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Lohr
Pfarrer Sven Johannsen schaut auf seine Jahre in Lohr zurück
Nach gut 16 Jahre lang als Pfarrer in Lohr verlässt Sven Johannsen Ende Juli die Stadt, um die Pfarreiengemeinschaft Würzburg-Ost zu übernehmen.
Foto: Thomas Josef Möhler | Nach gut 16 Jahre lang als Pfarrer in Lohr verlässt Sven Johannsen Ende Juli die Stadt, um die Pfarreiengemeinschaft Würzburg-Ost zu übernehmen.
Bearbeitet von Thomas Josef Möhler
 |  aktualisiert: 30.06.2024 02:33 Uhr

Seit gut 16 Jahren ist Sven Johannsen Pfarrer in Lohr. Ende Juli wird er die Stadt verlassen, um die Pfarreiengemeinschaft Würzburg-Ost zu übernehmen. Über seine Zeit in Lohr, seine Erfahrungen und die Zukunft der Kirche, nicht nur in Lohr, sprach unser Medienhaus mit dem Geistlichen.

"Ich bin zufrieden, den Auftrag erfüllt zu haben, den ich mir damals gestellt habe", antwortete Johannsen auf die Frage nach einer Bilanz seiner Lohrer Zeit. Vor seiner Amtseinführung im Mai 2008 hatte es nach dem Freitod von Pfarrer Klaus-Peter Kestler, der missglückten Krisenintervention der Diözese Würzburg und einem gescheiterten Wiederbesetzungsversuch eine eineinhalbjährige Vakanz auf der Pfarrerstelle gegeben.

Die Diözese habe gewusst, dass er seine Stelle in Bad Brückenau verlassen wollte, so Johannsen. Der damalige Personalreferent habe ihm geraten: "Schau dir doch mal Lohr an." Lohr habe ihn schon gereizt. Er sei in eine Gemeinde gekommen, "wo die Ehrenamtlichen am Rande der Leistungsfähigkeit und Motivation waren".

Gemeinde 2008 festigen

Ihm sei es darum gegangen, die Gemeinde zu festigen. Es sei relativ schnell gelungen, Lohr wieder in den Bereich einer normalen Gemeinde zu holen. In der Stadtpfarrei bestehe heute ein sehr rühriges Gemeindeleben. Es gebe auch lebendige Gemeinden etwa in Wombach, Sackenbach und Rechtenbach, "wir haben nicht alles nach Lohr gezogen".

Die Lohrer Zeit hat Johannsen geprägt und verändert: "Mir kam ganz oft das Bild vom Fels in der Brandung in den Sinn." In Bad Brückenau sei er dagegen der "Hansdampf in allen Gassen" gewesen, weil es außer ihm fast kein Personal gegeben habe. Er habe in Lohr gelernt, dass der Pfarrer ein sicherer Referenzpunkt sein müsse. Schnell habe er erkannt, dass die ehemals katholische Atmosphäre in Lohr schon nicht mehr bestanden habe. Feindschaft habe er nie erlebt, aber "wohlwollendes Desinteresse". Die Kirche sei nach wie vor ein wichtiger Teil der Stadt, aber sie sei nicht mehr dominant. Damit umzugehen, hätten die Gemeinde und er lernen müssen.

Ferner habe er in Lohr gelernt, "dass ich nicht mehr überall sein kann". Er habe akzeptieren müssen, dass andere in Gemeinden die Rolle übernähmen, die man gemeinhin mit dem Pfarrer verbinde. "Ich kann nicht alle Gottesdienste selbst feiern, auf jedes Fest gehen und alle Seelsorge-Gespräche selbst führen." So habe man ihn 2008 beim Pfarrfest in Wombach zwar freundlich begrüßt, ihm aber klargemacht, dass man ihn eigentlich nicht brauche: "Wir haben einen Kaplan." Dieser habe die Rolle des Pfarrers übernommen. Ähnlich sei es in Sendelbach gewesen, wo die Pastoralassistentin das Gemeindeleben organisiert habe.

"Ich schreibe mir schon zu, dass ich das zugelassen habe", sagte der Geistliche. Zumal es zu seinem Konzept gepasst habe: Die Gemeinden bräuchten Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Ansprechpartner vor Ort seien. "Nur so kann Kirche in der jetzigen Personalsituation überleben." Daran werde sich nichts mehr ändern: "Wir werden nicht mehr." Der Pfarrer müsse zugestehen können, dass andere seine Rolle übernähmen, aber alles zusammenhalten.

