerzeit noch St. Martin hieß, benannt nach dem Schutzpatron des Frankenreiches. Die evangelischen Jahre in Lohr 1544 bis 1603 und die danach einsetzende katholische Gegenreformation seien "Teil der gemeinsamen Geschichte". Es sei wichtig, "dass man versteht, wo man herkommt".
Ulmer wurde 1519 in Schaffhausen (heute Schweiz) geboren und studierte in einer bewegten Zeit bei führenden Reformatoren in Basel (Andreas von Bodenstein, genannt Dr. Carlstadt), Straßburg (Johannes Calvin) und Wittenberg (Martin Luther und Philipp Melanchthon), ohne sich je auf eine Seite zu schlagen. Später erklärte er einmal, er sei weder Calvinist noch Lutheraner, sondern "Diener Christi".
Derweil hatte in seiner Residenzstadt Lohr Graf Philipp III. nach dem frühen Tod der Eltern die Herrschaft über die Grafschaft Lohr übernommen. Schon früh zeigte er Sympathien für die Reformation, schwankte aber 20 Jahre lang, sie in seiner Grafschaft einzuführen, wohl auch unter dem Einfluss mächtiger katholischer Verwandter. Als der katholische Pfarrer 1543 starb, musste plötzlich alles schnell gehen.
Philipp III. wandte sich an Wittenberg mit der Bitte um einen Hofprediger und Pfarrer. Ulmer, der gerade sein Studium als Magister beendet hatte, wurde eilig ordiniert und nach Lohr geschickt. An Silvester 1543 kam er dort an, an Dreikönig 1544 hielt er seine erste Predigt in der Stadtpfarrkirche. "Ulmer war gerade einmal 25 Jahre alt und hatte keinerlei Erfahrung für so eine Aufgabe", meinte Ulrike Bahnemann.
In Lohr herrschte damals keineswegs religiöses Chaos, sondern es gab eine funktionierende katholische Gemeinschaft. Anfeindungen und Bedrohungen Ulmers waren die Folge. Der Reformator ging seine Aufgabe sehr geschickt an. Es gab keinen »Bildersturm« in der Kirche, wichtige Elemente wie der Taufstein von 1488 und der Gekreuzigte im Rundbogen zum Chor von 1500 blieben nach Angaben von Reinhilde Becher (bis heute).
Friedhof verlegt
Der Reformator wollte an den neuen Glauben heranführen und überzeugen, unter anderem durch seine Predigten. Er schrieb eine Kirchenordnung und einen Katechismus, Kinderpredigten und Gottesdienstlieder. Den viel zu kleinen und unhygienischen Friedhof direkt neben der Kirche verlegte er an seinen heutigen Standort.
Die Marienkapelle mit Beinhaus am Kirchplatz wandelte er in eine Lateinschule um, denn Bildung lag Ulmer besonders am Herzen. Außen an der Kirche ließ er eine Sonnenuhr anbringen - wohl als Zeichen für die Zeitenwende, denn eine Kirchturmuhr gab es damals schon. Doch die Wende stand auf wackeligen Beinen. Philipp III. starb 1559 ohne Nachkommen, die Grafschaft fiel ans katholische Mainz.
Ulmer blieb bis 1566 und folgte dann dem Ruf seiner Heimatstadt, wo er noch bis 1600 wirkte. Die Lohrer hielten über Briefe mit ihm Kontakt. Weil dem Mainzer Erzbischof die ausgebildeten Pfarrer fehlten, durften die Lohrer noch bis 1603 katholisch bleiben.
Ihre entsprechende Bitte an den Erzbischof und den Bau eines neuen (heute alten) Rathauses werteten die Stadtführer als Zeichen des bürgerschaftlichen Selbstbewusstseins.16 Ratsherren haben sich mit ihren Wappen auf dem Rathaus verewigt, sieben von ihnen wanderten lieber aus als wieder katholisch zu werden.
Änderung mit Industrialisierung
Über 260 Jahre lang blieb Lohr fast vollständig katholisch. Der erste evangelische Gottesdienst wurde erst wieder 1868 gefeiert - eine Folge der Industrialisierung mit den evangelischen Unternehmerfamilien Rexroth und später Woehrnitz, wie Dekan Roth in der letzten Station, der Auferstehungskirche, deutlich machte. Sie wurde 1934 als Nachfolgerin eines Bethauses von 1872 eingeweiht.