Neue Gesetze und EU-Auflagen machen den Wirtsleuten in Main-Spessart das Leben schwer. Dokumentationspflicht, bauliche Auflagen und deren Kontrollen durch das Landratsamt (LRA) sind Beispiele dafür. Zwei Wirte berichten von ihrem täglichen Kampf. Und auch Michael Schwägerl, Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (dehoga) in Unterfranken fordert: mehr Dialog bei Kontrollen.
Eberhard Imhof sitzt an einem Tisch im Frühstücksraum des "Letzten Hieb". Er, seine Frau und die beiden Söhne führen den Betrieb mit Hotel und angeschlossener Gaststätte. Ihnen gehört auch das Hotel und Restaurant "Mainpromenade" in Karlstadt. Beide Häuser bieten regionale und saisonale Küche mit "Frische aus Main Spessart". Imhof breitet die Arme weit aus, deutet auf den Tisch: "Das ist nur ein Teil der Unterlagen, die ich ausfüllen muss. Jeden Tag!"
Die Ordner tragen Aufschriften wie: Toilette Reinigung/Kontrolle, Temperatur Frittierfett, Getränkeschrank Reinigung, Schädlingsvorbeugung und so weiter. "Abgesehen davon", erklärt der Gastronom, der auch Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverband ist, "habe ich noch mehr Prüfungen unterschiedlicher Stellen." Die Berufsgenossenschaft kontrolliere die Arbeitssicherheit, das Finanzamt die Einhaltung des Mindestlohns, der Verband Deutscher Elektriker (VDE) begutachte jede Steckdose. Eine Stunde täglich beanspruche das Ausfüllen alleine der Hygiene- und Lebensmitteldokumente.
Zu schaffen machen ihm auch die unangemeldeten Kontrollen des LRA im laufenden Betrieb. "Ich zeige Ihnen jetzt mal wie das läuft", sagt er und öffnet die Küche. Es ist 17 Uhr und noch ruhig. Einer der Köche schneidet Schinken auf. Geht dann über zum Anrichten. "Zack! Schon der erste Verstoß", ruft Imhof. "Das ist sofort nach der Benutzung zu säubern." Wie auch der Grill, der vor wenigen Minuten noch lief. "Wie sollen wir das machen? Entweder wir arbeiten oder wir putzen – und schließen die Küche zu!" Manche Vorgaben hält er für völlig sinnfrei, wie zum Beispiel die Schneidebretter als Plastik. "Jeder weiß, dass Holz hygienischer ist. Dürfen wir aber nicht nutzen."
Fünf Kühlhäuser, sogar eines für Müll
Durch das Labyrinth an Gängen geht es zu den fünf Kühlhäusern: Tageskühlhaus für vorbereitete Speisen wie Soßen, Fleisch- und Wurst, Milchprodukte und Verpacktes, Gemüse und Obst. Grotesk: Es gibt auch ein Kühlhaus für Müll. Imhof schüttelt den Kopf. "Den Bereich habe ich erst 2019 umbauen müssen. Hat der Kontrolle nicht gefallen." Zuletzt die Schlachtküche. Imhof blickt sich resigniert um: "Ich weiß jetzt schon, dass das als nächstes dran ist."
"Der ganze Aufwand muss in meine Preis einfließen", erklärt der Hotelier. Letztendlich zahle der Verbraucher doppelt. Indirekt über die Steuer die Regelungen, die er umsetzen müsse, und dann direkt die höheren Preise in Gaststätten. "Gerade die Umsetzung der baulichen Vorschriften werden schnell unglaublich teuer. Da kommen wir in mindestens fünfstellige Summen." Das – ganz abgesehen von dem zeitlichen Aufwand für die immensen Dokumentationen – könne ein kleiner Betrieb gar nicht leisten. "Die machen dann halt zu."
Solch ein eher kleiner Betrieb ist "der Löwe" in Rieneck. Das Gasthaus ist seit fünf Generationen im Familienbesitz und erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt worden. Horst Wirth ist überregional bekannt für seine gehobene Küche. "Ich kaufe mehr als die Hälfte des Fleisches als Ganzes." Hiesige Jäger, Landwirte und Schäfer beliefern ihn. "Wir machen das seit 22 Jahren so. Lassen das Fleisch hier nachreifen und zerlegen erst dann. Das ist mein Anspruch an Qualität, den auch meine Gäste schätzen."
