Schlimmer als der Mord ist die Rassenschande", geiferte Richter Oswald Rothaug 1942. "Denn dadurch wird deutsches Blut für Jahrhunderte vergiftet." Rothaug war einer der gefürchtetsten Richter seiner Zeit. Dass er aus dem Sinngrund kommt, war bislang weitgehend unbekannt. Der fanatische Nationalsozialist mit dem Spitznamen "der Scharfrichter" oder auch "Henker von Nürnberg" wurde in Mittelsinn geboren und wuchs im Nachbardorf Aura (beides Lkr. Main-Spessart) auf. Er wurde später bei den Nürnberger Prozessen selbst verurteilt – im selben berühmten Schwurgerichtssaal 600 in Nürnberg, wo er sechs Jahre zuvor ein aufsehenerregendes Todesurteil gefällt hatte.
Rothaug verurteilte vor 70 Jahren den jüdischen Schuhhändler Leo Katzenberger aus Maßbach (Lkr. Bad Kissingen) wegen angeblicher "Rassenschande" in einem Schauprozess zum Tode – ein Urteil, das durch eine solch eklatante Rechtsbeugung zustande kam, dass sie sogar für das "Dritte Reich" ungewöhnlich war. Joseph Vilsmaier drehte über den Fall nach einem Buch der Journalistin Christiane Kohl 2001 den Film "Leo und Claire". Schon 1961 spielte der Fall eine große Rolle im Oscar-prämierten Spielfilm "Das Urteil von Nürnberg".
Bitterböses Gerede von Nachbarn brachte Lehmann (Leo) Katzenberger, der am 25. November 1873 in Maßbach bei Münnerstadt geboren wurde, im März 1941 in Haft. Der Vorwurf: Rassenschande. Seit dem 1935 erlassenen "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" war der sexuelle Kontakt zwischen "Ariern" und jüdischen Bürgern strafbar. Katzenberger wurde ein Verhältnis mit der jungen deutschen Fotografin Irene Seiler nachgeredet.
Leo Katzenberger, seit 1939 Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, hatte 1910 mit seinen Brüdern David und Max die Schuhwarenhandelskette Springmann gegründet. Katzenberger lebte seit 1912 in Nürnberg, wo der Schuhhandel seinen Hauptsitz hatte. Die Handelskette mit 21 Filialen in Süddeutschland mussten die Brüder 1938 unter Zwang verkaufen. Den Brüdern gehörten, zentral gelegen am Spittlertorgraben in Nürnberg, ein Hofgebäude und ein mehrstöckiges Wohnhaus.
1932 zog dort die junge Fotografin Irene Seiler ein. Seiler, 1910 mit dem Mädchennamen Scheffler geboren, war die Tochter eines Berliner Geschäftsfreunds Katzenbergers. Der alte Geschäftsmann und die junge Frau waren sich freundschaftlich verbunden. Sie besuchte ihn öfter im Schuhgroßhandel im Hofgebäude des Anwesens, er schaute ab und zu in ihrem Fotoatelier im Haus vorbei. Daraus dichteten gehässige Nachbarn ein sexuelles Verhältnis.
Landgerichtsdirektor Rothaug, klein gewachsen und mit auffallend schlechten Zähnen, war als erbarmungslos und voreingenommen bekannt. Wes braunen Ungeistes Kind er war, hatte er schon vor dem Prozess gegen Leo Katzenberger gezeigt. Einen 25-jährigen polnischen Zwangsarbeiter hatte er mit folgenden Worten zum Tode verurteilt: "Die ganze Minderwertigkeit des Angeklagten auf charakterlichem Gebiet ist offensichtlich in der Zugehörigkeit zum polnischen Untermenschentum begründet."
Nun zog Rothaug, der Karriere machen wollte, das Verfahren gegen Leo Katzenberger an sich. Rothaug, am 17. Mai 1897 in Mittelsinn geboren, hatte Jura in Würzburg studiert und war zwischenzeitlich Landgerichtsrat in Schweinfurt gewesen. Im April 1937 wurde er Landgerichtsdirektor und Vorsitzender des Sondergerichts in Nürnberg, das vor allem "Volksschädlinge" aburteilte. Unter Rothaug erwarb sich das Gericht den Ruf als besonders parteiisch und drakonisch urteilend. Beim Publikum war der Richter durch seine lautstarken Monologe und Nazi-Parolen beliebt.
