
Norbert Englert aus Partenstein sitzt täglich bis zu fünf Stunden im Zug. Dabei sollten es für den Pendler, der nach Frankfurt fährt und am Hauptbahnhof in die S-Bahn nach Zeppelinheim umsteigt, im besten Fall nur dreieinhalb Stunden sein. Aber das mit den dreieinhalb Stunden klappt viel zu häufig nicht.
Neulich hat es ihm gereicht. Weil sein Sohn und andere Partensteiner und Frammersbacher Schüler wieder einmal zu spät zur Schule nach Lohr, Gemünden oder Karlstadt kamen, da ihr Zug Verspätung hatte, schrieb er mehrere Bürgermeister und Abgeordnete an, sie mögen sich doch dafür einsetzen, dass sich bei der Bahn etwas bessert. Sein Sohn, der in Gemünden aufs Gymnasium geht, komme wegen Zugverspätungen etwa einmal die Woche zu spät zur Schule, sagt er.
Am Bahnhof in Partenstein erzählt Englert, dass er eigentlich „grün angehaucht ist – aber nicht politisch“, gern Bahnfahrer ist und auch im Urlaub oft die Bahn nimmt. „Ich bin eigentlich ein Fan der Bahn.“ Aber Zugverspätungen seien für ihn ein Dauerärgernis. Besonders der 6.04-Uhr-Regionalexpress, mit dem er morgens in Partenstein losfahren möchte, sei „oft spät unterwegs“. Am Frühstückstisch schaut er deshalb routinemäßig auf sein Handy, ob und wie viel Verspätung sein Zug hat. Andere Züge, so sein Eindruck, seien pünktlicher.
Der 58-jährige Ingenieur, der aus Frammersbach stammt und den man in Lohr als ehemaligen Bürgermeisterkandidaten kennt, arbeitet seit sechs Jahren für eine Heizungs- und Klimabaufirma. Der Zug ist für den Weg zur Arbeit für ihn das „Verkehrsmittel der Wahl“. Dort packe er oft seinen Laptop aus und mache schon was für die Arbeit oder entspanne auf dem Heimweg – wenn er sich nicht gerade wieder einmal aufregen muss.
Eigentlich gern Bahnfahrer ICE-Zuschlag bringt Englert häufig nichts
Für die Monatskarte inklusive ICE-Zuschlag zahlt er 305 Euro, was viel günstiger sei, als die Strecke mit dem Auto zu fahren. Allerdings verpasse er bei einem verspäteten Regionalexpress den ICE von Aschaffenburg nach Frankfurt häufig, weshalb der Zuschlag oft für die Katz ist. Auf der Rückfahrt habe seine S-Bahn wegen bis zu sieben verspäteter Fernzüge ebenfalls oft Verspätung, ebenso wie der ICE nach Aschaffenburg, weshalb sein Rückweg statt zwei nicht selten drei Stunden dauere.
Die Pünktlichkeit der Züge unter der Woche zu den Hauptverkehrszeiten morgens und abends bezeichnet er als „große Katastrophe“. Die Englerts sind eine Bahnpendlerfamilie: Auch seine Frau, die den Zug nach Hanau nimmt, ist von Verspätungen betroffen. Und die Familie ist nicht allein: Mit ihm seien es morgens bestimmt 50 Frammersbacher und Partensteiner, die Richtung Frankfurt pendeln, schätzt Englert.
Auch ehemaliger Rechtenbacher Bürgermeister betroffen
Einer, den es ebenfalls betrifft, ist der ehemalige Rechtenbacher Bürgermeister Andreas Frech, der jetzt in Lohr wohnt. Von dort pendelt er morgens mit demselben Regionalexpress wie Englert nach Seligenstadt, wo er im öffentlichen Dienst arbeitet. „Kürzlich erst hatten wir mal wieder 50 Minuten Verspätung“, erzählt Frech. Er schätzt die Zahl der Verspätungen auf dem Hin- und Rückweg auf fünf bis zehn im Monat. „Es gibt Tage, da ist es extrem.“
„Die Begründungen sind immer die gleichen“, schreibt Englert in seinem Schreiben an Abgeordnete und Bürgermeister: „Störung im Betriebsablauf“, „technische Störung am Zug“, „Türstörung“ und „verspätete Bereitstellung des Zuges“. Er sieht darin ein „Organisationsversagen seitens der Bahn am Standort Würzburg“.
