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Lohr
Planungs-Blindflug für impfende Betriebsärzte in MSP
Ein Betriebsarzt der Firma Heraeus in Hanau impft einen Angestellten des Unternehmens gegen Corona.
Foto: Boris Roessler (dpa) | Ein Betriebsarzt der Firma Heraeus in Hanau impft einen Angestellten des Unternehmens gegen Corona.
Boris Dauber
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:06 Uhr

Im Kreis Main-Spessart entstehen derzeit kleine Impfzentren, die allerdings nicht für jedermann offen, sondern für Mitarbeiter der jeweiligen Firma reserviert sind. Wenn am 7. Juni die Impfpriorisierung aufgehoben wird, dürfen auch Betriebsärzte gegen Corona impfen. In mehreren großen Unternehmen im Landkreis haben die Vorbereitungen begonnen, damit die betriebliche Impfkampagne rasch starten kann. Doch wie beim zentralen Impfzentrum des Kreises in Lohr gibt es eine große Unsicherheit, die das Planen schwierig macht: Noch weiß kein Betriebsarzt, wie viel Impfstoff er wirklich zur Verfügung hat.

Dr. Axel Schmid betreut als Betriebsarzt nach eigener Aussage 20 Unternehmen relativ intensiv und weitere Betriebe hauptsächlich auf Anforderung. Sechs oder sieben Firmen haben bei ihm angefragt, ob er ihre Mitarbeiter impfen kann. Wegen der Art der Impfstoffverteilung und dem hohen Aufwand, um ein Impfzentrum einzurichten, hat sich der Wertheimer Betriebsarzt auf eine Firma beschränken müssen.

Am 9. Juni möchte er bei Kurtz Ersa in Kreuzwertheim mit den Impfungen beginnen. 402 Dosen des Vakzins hat er für die erste Impfwoche bestellt. Pro Betriebsarzt war die Bestellmenge auf 804 Impfdosen beschränkt worden. Die ungeraden Zahlen kommen zustande, weil ein Fläschchen des Vakzins sechs Impfdosen enthält. Wie viel Impfstoff er letztlich geliefert bekommt, weiß Schmid nicht. "Ich erfahre erst am 2. Juni, wie viele Impfdosen ich für die erste Woche bekomme", sagt er.  Am selben Tag muss er dann schon den Impfstoff für die Folgewoche bestellen. "Wenn wir Glück haben, bekommen wir ein Drittel der bestellten Menge", sagt der Betriebsarzt. Schmid hofft, damit wenigstens die erste Teilwoche einigermaßen füllen zu können.

Er findet das Vorgehen der Regierung "dämlich", die Betriebsärzte erst einmal eine bestimmte Menge bestellen zu lassen und ihnen später zu sagen, was sie auch wirklich bekommen.

Sehr viele Anmeldungen

Anna Hieble ist bei Kurtz Ersa für das Managementsystem und damit auch für die Arbeitssicherheit zuständig. In diesen Bereich fallen auch die Maßnahmen mit dem Ziel, das Corona-Virus aus dem Betrieb fernzuhalten und die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen. Diese können sich über das Intranet für die Impfung registrieren. Am 25. Mai informierte Hieble in einer E-Mail über das Impfangebot. "Zwei Minuten danach ist erst mal das Intranet zusammengebrochen, weil sich so viele gleichzeitig anmelden wollten", berichtet sie.

Innerhalb der ersten zwei Tage meldeten sich nach Angaben von Anja Hieble bereits mehr als 200 Beschäftigte an. Das Impfangebot gelte für die rund 950 Mitarbeiter in Deutschland, von denen aber einige schon geimpft seien. "Wir können nur die impfen, die noch keine Erstimpfung haben", erklärt sie. Dafür entsteht auf einer Freifläche im Logistikzentrum von Kurtz Ersa "ein kleines Impfzentrum" mit mehreren Stationen vom Empfang über die Impfkabine bis zum Kontrollbereich, in dem der Geimpfte noch 15 Minuten warten soll. "Wir betreuen die einzelnen Stationen durch internes Personal und haben Unterstützung beim Roten Kreuz angefragt", sagt Hieble.

