Rund 300 verschiedene Betonsorten wurden in der über 50-jährigen Firmengeschichte bereits in der Mischanlage der Steinbacher Firma TBG Lohr-Beton zusammengerührt. Nun kommt eine weitere hinzu, mit der das Unternehmen dennoch Neuland betritt: Recycling-Beton.
Der Unterschied zu herkömmlichem Beton besteht darin, dass die gröbste und bis zu 45 Prozent des Betons ausmachende Fraktion nicht aus in Gruben abgebautem Kies oder Schotter besteht, sondern aus wiederverwertetem Betonabbruch. Recyling-Beton ist in der Baubranche erst seit wenigen Jahren ein Thema, findet jedoch zunehmend Verwendung. Es geht dabei nicht zuletzt um die Aspekte Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz in einer Branche, die wegen ihres Energieverbrauchs und Kohlendioxidausstoßes häufig am Pranger steht.
Dass man nun auch in Steinbach in die Herstellung von Beton aus wiederverwertetem Material eingestiegen ist, hat nach Aussage der Werkverantwortlichen Benjamin Appel und Jannis Noschitztka einen ganz einfachen Grund: Es gibt einen Abnehmer. In wenigen Wochen werden die ersten Beton-Laster von Steinbach ins Lohrer Stadtzentrum rollen.
Pilotprojekt in Lohr
Dort, auf dem Gelände des ehemaligen Bürgermeisterhauses an der Ignatius-Taschner-Straße, errichtet die LWB Wohn- und Gewerbebau GmbH für rund sechs Millionen Euro einen vierstöckigen Neubau. In ihm sollen neben elf Wohnungen auch zwei Arztpraxen unterkommen.
Wie für TBG Lohr-Beton ist das Projekt auch für LWB das erste mit Recycling-Beton. Geschäftsführer Johannes Siegler erklärt die Entscheidung, bei den benötigten rund 550 Kubikmetern Beton auf das teurere Recycling-Produkt zu setzen, allein mit dem Nachhaltigkeitsgedanken. Diesen Kurs wolle man auch bei künftigen Projekten fahren. Allerdings gelinge das nicht immer durchgängig. Bei dem aktuellen Projekt in Lohr kämen auch einige Fertig-Bauteile aus herkömmlichem Beton zum Einsatz: Balkone und Treppen. Grund laut Siegler: Der Hersteller biete sie nicht aus Recycling-Material an.
Im Steinbacher Werk wurden unterdessen schon die ersten Chargen des neuen Recycling-Betons mit dem Namen "Ecocrete" (Englisch für Öko und Beton) gemischt. Denn wie Geschäftsführer Benjamin Appel erklärt, erfordert die Herstellung einer neuen Rezeptur für Recycling-Beton umfangreichere Vorprüfungen. Deswegen habe die Vorbereitung auf die Herstellung auch schon im Herbst 2023 begonnen.
Von Vorteil sei dabei gewesen, dass man auf die Erfahrungen des Mutterkonzerns Heidelberg Materials AG (früher Heidelberg Cement) zurückgreifen habe können, zu dem das Steinbacher Werk mit seinen insgesamt acht Mitarbeitern gehört. Mittlerweile wurden in Steinbach schon etliche Betonwürfel mit den Maßen 15 auf 15 Zentimeter gegossen und beispielsweise Druckfestigkeitsprüfungen unterzogen.
Probe bei jeder Lieferung
Transportbeton sei schon immer kontrollpflichtig, sagt Appel. Es gebe interne und externe Prüfungen. Beim auf dem Markt noch relativ neuen Recycling-Beton seien die Anforderung noch höher. Hier müsse jede einzelne Lieferung beprobt werden.
Da Recycling-Beton noch recht neu sei und es an langjährigen Erfahrungen fehle, gebe es bei der Freigabe für die Verwendung noch Einschränkungen, schildert Appell. Im Brückenbau etwa dürfe er noch nicht eingesetzt werden, wohl aber für das, was im normalen Hausbau üblich ist.
Appel geht davon aus, dass die Freigaben für Recycling-Beton mit wachsenden Erfahrungen Zug um Zug ausgeweitet werden. Über die Standfestigkeit des Materials sagt er: "Keiner muss Angst haben, dass ihm die Decke auf den Kopf fällt." Selbst ein Maurermeister mit 45 Jahren Berufserfahrung werde in der Verarbeitung keinen Unterschied zwischen normalem Beton und Recycling-Beton erkennen können. "Man sieht es dem Beton nicht an", sagt Noschitzka.
