Viel Fingerspitzengefühl verlangt an diesem Dienstag der Fall eines 91-jährigen Angeklagten aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart). Der frühere Kaufmann ist angeklagt, aus Verzweiflung und Hilflosigkeit seine Frau umgebracht zu haben, mit der er 70 Jahre verheiratet war. Danach soll er vergeblich versucht haben, ebenfalls aus dem Leben zu scheiden.
Tatverdächtiger rief selbst den Notarzt
Retter hatten den entkräfteten 91-Jährigen in jener Novembernacht 2019 aus der Badewanne gezogen. Nun muss sich der Rentner vor dem Landgericht Würzburg dem Vorwurf stellen, seine Frau getötet zu haben. Der Angeklagte hat am betreffenden Abend kurz nach 22 Uhr selbst Hilfe gerufen. Obwohl der Rettungsdienst schnell vor Ort war, kam für die Frau jede Hilfe zu spät. Ein Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen. Den unverletzten Ehemann nahm die Polizei in der Wohnung fest.
Verteidiger: Tat aus Liebe und Überforderung
Der Angeklagte habe unmittelbar zuvor noch Abschiedsbriefe verfasst, so Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen. Den Notarzt habe er telefonisch gebeten, die Leichname unauffällig zu bergen. Außerdem habe er am Telefon um "schonenden Umgang mit den Hinterbliebenen“ gebeten.
Auch für ihn sei es „ein sehr außergewöhnlicher Fall,“ sagt Verteidiger Norman Jacob. „Denn wir haben hier – im Gegensatz zu anderen Fällen – nicht Feindseligkeit als Triebfeder, sondern Liebe und Überforderung.“
Der Oberstaatsanwalt ist tendenziell der gleichen Auffassung: „Die Tat steht vor dem Hintergrund nicht ausschließbarer Überlastung des Angeklagten mit der Demenz sowie der häuslichen Pflege seiner Frau“, so Raufeisen. Der Angeklagte und seine Frau hätten sich offenbar in der Vergangenheit versprochen, „einmal gemeinsam aus dem Leben scheiden zu wollen“.
Wegen psychischer Situation vermindert schuldfähig?
Erwartet wird deshalb ein relativ kurzen Prozess. Ein vorläufiges Gutachten geht laut Staatsanwaltschaft davon aus, "dass der Angeklagte zur Tatzeit an einer schweren depressiven Verstimmung litt und daher vermindert schuldfähig gewesen sein könnte".
Dass der Fall mit den Mitteln des Strafrechts allein kaum zu fassen ist, weiß auch die Staatsanwaltschaft. Das zeigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte schon einen Monat nach der Tat Anfang Dezember 2019 aus der Untersuchungshaft wieder frei kam.
Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. Der Krisendienst am Kardinal-Döpfner-Platz 1 in Würzburg ist Montag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr geöffnet, Tel. (0931) 571717, und täglich von 18.30 bis 00.30 Uhr ist unter derselben Nummer ein telefonischer Bereitschaftsdienst erreichbar. Zudem bietet die TelefonSeelsorge auch Hilfe online unter www.telefonseelsorge.de an.
Kennen Sie eine/n schwer Demenzkranke/n?
Wenn ja dann würden Sie diese Frage hier nicht stellen.
Genau das habe ich auch gedacht!