Eine Impfpriorisierung nimmt Kurtz Ersa nicht vor. "Es geht nach der Reihenfolge der Anmeldung", betont Anja Hieble. Dass auch Betriebsärzte gegen Corona impfen können, hält sie für überfällig: "Wir haben uns darauf schon seit Ende März vorbereitet und gehofft, dass die Impfpriorisierung fällt." Dementsprechend schnell fragte die Firma auch ihren externen Betriebsarzt an und bekam den Zuschlag.

Doch selbst Anfang Mai war laut Axel Schmid noch nicht bekannt, wie die Betriebsärzte an den Impfstoff kommen, wie sie die Daten der Geimpften an das Robert-Koch-Institut (RKI) melden und wie das vergütet wird. »Im Grunde war nichts organisiert gewesen. Die vollmundigen Ankündigungen der Bundesregierung schon im März hätten eigentlich dazu führen müssen, dass sie dann auch die entsprechenden Schritte einleiten«, betont der Betriebsarzt aus Wertheim.

Vor drei Wochen habe er an das Gesundheitsministerium in Bayern und an das Sozialministerium in Baden-Württemberg eine gleichlautende E-Mail mit zwölf Fragen zum Impfen geschickt. Noch nicht einmal der Eingang sei ihm bestätigt worden, ärgert sich Schmid. "Ich mache das sehr gerne, aber man fühlt sich von denen, die da gerade die Finger drauf haben schon sehr im Stich gelassen", betont er.

Alle anderen Termine abgesagt

Da Schmid nicht weiß, wie viel Vakzin ihm zur Verfügung steht, weiß er auch nicht, wie lange er für die Erstimpfung bei Kurtz Ersa brauchen wird. "Wenn der Hausarzt nicht impfen kann, dann macht er Sprechstunde oder Hausbesuche. Wenn ich nicht impfen kann, weil kein Impfstoff da ist, dann stehe ich da rum", erläutert der Betriebsarzt sein Dilemma. Er habe alle anderen Termine für arbeitsmedizinische Untersuchungen, Beratungen, Begehungen abgesagt, um sich die Zeit fürs Impfen freizuhalten.

Axel Schmid hat mit Kurtz-Ersa einen Vertrag abgeschlossen, "um nicht von der Anzahl der Impfungen einerseits und von einer aus meiner Sicht lächerlichen Vergütung von 20 Euro andererseits abhängig zu sein", wie er sagt. Zehn bis 15 Impfungen pro Stunde traut sich der Mediziner zu – mit etwas Übung vielleicht auch mehr. Doch mit dem impfen allein ist es nicht getan, denn der Betriebsarzt muss seine Arbeit auch dokumentieren. "Die Bürokratie zwingt mich dazu, zehn Datensätze zu jedem Impfling einzugeben. Da sind teilweise zehnstellige Nummern dabei", erklärt Schmid.

Konkurrenz um Impfstoff

Durch den Wegfall der Impfpriorisierung konkurrieren neben den zentralen Impfzentren der Landkreise und Städte und den Hausärzten nun auch noch die Betriebsärzte um den Impfstoff.

Nun sollen auch Jugendliche ab zwölf Jahren geimpft werden, für die bisher kein Vakzin zugelassen war. "Das war für mich auch ein Argument, jetzt nicht dramatisch in diesen Impfprozess mit einzusteigen, wenn ich da nicht wirklich helfen kann, sondern eigentlich nur jemand anderem, der schon gut eingespielt ist, seinen Impfstoff wegnehme", erklärt Schmid.

Er hofft nun gemeinsam mit den Impfwilligen bei Kurtz Ersa, dass er schnell ausreichend Impfstoff zur Verfügung gestellt bekommt. Dem Betriebsarzt ist anzumerken, dass er sich auf seinen Impfeinsatz freut. "Von Firmenseite aus läuft alles perfekt", betont er. Nur mehr Planbarkeit hätte er sich gewünscht, doch das ist bei der Mangelware Corona-Impfstoff derzeit offenbar nicht möglich.

 
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