In der Tat ist der Unterschied im Ausgangsmaterial für Laien kaum zu erkennen. Auf dem Gelände der Steinbacher Mischanlage lagern normaler Kies und Splitt neben dem Recycling-Material. Dass es sich bei diesem um solches handelt, verraten höchstens einige winzige Plastik-Stückchen, die vereinzelt zu sehen sind.
Geliefert wird das in Steinbach verwendete Recycling-Material von einem regionalen Schotterwerk, welches zu einem großen Konzern gehört. Dieser will laut Rückmeldung seiner Pressestelle zwar öffentlich nicht in Erscheinung treten. Noschitzka und Appel erklären jedoch, dass jeder Lieferant für die Herstellung von Recycling-Material zertifiziert sein müsse.
Abbruchmaterial wird auf Tauglichkeit geprüft
Um solches Material zu gewinnen, könne man "nicht einfach ein Haus abreißen und die Mauerreste durch einen Brecher jagen", sagt Appel. Denn auch hier müsse jedes einzelne Abbruchprojekt erst auf seine Tauglichkeit beprobt werden.
Gut geeignet seien nur große Bauwerke mit einem gleichmäßigen und hohen Betonanteil, etwa alte Brücken oder auch Betonschwellen der Eisenbahn. Sollte der Marktanteil von Recycling-Beton stark steigen, könne es schnell zu Engpässen und somit Verteuerung bei der Lieferung des Ausgangsmaterials kommen, vermutet Appel.
Laut Noschitzka ist der Recycling-Beton derzeit ohnehin um rund zehn Prozent teurer als der herkömmliche. Das liege daran, dass das Recyceln des Betonbruchs derzeit noch teurer sei als der Abbau von Kies. Nachdem neue Abbaurechte jedoch immer schwieriger zu bekommen seien, könne man wohl davon ausgehen, dass auch in Gruben abgebautes Material bald teurer werde und man so an einen finanziellen "Kipppunkt" hin zum Recycling-Beton komme, blickt Appel in die Zukunft.
Derzeit komme in der Region die Verwendung von Recycling-Beton erst langsam in Gang. Die Stadt Alzenau etwa habe vor zwei Jahren beim Bau eines Kindergartens eine entsprechende Vorgabe in der Ausschreibung gemacht. Bei vielen Großprojekten, die meist jahrelange Vorplanung hätten, fänden sich solche Vorgaben hingegen aktuell eher selten.
Appel geht davon aus, dass sich das ändern wird. Die Sache mit dem Recyling-Beton habe in den vergangenen drei Jahren bundesweit deutlich an Fahrt aufgenommen: "Das Thema Nachhaltigkeit spielt auch am Bau einer immer größere Rolle", so der 39-Jährige.
Grundsätzlich sei es die Nachfrageseite, die darüber bestimme, wie sich der Marktanteil von Recycling-Beton entwickelt. "Die Interessenten stehen nicht Schlange", sagt Noschitzka über die aktuelle Situation. Das Projekt auf dem Areal des Bürgermeisterhauses sei derzeit das einzige, für das Recycling-Beton bestellt sei.
Warten auf Baugenehmigung
Losgehen soll es dort laut Johannes Siegler so schnell wie möglich. Der Abbruch des Bürgermeisterhauses sei bis auf Reste der Bodenplatte erledigt. Man stehe "Gewehr bei Fuß", um mit dem Neubau zu beginnen, sagt der LWB-Geschäftsführer. Allerdings warte man noch immer auf die Baugenehmigung aus dem Landratsamt.
Die TBG-Vertreter Appel und Noschitzka rechnen unterdessen vorerst eher nicht damit, dass sie nach dem Projekt in Steinbach in nächster Zeit in der Region eine Vielzahl an anderen Bauvorhaben mit Recycling-Beton beliefern werden. Das hat auch einen ganz praktischen Grund: Der Aktionsradius für Transportbeton ist begrenzt: "Wir können nur gut 20 Kilometer fahren. Transportbeton muss generell innerhalb von 90 Minuten verbaut sein", sagt Appel.