Das hat sich ein Angeklagter aus Gemünden sicher anders vorgestellt: Gegen einen Strafbefehl legte der 51-Jährige Einspruch ein. Im Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht wurde er jedoch verurteilt – und dabei das Strafmaß von 30 auf 90 Tagessätze verdreifacht. Richterin und Staatsanwalt glaubten einer Paketbotin, dass der Angeklagte sie geschlagen hatte. Die Aussage einer Zeugin zugunsten des Angeklagten werteten beide als abgesprochen. Auf die Zeugin könnte deshalb nun ebenfalls ein Verfahren zukommen.
Und darum ging es: Am Nikolaustag vergangenen Jahres soll der Angeklagte eine Paketbotin vor seiner Wohnungstür stark mit der flachen Hand auf die Schulter geschlagen haben. Grund dafür soll die aus seiner Sicht zu lange Lieferdauer eines Pakets gewesen sein. Das Opfer habe dabei starke Schmerzen erlitten und war sechs Tage arbeitsunfähig.
Paketbotin soll Angeklagten beleidigt haben
"Stimmt das?", wollte Richterin Kristina Heiduck vom Angeklagten wissen. "Nein", antwortete dieser. Er habe lediglich im Spaß zur Botin gesagt: "Na, das war jetzt aber eine schwere Geburt." Da sei diese "sofort auf 180" gewesen. Es habe sich ein Streit um das Paket entwickelt und am Ende sei die Botin gegangen und habe noch "Du fettes Schwein" gerufen. Er habe die Beleidigung nicht angezeigt, weil er sich ja nicht "mit allen Russen anlegen" könne.
"Ich würde keine Frau schlagen", versicherte der 51-Jährige. Er sah als Grund für die Anschuldigung der Paketbotin einen Streit mit seinem Nachbarn in der Wohnung darunter. Gegen diesen hatte er im November nach dem Gewaltschutzgesetz erwirkt, dass dieser ihm nicht zu nahe kommen darf. Die Paketbotin kenne er schon, da sie mit jenem Nachbarn befreundet sei. Drei Tage nach dem Vorfall habe sie wieder lachend mit diesem zusammengestanden. So stark, so der Angeklagte, können die angeblichen Schmerzen also nicht gewesen sein. Er zitierte zudem seine 89-jährige Nachbarin, die gesagt habe, dass doch das "die von unten" gewesen und dass sie "ganz normal" zum Auto gegangen sei.
Eine Bekannte, die sich bei ihm zum Tatzeitpunkt in der Wohnung befunden habe, bestätigte als Zeugin, was der Angeklagte gesagt hatte. Sie habe nicht gehört, dass die Paketbotin etwa "Aua!" oder dergleichen gerufen hätte.
Opfer: Angeklagter "hat gleich angefangen mich anzuschreien"
Die 40-jährige Zustellerin schilderte den Verlauf hingegen anders. "Dieser Herr hat gleich angefangen mich anzuschreien." Er habe sich geweigert zu unterschreiben, sie dann geschubst und mehrfach auf den Oberarm geschlagen. Ihr seien die Tränen gekommen und sie habe "richtig starke Schmerzen" gehabt. Den Arm könne sie immer noch nicht richtig bewegen. Sie fuhr gleich zur Polizei. Beleidigt habe sie den Angeklagten nicht und dessen Nachbarn kenne sie auch nicht. Sie sei auch keine Russin, sagte sie unter Tränen, sondern Deutsche.
"Sie ist weinend und total durch den Wind auf die Dienststelle gekommen", sagte ein Polizeibeamter aus. Ihre Aussage habe glaubwürdig gewirkt. Der Angeklagte beschuldigte den Polizisten: "Sie haben ein paar Mal zu mir gesagt: Jetzt gestehen Sie doch, Sie waren das doch." Das habe er nicht, sagte der Polizist.
Staatsanwalt: "Geradezu mustergültig für eine abgesprochene Aussage"
"Beide Aussagen (von Angeklagtem und Opfer, d. Red.) sind so was von glaubwürdig, das hab ich ja noch nie erlebt", sagte der Verteidiger des Angeklagten. Das sahen Staatsanwalt und Richterin, die der Paketbotin glaubten, ganz anders. Der Staatsanwalt bezeichnete die Aussage der Bekannten des 51-Jährigen als "geradezu mustergültig für eine abgesprochene Aussage". Darin seien "genau dieselben drei Zitate" vorgekommen, die auch der Angeklagte gebraucht habe. Wegen Falschaussage wird nun vermutlich gegen die Bekannte ermittelt. Was den Staatsanwalt obendrein "sauer" machte, wie er sagte, war, dass es gegen eine Paketbotin ging, wo es diese mit schlechter Bezahlung, miesen Arbeitsbedingungen und maulenden Kunden doch ohnehin nicht leicht hätten.
Richterin Heiduck verurteilte den Mann zu 90 Tagessätzen à 15 Euro. "Sie haben sich am Ende selber verraten", sagte sie zum Angeklagten. Wie könne denn die Nachbarin zu ihm am Tag des Vorfalls gesagt haben: "Die ist ganz normal zum Auto gelaufen"? Er habe doch erst Tage später von der Strafanzeige erfahren. Sie nahm ihm übel, dass er seine Bekannte "in eine Falschaussage" habe "reinlaufen lassen".