Es wird ihn bis zu 100 000 Euro kosten, mit einem Ruderboot über den Atlantik zu fahren. Alleine 21 500 Euro beträgt das Startgeld für das Ruderrennen "Atlantic Challenge", an dem Martin Stengele 2024 teilnehmen will. Davon hat er die erste Rate über 1000 Euro schon gezahlt. In einem richtigen Ruderboot aber hatte er noch nie im Leben gesessen – bis zum Sonntag. Mit einem breiten Trimmi-Einer des Ruder-Clubs Karlstadt fuhr er ein paar Mal vom Bootssteg bis zum Brückenpfeiler und zurück. Danach gab er sich optimistisch: "Das mit dem Atlantik wird klappen."
"Vor knapp zwei Jahren habe ich einen Fernsehbeitrag über die vier Hamburger Mädels gesehen, die an der Regatta teilnahmen, und da ich schon immer einen starken Bezug zum Wasser habe, war klar: Das ist mein Ding!" Von Kindesbeinen an habe er zur See fahren wollen, erzählt der 51-Jährige. Vier Jahre diente er in der Bundesmarine, segelte dort beispielsweise auf einer Zweimast-Brigg mit. Für den Berufswunsch Kapitän aber fehlte das Studium. Und dann spielte auch eine Rolle, dass jemand mit diesem Beruf fast nie zu Hause ist.
Selbst unter Zugzwang gesetzt
Zwar ist der angehende Atlantikruderer in Stockach nahe des Bodensees aufgewachsen, mit dem Bootfahren hatte er aber dennoch nie etwas am Hut, bis er sich vor vier Jahren ein Kajak kaufte. Damit ist er seither oft auf dem Bodensee oder dem Neckar unterwegs, was ihm zumindest einige Grunderfahrungen brachte.
Die "Atlantic Challenge" startet jeweils im Dezember und dauert bis ins nächste Jahr. "Ursprünglich wollte ich 2021/22 mitfahren, aber das war mehr als naiv. Selbst 2022/23 war schon voll und bei 2023/24 kam ich als Soloruderer auch etwas zu spät." Nun ist er für 2024/25 fest angemeldet. "Seit ich vor einem Jahr mein Vorhaben öffentlich gepostet habe, habe ich mich selbst bewusst unter Zugzwang gesetzt."
Martin Stengele ist selbstständiger Sporttherapeut mit den Schwerpunkten Rückengesundheit, Fitness und Lehrtätigkeit. Er kommt vom Turnen und ist inzwischen auch Marathon gelaufen. "Dass ich das mit dem Rudern hinkriege, habe ich einfach unterstellt." Im Boot selbst erwies sich die Bewegung komplexer, als das vom Ufer aus wirkt. Sein Freund Stefan Herbert, der einst beim Bundeswettbewerb der Kinder im Einer den zweiten Platz errungen hatte, erklärte ihm, wie das geht. Und der Sportler kam fürs erste Mal sehr gut zurecht.
Auch ohne Boot bereitet sich Stengele schon seit einiger Zeit auf die große Herausforderung vor. In der Coronakrise hatte es ein halbes Jahr gedauert, ehe er einen Ruderergometer bekam. Darauf trainiert er nun seit Dezember zwei- bis viermal die Woche 20 Kilometer. Zwei- bis dreimal pro Woche gibt's Krafttraining – und das alles zusätzlich zu den Sportstunden, die er anleitet und zum Großteil selbst mitmacht. Auch hat er sich ein Küstenruderboot bestellt, mit dem er demnächst das Training auf dem Bodensee aufnehmen will.
Unwetter, Hitze und Ozeanriesen
Bei der „Talisker Whisky Atlantic Challenge“ (TWAC), wie sich der Wettbewerb genau nennt, will er jeweils zwei Stunden rudern und sich zwei Stunden erholen beziehungsweise schlafen. Gestartet wird auf der Kanareninsel La Gomera. Ziel ist nach rund 5000 Kilometern Antigua. Zugute kommen wird ihm die Meeresströmung.
Neben Salzwasser, Hitze, Regen und Stürmen gehen besondere Gefahren von Schiffen oder von Container aus, die über Bord gefallen sind und auf dem Ozean treiben. Auch wenn Stengeles Boot mit einem automatischen Identifikationssystem ausgerüstet sein wird, kann es sein, dass ihn eine Schiffsbesatzung übersieht. "Die gucken vielleicht nach mir, sehen mich aber nicht, weil ich so winzig und vielleicht gerade hinter einer Welle verschwunden bin."
Sein Boot wird circa sechs Meter lang sein und eine dreiviertel Tonne wiegen. Wenn er ein neues Boot kauft, werde dieses zwischen 60- und 70 000 Euro kosten – inklusiver aller technischen Einrichtungen wie Satellitentelefon, Meerwasserentsalzung und Rettungsinsel. Vorne und hinten gibt es jeweils eine Kabine. Sollte Stengele damit in einen Orkan geraten, könne er sich darinnen wie in einer Tonne aufhalten. Eine Schweizer Teilnehmerin hatte sich bei dem Rennen mit ihrem Boot überschlagen. Zur Sicherheit und für Filmaufnahmen werden die Teilnehmer von zwei Segelyachten begleitet. Zwei bis drei Monate will er in dieser Nussschale unterwegs sein.
Bloß nicht seekrank werden
Trotz guter Vorbereitung und hochentwickelter Technik droht den Teilnehmern eine weitere Gefahr, die der Dehydratation. Zehn Liter Wasser pro Tag sollen sie laut Empfehlung des Veranstalters trinken und mindestens 5000 Kilokalorien zu sich nehmen. Die Nahrung ist selbst mitzuführen. Seekrankheit könnte diese gründlichen Vorkehrungen mit einem Mal zunichte machen.
Martin Stengele sucht Förderer, die sein Vorhaben unterstützen. Zu finden sind seine Kontaktdaten und eine Kurzbeschreibung seines Vorhabens unterwww.sporttherapeut.info/atlantik-challenge-2024/. Jegliches Unterstützergeld, das über sein benötigtes Budget hinausgeht, wird dem Mukoviszidose-Verein Baden-Württemberg gespendet, ebenso der Erlös aus dem Boot, das hinterher verkauft werden soll.