Nicht so die Kontrolleure. Die bemängelten im Vorjahr bei einer Kontrolle die Aufbewahrung des Fleisches im Tageskühlhaus. Nun steht Wirth vor der Wahl. "Ich verliere so oder so: Entweder ich baue ein neues Kühlhaus – nur wohin? – oder ich kaufe mein Fleisch in Zukunft abgepackt im Großhandel. Dann verliere ich meine Gäste." Um der Dokumentationspflicht nachzukommen, opfere er schon jetzt seinen freien Tag. Das sei bei Arbeitstagen, die meist 14 Stunden umfassen, sehr belastend. Dass er jetzt noch, in seinen Augen unmögliche bauliche Auflagen zu erfüllen habe, nehme ihm die Motivation. "Es ist traurig, aber ich überlege ernsthaft zu schließen."
Seine Versuche auf Einigung mit dem LRA liefen bisher ins Leere. "Denen ist das zu heikel. Da will niemand Verantwortung übernehmen." Man verweise ihn immer an die nächste Stelle: Von Karlstadt nach München, dort nach Berlin, weiter nach Brüssel. Und wieder zurück nach München. Er appelliert nun an die Politik. Hat Kontakt mit dem Bundestagsabgeordneten Alexander Hoffmann aufgenommen.
Schwägerl: Betriebshygiene steht an oberster Stelle
Michael Schwägerl, Anwalt und Geschäftsführer von dehoga, versucht derzeit für Horst Wirth eine Einigung mit dem LRA zu erreichen. Die hygienischen Vorfälle in seinen 30 Jahren als dehoga-Geschäftsführer in Unterfranken könne er an an einer Hand abzählen. 135 Mitglieder habe dehoga in Main-Spessart. "Für die Wirte steht Betriebshygiene an oberster Stelle. Das ist ganz selbstverständlich." Gerade im baulichen Bereich gäbe es eine Diskrepanz zwischen Forderungen und Möglichkeiten.
Er wünscht sich mehr Feingefühl bei Kontrollen. "Es muss ein Geben und Nehmen sein." Die Mitarbeiter beim LRA seien nicht nur zur Verwaltung da, sondern sollten sich auch als Dienstleister sehen, beraten. "Die sollten sich die Frage stellen: Wie kann ich dem Wirt helfen? Wie können wir die Probleme gemeinsam lösen?"
Schwägerl liegen ähnliche Fälle, wie die aus Rieneck vor. Jahrelang habe die Zusammenarbeit gut geklappt, aber "nun wird plötzlich einen ganz neue Saite aufgezogen." Wenn es so weitergehe, wisse er nicht, wie es mit den kleinen Gaststätten weitergehe. Vor 15 Jahren sei so ähnlich mit den Hausschlachtungen umgegangen worden. "Wir hatten 60 Betriebe. Jetzt sind es noch drei." Er sieht auch die Dokumentationspflicht als übertrieben: "Der Inhaber haftet ja sowieso immer. Warum muss er auch noch für fehlende Dokumente haften?"
Abgeordneter Hoffmann sieht Ermessensspielräume
Die Kontrolleure sehen sich strikt an gesetzliche Vorgaben gebunden. "Das meiste ist Auslegungssache", sagt nun der Abgeordnete Alexander Hoffmann (CSU), den Wirth wegen des "Dokumentations-Wahnsinns" in einem Brief um "Hilfe zur Reduzierung dieser Auflagen, die schon Ausmaß eines Überwachungsstaates haben" gebeten hat.
Sind die Regelungen und Auflagen übertrieben? "Wir haben uns im Wald verlaufen", sagt Hoffmann. Das sei nicht nur im Gastgewerbe zu beobachten, sondern in allen Bereichen, wie zum Beispiel der Pflege. Hoffmann war Leiter der Allgemeinen Bürgerdienste in Würzburg. Mit Ordnungswidrigkeiten und Bußgeldern kennt er sich aus. "Wir wollen immer alles ganz genau machen." Er betont, dass Vorgaben, auch wenn sie sich negativ auf Einzelne auswirken, immer einen guten Grund hätten. Der Schutz der Menschen stehe an erster Stelle. Doch: "Ich kann es nicht Schönreden: Wir sind überreguliert".
