
„Es gibt zu viel Papier für zu wenig Nachfrage“, sagt Harald Kirsch. Ein Satz, den man sich noch vor ein paar Monaten nicht hätte vorstellen können. Es ist noch keine acht Wochen her, da hat man sich das Altpapier regelrecht aus der Hand gerissen. Jetzt stapelt es sich in den Höfen vieler Papier- und Verwertungsfirmen. Kirsch geht aktuell von einem weltweiten Mengenüberhang im sechsstelligen Bereich aus. Weil die Produktion in vielen Betrieben aufgrund der globalen Wirtschaftskrise zurückgefahren wurde, sinkt auch der Bedarf an Sekundärrohstoffen wie Altpapier. Und das drückt den Preis.
„Wenn wir jetzt nur noch zehn Euro pro Tonne bekommen, müssen wir uns überlegen, ob wir überhaupt noch sammeln“, sagt Arnold Bünner aus Himmelstadt. Seit 13 Jahren organisiert er die Altpapiersammlungen für den TSV. Zwei Container, drei Schlepper und 15 Helfer sind dabei im Einsatz. Das Papier geben sie an die Firma Sero ab, die stellt ihnen dafür kostenlos zwei Container, der Erlös kommt dem Sportverein zugute. Im Juli gab es noch 37 Euro je Tonne. Vor zwei Wochen waren sie wieder unterwegs. Diesmal werden sie wohl nicht mehr als den Mindestpreis von 25,56 Euro bekommen. Und damit haben sie noch Glück – der aktuelle Papierpreis liegt weit darunter.
Das bekommt der Kindergarten in Trennfeld nun zu spüren. Dort organisiert der Elternbeirat dreimal im Jahr eine Altpapiersammlung, die sie an die Papierverwertungsfirma Würo in Würzburg abgibt. Dort wird immer nach den aktuellen Marktpreisen gezahlt, eine Mindestvergütung gibt es nicht. Was in guten Zeiten gutes Geld bringt, wird jetzt zum Verlustgeschäft. „Im März haben wir noch 65 Euro je Tonne bekommen, bei der letzten Sammlung im November waren es gerade noch 30 Euro. Und das stand auch schon auf der Kippe“, sagt Claudia Seubert vom Kindergarten.
Nur noch zehn Euro
An der Mindestvergütung für die Vereinssammlungen will er dennoch festhalten so lange es geht. Vereinbart wurde sie vor vier Jahren, als der Landkreis mit Einführung der blauen Tonne die Altpapiererfassung für zehn Jahre komplett an die Firma Sero übertragen hat. Seitdem ist Harald Kirsch Herr über die rund 30 000 blauen Tonnen im Landkreis. Und da kommt eine Menge zusammen. „Wir setzen im Monat etwa 3000 Tonnen Papier um“, erklärt Jürgen Steigerwald, kaufmännischer Leiter bei Sero.
Allein in den blauen Tonnen landeten nach Auskunft von Otto Brätz, Sachgebietsleiter im Landratsamt Main-Spessart, im vergangenen Jahr 10 272 Tonnen Papier. Dazu kommen monatlich noch etwa 100 Tonnen Papier aus Vereinssammlungen, wie denen von Arnold Bünner. „Manche Leute denken, wir haben die Lizenz zum Gelddrucken“, sagt Kirsch. „Dabei vergessen sie, dass die Verwertung des Papiers auch kostet. Es gibt Vorgaben, die eingehalten werden müssen. Die Papierfabriken nehmen nur beste Ware“, ergänzt er. Und auch wenn er diese Vorgaben einhalten kann, nützt es im Moment nichts. Die Abnehmer fehlen.
Papiersortierung eingestellt
„Wir haben unsere Papiersortierung vor drei Wochen vorläufig eingestellt“, sagt Harald Kirsch. Die fünf zuständigen Mitarbeiter werden bis es wieder aufwärts geht, anderweitig eingesetzt. Lediglich die Vorsortierung des Altpapiers, die so genannte Störstoffentfrachtung, wird noch durchgeführt. Die detaillierte Sortentrennung nach Tageszeitungen, Illustrierten und Mischpapier liegt momentan auf Eis. „Die Höfe vieler Papierfabriken stehen jetzt schon voll“, sagt Kirsch.
Auch das Weihnachtgeschäft sei längst gelaufen. „Die Fabriken stellen am 19. Dezember ihren Betrieb ein und nehmen frühestens Mitte Januar wieder Altpapier ab“, erklärt Kirsch. Und so wachsen die Papierberge auf dem Hof der hauseigenen Sortieranlage. Rund 2000 Tonnen Papier stapeln sich derzeit, normal sind es 500. „Wenn es so weiter geht, bekommen wir ein Problem“, sagt Jürgen Steigerwald. Der Platz ist dabei die geringste Sorge – auf dem Gelände können bis zu 10 000 Tonnen gelagert werden – „aber Papier kann nur ein viertel- bis halbes Jahr aufbewahrt werden, dann wird es feucht und beginnt zu schimmeln“, erklärt Harald Kirsch.
Keine Rosinenpicker
Für die rund 15 Vereinssammlungen, die jeden Monat bei ihm ankommen, gibt er aber dennoch grünes Licht. Deren Papier werde auch weiterhin angenommen und bis auf Weiteres bekommen sie auch die vereinbarte Mindestvergütung. Zumindest Leute wie Arnold Bünner, die ihr Papier schon seit Jahren bei Sero abgeben. Was Harald Kirsch nicht brauchen kann, sind „Rosinenpicker“, die in der Vergangenheit nicht anlieferten und jetzt, wo der Marktpreis unter dem Mindestpreis liegt, bei ihm Schlange stehen. Abgewiesen werde aber keiner, nur über die Modalitäten müsse man dann verhandeln.
Wie es weitergeht, kann auch Harald Kirsch nach 68 Jahren im Geschäft nicht sagen. Schwarzmalen möchte er aber nicht: „Was wir brauchen, ist etwas Optimismus.“
Stichwort
Papierrecycling Deutschland ist weltweit Spitzenreiter beim Papierrecycling. Im Jahr 2007 standen 15,4 Millionen Tonnen Altpapier für die Papierherstellung zur Verfügung. 15,8 Millionen Tonnen Altpapier wurden verbraucht. Bevor das Altpapier für die Produktion von neuem Papier genutzt werden kann, muss es sortiert und aufbereitet werden; insgesamt gibt es mehr als 3000 verschiedene Papier-, Karton- und Pappesorten, die zum Beispiel zur Herstellung von Zeitungen, Taschentüchern oder Verpackungen genutzt werden. Auch Zeitungspapier wird aus bis zu 100 Prozent Altpapier hergestellt.