In Christel Gaidas kleinen Laden in der Langgasse kommen die wenigsten Leute zufällig. Im Gegenteil, die meisten Kunden kommen ganz gezielt zu ihr, und zwar aus der ganzen Region. Denn Gaida repariert Puppen, „und das macht hier sonst keiner weit und breit.“
Die Kunden der 71-Jährigen sind oft schon etwas älter. „Mit den Puppen haben sie selbst als Kind gespielt und sie seitdem in Ehren gehalten“, sagt Gaida. Bis dann Kinder oder Enkelkinder das „Spielzeug“ gefunden haben und weniger pfleglich damit umgegangen sind. „Die Reparatur kostet oft mehr als eine neue Puppe, aber an dieser bestimmten Puppe hängt eben ein hoher emotionaler Wert für den Kunden“, weiß Gaida. Viele seien so froh, die Puppenklinik gefunden zu haben, dass sie nicht nur die Reparatur bezahlten, sondern Gaida und ihrem Lebensgefährten Dietmar Hirn zusätzlich noch Restaurantgutscheine oder Pralinen schenkten.
Gelungene Schulter-OP
Ein abgerissener Arm, ein kleines Loch im Kopf, ein Sprung im Porzellan -- für Gaida kein Problem. Sie „behandelt“ Plastik-, Porzellan- und Stoffpuppen. Risse und Löcher füllt sie vorsichtig mit Zelluloid auf, bei abgerissenen Körperteilen ist handwerkliches Geschick gefragt. An einem Gummiband, das aus der Schulter der Puppe ragt, ist ein „Anker“ befestigt, ein längliches Metallstück. Den Anker drückt Gaida vorsichtig mit einer kleinen Zange zusammen und schiebt ihn in die runde Öffnung des Plastik-Arms. Die Schulter ist repariert, der Arm wieder voll beweglich.
Gaida könnte den Liebhaberstücken auch ein neues Lächeln ins Gesicht zaubern. „Das mache ich wirklich am liebsten, Gesichter malen, aber das möchten viele Kunden nicht“, sagt sie. Sie wollten lieber das alte, bekannte Gesicht der Puppe behalten, auch wenn es vielleicht ein bisschen ausgeblichen ist. „An dem Gesicht erkennen sie die Puppen eben wieder.“
Das Hobby zum Beruf gemacht
Die gelernte Apothekenhelferin hat sich das Puppen-Know-how selbst erarbeitet: „Als meine vier Kinder klein waren, haben sie zusammen mit allen Nachbarskindern bei uns im Garten gespielt -- und ich saß auf der Terrasse und habe gebastelt“, sagt sie. Sie häkelt, strickt, näht, malt, fotografiert, schreibt Geschichten und Verse. „Dabei hatte ich in Handarbeiten eine vier in der Schule“, lacht sie heute.
Der Liebe wegen zog sie aus dem Westerwald nach Karlstadt: Über ein Internetforum lernte Gaida ihren Lebensgefährten kennen. Dietmar Hirn lebte damals in München, sie trafen sich also auf halber Strecke. Vor fünf Jahren eröffneten die beiden den Laden in Karlstadt, in dem sie die Ergebnisse ihrer kreativen Hobbys verkaufen.
Gaida hat sogar schon selbst Puppen gebaut: Sie kauft Formen und Schnittmuster, um Arme, Beine und Köpfe aus Porzellan zu gießen und den Körper aus Stoff zu nähen. Das macht sie auch für die „kranken“ Puppen ihrer Kunden, soweit möglich. Andere Ersatzteile, wie den Anker für die Schulter-OP, ersteigert sie auf eBay. „Manchmal sitze ich bis tief in die Nacht vor dem Computer und suche“, sagt sie. Das Angebot sei knapp, die Händler verlangten oft horrende Preise.
Wieder eine „Klinik“ in Karlstadt
Aber davon lässt sich Gaida nicht beirren. „Ist es nicht schön, dass wir wieder ein Klinikum in Karlstadt haben?“, fragt sie lachend. Wie im echten Krankenhaus müssen ihre Patienten bei der Einlieferung ein Aufnahme-Protokoll ausfüllen. Darauf wird natürlich der Name des Patienten vermerkt und die „Diagnose“ Gaidas.
Auch schwere Fälle lehnt sie nicht ab: „Einmal lag eine Puppe auf meinem Tisch, die schon über 100 Jahre alt war.“ Die Patientin war aus Pappmaché -- eine besondere Herausforderung, die Gaida gerne annahm. Denn der Ruhestand passe einfach nicht zu ihr, sagt die 71-jährige „Chefärztin“.