Im Falle des "Löwen" in Rieneck und den Vorgaben für neue Kühlhäuser, sei es Aufgabe des Landratsamtes sich zu einigen. Hoffmann kann sich hier eine Duldung für einen gewissen Zeitraum vorstellen. Außerdem gäbe es in den Regelungen und Vorgaben immer einen Ermessensspielraum, er schätzt diesen auf 85 Prozent.
Im Schnitt eine Kontrolle alle anderthalb Jahre
Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für das Landratsamt in Main-Spessart unterwegs. Sie kontrollierten Gaststätten, Restaurants und Vereinsfeste. Bei 1028 Kontrollen wurden 57 Verstöße festgestellt. Im Schnitt werde ein Betrieb einmal alle 1,5 Jahre kontrolliert. Die Anforderungen an die Betriebe unterscheiden sich hierbei je nach Risiko. Kriterien dafür sind :Hygienestatus des Betriebes, hergestellten Produkte, Anzahl der potentiellen Kunden, besondere Risikogruppen innerhalb des Kundenstamms (z. B. Babynahrung) und das Niveau der vom Betrieb durchgeführten Eigenkontrollen.
Wird ein Betrieb auffällig, wird häufiger kontrolliert. Wird ein Mangel festgestellt, wird nachkontrolliert. Grundsätzlich werden alle Betriebe gleich behandelt. Egal ob Restaurant, Imbiss oder Foodtruck. Einzig für Vereine gäbe es erleichterte Bedingungen.
Und wie steht es mit dem angeblichen Ermessensspielraum von 85 Prozent? "Bei Beurteilungen, ob ein Mangel vorliegt, sind die Spielräume in der Regel eingeschränkt", sagt Frauke Beck von der Pressestelle des Landratsamtes in Karlstadt. Landesweit einheitliche Kontrollen seien das Ziel des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz. Die Fachkräfte würden hierzu regelmäßig fortgebildet.
Landratsamt: Kontrolleure leisten Beratung
Ein Gastwirt wünscht sich auch mehr Beratung, statt nur Kontrolle mit Mängelanzeige. "Beratung ist nicht Kernaufgabe der Kontrolleure", erklärt Frauke Beck. Trotzdem würden Betriebe von den Kontrolleuren umfangreich beraten: Bei der Planung von Um- oder Neubauten, bei Fragen zur Produktion oder Kennzeichnung von Produkten. Es sei ein Ziel, unnötig teure nachträgliche Beanstandungen zu verhindern. "Die verschiedenen Möglichkeiten, wie die Mängel abgestellt werden können, werden gemeinsam diskutiert." Letztendlich bleibe die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und Produktsicherheit in der Verantwortung des Gastwirtes.
Hotelier Eberhard Imhof würde gerne das Pferd wieder von vorne, statt wie aktuell von hinten aufzäumen: "Es darf doch heutzutage jeder eine neue Gaststätte eröffnen. Dazu braucht es keinerlei Qualifikation. Hier muss etwas gemacht werden, anstatt Wirte, die ihr Leben lang sauber gearbeitet und ihr Handwerk gelernt haben, zu gängeln." Soll heißen: Vorher höhere Hürden, dafür hinterher leichteres Arbeiten für Wirte.
Michael Schwägerl bestätigt, dass es tatsächlich sehr leicht ist, eine Gaststätte zu eröffnen. "Eine halbtägige Unterweisung bei der Industrie- und Handelskammer und ein Gesundheitszeugnis", seien ausreichend. Mehr Zeit in die Ausbildung zu investieren und dafür später weniger Zeit für Kontrollen und Mängelbehebung sei schon lange eine Forderung von dehoga. "Es spricht einiges dafür", meint Hoffmann zu dem Vorschlag. Vielleicht ist das der Weg aus dem Wald.