In Corona-Zeit präsent

Zu seinen Misserfolgen zähle er, dass viele Gruppen und Kreise nicht gehalten werden konnten. Ideen, wie ein Kino-Abend oder eine Stunde Stille in der Stadtpfarrkirche St. Michael nach Ladenschluss, seien nicht angenommen worden. Damit könne er leben: "Ich habe nichts völlig in den Sand gesetzt." Zu den Erfolgen zähle zweifelsohne die Renovierung von St. Michael mit dem feierlichen Abschluss im März 2015. Es sei trotz anfänglicher Bedenken gelungen, die Gemeinde mitzunehmen, so dass es ein Projekt der gesamten Gemeinde geworden sei. Diese identifiziere sich mit der Kirche. Das sehe er sonntags: "Das ist die Kirche der Lohrer."

Ein weiterer Erfolg sei gewesen, "dass wir uns in der Corona-Zeit nicht weggeduckt haben, sondern über Youtube und Impulse präsent waren". Das Team sei jung gewesen, "alle haben mitgemacht". Die Gemeinde habe bestätigt: "Wir haben uns begleitet gefühlt." Nach dem Ende der Pandemie seien die Gottesdienste gut besucht gewesen.

Warum er dennoch von Lohr weg will, begründete Johannsen damit, dass er vielleicht ein oder zwei Jahre weitermachen könnte. Er glaube zwar nicht, dass die Lohrer genug hätten vom Pfarrer, "aber es zündet nicht mehr so". Bis zum Erreichen der kirchlicherseits vorgeschriebenen Altersgrenze von 70 Jahren habe er noch 17 Jahre.  Jetzt gehe es noch gut, er könne etwas Neues anfangen. Es gebe keine Garantie, dass er bis 70 durchhalte. Die Zeit in Lohr habe ihn auch verändert. In den ersten Jahren sei er bei Trauerfällen nicht so involviert gewesen, weil er die Familien nicht gekannt habe.

Aber heute kenne er viele Familien, "das geht nicht spurlos an einem vorbei". Die Schicksale träfen ihn deutlich mehr als in der Anfangszeit, etwa wenn er Menschen lange mit der Krankenkommunion begleitet habe. "Das rührt einen stärker", betont er. Zu den Zukunftsaufgaben, vor denen sein Nachfolger Manfred Hock stehen wird, sagte der Pfarrer, im Augenblick sei das Seelsorgeteam gut aufgestellt. Es gebe Ansprechpartner für alle Gemeinden. "Aber das wird sich schnell ändern", ist sich Johannsen sicher. Die Gemeinden müssten daher noch mehr in die Kooperation gebracht werden.

Vieles ist nicht mehr zu stemmen

Zudem müssten die Gemeinden begleitet werden, die merkten, dass sie vieles nicht mehr stemmen könnten, "ohne aber die runterzudrücken, die selbst noch etwas machen können". Für manche Gemeinde werde es schwierig werden, Pfarrfest, Jugendgruppen und eigene Ministranten aufrecht zu erhalten. Durch die Umstrukturierungen im Bistum werden die Organisationseinheiten immer größer. Johannsen ist jetzt Leiter des Pastoralen Raums Lohr, der den Altlandkreis umfasst. Für ihn sei es wichtig, betonte der Pfarrer, dass das Team alle Grundschulen beim Religionsunterricht, alle Kindergärten und die Katechesen (Glaubenserziehung von Kindern) in den Gemeinden abdecke.

"Die Menschen müssen wissen, dass sie sich dort, wo sie leben, darauf verlassen können, dass ihre Kinder Angebote finden." Über die Kinder seien schon oft Eltern für das Gemeindeleben zurückgewonnen worden. Auch in größer werdenden Einheiten ist für Johannsen "die Seelsorge wichtig, nicht die Verwaltung". Sein Team und er hätten sich immer bemüht, "für alle Lebensphasen Angebote zu machen". Das gelte auch für den Sonntagsgottesdienst als wichtigsten Gottesdienst.

Ihn gibt es in St. Michael drei Mal, zum ersten Mal um 8 Uhr. Die frühe Zeit nutze eine feste Gruppe, "40 bis 50 Leute, die immer kommen". Zusammen mit den zwei anderen Messen werde der Gemeinde signalisiert: "Ich finde einen Platz nach meinen Vorlieben." Präsenz und ein möglichst breites Angebot seien sehr wichtig.

Anwesende wertschätzen

Man müsse sich von dem Gedanken verabschieden, dass immer viele Leute kommen müssten, um eine Veranstaltung als Erfolg zu betrachten. Das gelte nicht nur für die Kirche. Diejenigen, die da seien, seien oft mit mehr Motivation dabei. Johannsen: "Man muss die wertschätzen, die da sind, und darf nicht ständig über die schimpfen, die nicht da sind."