Rothaug unterstellte, dass die "Tat", die Katzenberger vorgeworfen wurde, sicherlich auch im Dunkeln stattgefunden habe. Für "Rassenschande" gab es eigentlich höchstens eine Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren. Nach der "Volksschädlingsverordnung" von 1939 galt auch für kleine Straftaten mitunter die Todesstrafe, wenn sie unter Ausnutzung kriegsbedingter Umstände – wie der Pflicht zur Verdunkelung – begangen wurden.
Am 13. März 1942 begann der eineinhalbtägige Prozess gegen Katzenberger. Das Urteil stand im Voraus fest. Zu Prozessbeginn soll NS-Jurist Rothaug zu seinen Kollegen bemerkt haben: "Mir genügt es, dass das Judenschwein zugibt, ein deutsches Mädchen auf dem Schoß gehabt zu haben." Für den Prozess waren Platzkarten an die versammelten Nazifreunde Rothaugs verteilt worden. "Angeklagter, aufstehen!", kommandierte Rothaug den damals 68-jährigen Leo Katzenberger herum. "Umdrehen!" Dann belehrte er die braune Zuhörerschaft: "Seht ihr, so sieht ein Jude 1942 aus."
Den unbeherrschten Rothaug ärgerte, dass sich Irene Seiler, damals 31 und seit 1939 verheiratet, sogar unter Eid weigerte, eine Affäre mit dem viel älteren Kaufmann zu gestehen: "Ich kann doch nichts bestätigen, was sich nicht zugetragen hat." Der kleine wütende Mann brüllte die Frau daraufhin an: "Jawohl, Sie können auch lügen!" Kurzerhand klagte er die junge Frau wegen Meineids an, wodurch sie als Entlastungszeugin außer Gefecht war. Sie bekam zwei Jahre Zuchthaus.
Am Ende des windigen Prozesses berieten Rothaug und seine zwei Beisitzer kurz und verurteilten dann Leo Katzenberger ohne Beweis einstimmig zum Tode. "Die Rassenschande des Juden stellt einen schweren Angriff auf die Reinheit des deutschen Blutes dar", fabulierte Rothaug. "Der rassenschänderische Angriff ist gegen den Leib der deutschen Frau gerichtet." Und weiter: "Wenn heute deutsche Männer verbluten müssen, dann trifft die Schuld daran jene Rasse, die von Anfang an den Ruin Deutschlands erstrebte und heute noch hofft, das deutsche Volk würde in diesem Ringen nicht bestehen." Über das Urteil freute sich das antijüdische Hetzblatt "Der Stürmer" in einer Titelgeschichte und mit einem fratzenhaft retuschierten Foto Katzenbergers.
Am 3. Juni 1942 wurde Leo Katzenberger in München mit dem Fallbeil hingerichtet. Rothaug wurde so gewissermaßen zum Mörder in der Richterrobe. Das Todesurteil gilt als das erste Todesurteil, das im "Dritten Reich" wegen "Rassenschande" gefällt wurde. 1943 stieg Oswald Rothaug zum Ankläger am Volksgerichtshof in Berlin auf, dessen Präsident der berüchtigte Roland Freisler war. Als Richter wollten sie den Franken dort aber doch nicht.
Rothaug wurde 1947 im Nürnberger Juristenprozess wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil wurde später herabgesetzt auf 20 Jahre. Schließlich wurde er begnadigt und am 22. Dezember 1956 – als letzter verurteilter Nazijurist – aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Er ließ sich danach in Köln-Mülheim nieder.
Rothaug bereute das Urteil genauso wenig wie seine zwei Beisitzer, Karl Josef Ferber und Heinz Hugo Hoffmann, die sich erst 1967 verantworten mussten. Das Verfahren gegen die beiden nannte Rothaug eine "Dummheit". Denn: "Sollten wir in Rechtsfragen danebengegriffen haben – na und, das kommt doch jeden Tag vor." Die Beisitzer wurden erstinstanzlich verurteilt, nach Revision wurden die Verfahren gegen sie allerdings 1976 aus Alters- und Gesundheitsgründen eingestellt.
Nach Leo Katzenberger ist heute eine Straße in Nürnberg benannt. Seine Frau Klara (Claire) wurde 1942 deportiert und ermordet. Seine Töchter Käte und Lieselotte waren in den 30er Jahren nach Palästina emigriert, wo heute drei Enkel und mehrere Urenkel Katzenbergers leben. Enkel Joach Freimann, 59, ist in die Fußstapfen seines Großvaters getreten: Er betreibt heute in Jerusalem ein Schuhgeschäft und hat dort zwar nicht mit Staatsterrorismus, aber mit modernem Terrorismus Bekanntschaft machen müssen: 2002 sprengte sich vor dem Laden eine Selbstmordattentäterin in die Luft.