Wechsel des Verspätungsgrunds ärgert Englert
„Das Ganze wird dann zur Verarschung der Bahnkunden, wenn während der Fahrt dann die Verspätungsbegründung auf ,Verspätung wegen Überholung durch einen ICE‘ wechselt“, schreibt Englert. „Spätestens hier schwillt mir gewaltig der Kamm, obwohl das nicht gut für meinen Blutdruck ist.“ Ansonsten herrsche bei den Bahnpendlern Richtung Würzburg oder Frankfurt „ohnmächtige Resignation über die dauernden Verspätungen“. Englert: „Aufregen tun sich nur die Gelegenheitsfahrer – natürlich mit den falschen Adressaten, nämlich den Zugbegleitern.“
Andreas Frech findet es gut, dass Englert mal auf den Putz haut. Weil Frech nach Seligenstadt zweimal umsteigen muss, komme es oft vor, dass sein Anschlusszug weg ist.
Schrecken Verspätungen Schüler ab?
Englert fürchtet, dass die Schüler, die als Pendler zur Schule schon schlechte Erfahrungen mit der Bahn gemacht haben, dieser später den Rücken kehren.
Vor einem Jahr arbeitete er an einem Projekt in Berlin und musste monatelang mit Fernzügen fahren. Interessanterweise habe es da funktioniert. „Da muss man sagen, da kann man nicht meckern.“ So würde er sich das auch im Nahverkehr wünschen.
Keine gescheiten Qualitätskontrollen?
Die Qualitätskontrollen der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), die er ebenfalls mit in den Verteiler genommen hat, könne er nicht besonders ernst nehmen, wenn diese sich „schwerpunktmäßig in Abfallbehältern und Toiletten abspielen“, schreibt Englert. Bestimmt einmal die Woche laufe ein solcher Kontrolleur durch den Zug.
„Die Pünktlichkeit des Main-Spessart-Expresses ist auch für die BEG als Aufgabenträger nicht akzeptabel“, teilt auf Anfrage BEG-Pressesprecher Wolfgang Oeser mit. Die Bahn muss regelmäßig Vertragsstrafen zahlen, weil sie die Zielvorgabe von 90 Prozent pünktliche Züge im Monat nicht erreicht. Der bisherige Jahreswert 2018 liegt mit rund 83 Prozent immerhin um gut zwei Prozent über dem von 2017, so Oeser.
Gespräche bezüglich Verbesserungen
Die BEG stehe für Verbesserungen in Gesprächen mit der Deutschen Bahn. In Kürze soll es auch einen gemeinsamen Termin der BEG mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund „zur systematischen Verbesserung der Pünktlichkeit für den am stärksten betroffenen Bahnhof Frankfurt a. M. zu erarbeiten“.
Die BEG wisse aber um die „schwierigen Rahmenbedingungen“ des Main-Spessart-Expresses, etwa die sehr hohe Streckenauslastung mit dichtem Fern- und Güterverkehr sowie ein reges Baugeschehen – aus beidem resultiert eine Verspätungsanfälligkeit. Dies könne weder die BEG noch die DB Regio direkt beeinflussen.
Nicht nur Abfallbehälter und Klos werden untersucht
Der Vorwurf Englerts, „dass sich die BEG-Qualitätskontrollen schwerpunktmäßig mit der Überprüfung von Abfallbehältern und Toiletten befassen“, ist laut Oeser nicht zutreffend. Im Rahmen von Qualitätstests würden aber auch die Sauberkeit und Funktionalität von Toiletten oder Abfallbehältern untersucht.
Aus dem Innenministerium hat Englert bereits eine erste Antwort auf seine Mail gekriegt: „Sie sprechen allen Bahn- und S-Bahn-Pendlern aus dem Herzen“, heißt es darin. Staatssekretär Gerhard Eck habe die Mail Englerts an das neue Ministerium für Bau, Wohnen und Verkehr, das Ilse Aigner untersteht, weitergeleitet. „Von dort werden Sie eine Antwort erhalten.“
Auf eine Anfrage der Redaktion teilte ein Bahnsprecher mit: „Bei der Bahnstrecke Würzburg – Aschaffenburg – Frankfurt handelt es sich um eine viel befahrene Bahnstrecke. Auf dieser Strecke verkehren über 200 Züge (Fernverkehr, Regionalverkehr und Güterverkehr) täglich. Zu zurückliegenden Verspätungen des RE 4602 (6.04 Uhr ab Partenstein) kann ich mitteilen, dass seit Ende März zur Verbesserung der Pünktlichkeit die Vorbereitungszeit für das Zugpersonal verlängert wurde. Die eingeleiteten Maßnahmen zur besseren Zugvorbereitung wirken und die Verspätungen, aufgrund der Zugvorbereitung, sind deutlich zurückgegangen.“