Die Kirche müsse Heimat sein für diejenigen, die noch glaubten, "und das sind nicht wenige". Heute noch von prägenden Volkskirchen zu reden, wäre nach den Worten des Pfarrers Hochmut. Die Kirchen seien "ein Segment neben anderen". Sie stünden für bestimmte Werte und den Schutz des Lebens am Anfang und am Ende. So lasse sich Gott in eine Gesellschaft einbringen, "die ich für gar nicht so gottlos halte". Gerade in Trauergesprächen begegne er Vorstellungen wie: "Da muss doch noch etwas sein."

Immer an Lebenswendepunkten tauche die Frage nach Gott auf. "In Lebenskrisen finden die Menschen zur Kirche zurück." Aber das werde keine Massenbewegung werden. Er halte viel vom Begriff, den der österreichische Theologe Paul Zulehner geprägt habe: Die Kirche sei "Obdach für die Seele". Wenn eine Gemeinde sich dagegen verschließe und sich nur noch mit sich selbst beschäftige, bestehe die Gefahr, sektiererisch zu werden. Wenn die Kirche die Türen zumache, "dann kommt sie in ein Elitedenken: Wir sind besser als die anderen". Für ihn gelte die Haltung: "Wir stehen für etwas und bringen es ein ins Gespräch, aber wir berauschen uns nicht an unserer eigenen Glückseligkeit."

Zum Reformprozess in der Kirche sagte Johannsen, er habe keine Probleme damit, wenn der nächste Kaplan eine Frau sei. Über die gesellschaftliche Verfasstheit, dass nur Männer ein Diakonat oder Priesteramt übernehmen könnten, "sind wir hinaus". Es gebe kein eindeutiges Argument aus der Bibel, dass Jesus Frauen von diesen Ämtern ausschließe. Der Erosionsprozess der Kirche werde durch Frauen im Priesteramt allerdings nicht aufgehalten: "Wir werden nicht mehr, es geht um eine Frage der Gerechtigkeit."

Wichtig ist der Zusammenhalt

Am Reformprozess der Kirche in Deutschland findet Johannsen gut, dass Bischöfe und Laien miteinander ins Gespräch gekommen sind. Er habe aber den Eindruck: "Das ist auch so ein abgekapselter Prozess in einer Gruppe, in der es um Machtfragen geht." Darin sehe er keine Veränderung der Kirche: "Gewisse Eliten diskutieren miteinander, die ein gewisses Eliteverständnis, aber nicht wirklich die Bedürfnisse der Gemeinden im Blick haben." Seine Vision – besser: seine Perspektive – für die Kirche in zehn oder 20 Jahren sei nach wie vor, "dass sie Heimat für die Menschen ist".

Johannsen ist sich sicher, "dass das hierarchische Gebaren stark abnehmen wird". Machtfragen würden lächerlich, "wenn wir nur noch wenige sind". Gemeinden würden im Verbund mit anderen selbstständiger werden und nicht mehr so stark im Rückverbund mit dem Bistum stehen. Das müsse nicht immer positiv sein. Wichtig sei der Zusammenhalt in einem größeren Verbund. Denn man müsse immer aufpassen, "dass man über den eigenen Horizont hinausschaut".

Auch nach seinem Weggang wird Johannsen Kontakte nach Lohr halten. Die entstandenen Freundschaften werde er pflegen. Er werde aber nicht "ständig bei allen Gelegenheiten hier herumtanzen". Für September 2025 habe er bereits eine Anfrage für eine Hochzeit, die er annehmen werde, wenn sein Nachfolger zustimme. Mit Manfred Hock habe Lohr einen guten neuen Pfarrer, der die Stadt aus seiner Kaplanzeit kenne.

Pfarrer Sven Johannsen

Sven Johannsen, in Dettelbach geboren, wird 53 Jahre alt. Zum Priester geweiht wurde er am 20. Februar 1999 in Würzburg. Von 2000 bis 2008 war er zunächst Pfarradministrator, dann Pfarrer in Bad Brückenau mit den Gemeinden Römershag und Wernarz. Als Stadtpfarrer in Lohr wurde er am 11. Mai 2008 eingeführt und erlebte in dieser Funktion die Umstrukturierungen im Bistum Würzburg mit. Seit dem 14. November 2010 war er Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft 12 Apostel am Tor zum Spessart, zuletzt Leiter des Pastoralen Raums Lohr, der dem Altlandkreis entspricht.
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