"Igittigitt!" - die Gäste staunten bisweilen am Sonntag, als Apotheker Dr. Eric Martin ihnen am Tag des offenen Denkmals ausgewählte Stücke aus einer Sammlung in seinem Museum Obertorapotheke in Marktheidenfeld näherbrachte. Rund 50 Personen konnte er zusammen mit seiner Gästebetreuerin Christina Buder unter anderem zu zwei Führungen begrüßen.
Pulver, Tinkturen oder Salben
"Sein & Schein" war das Thema. Dieser Widerspruch werde schon im Alltag deutlich, wenn Museumsbesucherinnen und -Besuchern die äußere Anmutung des Gebäudes in der Obertorstraße mit über 300-Jähriger Baugeschichte für bare Münze nähmen und in den Öffnungszeiten ein Arzt-Rezept mitbrächten oder mal schnell noch ein paar Kondome besorgen wollten.
Martin stellte kurz die Geschichte des Hauses, der Apotheke und des schließlich daraus entstandenen Museums seit Mitte des 18. Jahrhunderts dar und wandte sich dann dem eigentlichen Thema zu. In der Vergangenheit hätte man die Besucher einer Apotheke bewusst auf Distanz gehalten und dies nicht nur rein räumlich. Kunstvoll gestaltete Vorratsbehälter, Gefäße oder Flaschen hätten eine gewisse Geheimniskrämerei und Exotik befördert.
So trugen diese auch für banale Pulver, Tinkturen oder Salben lateinische Inschriften. Abkürzungen auf den Etiketten trugen im 17. Jahrhundert noch alchemistischen Charakter und verschleierten auch mit rätselhaften Symbolen die wirklichen Inhalte. Dies wich erst Mitte des 18. Jahrhunderts rational begründeten chemischen Bezeichnungen.
Philosophische Spekulationen als Grundlage der Heilung
Der historische Arzneischatz bot im Wechselspiel von Krankheitslehre und Heilmitteln dann erst recht Anlass zu oftmals auch amüsanten Betrachtungen über das Sein und den Anschein. In früheren Zeiten unterschieden sich Medikamente stark von denen der heute wissenschaftlich begründeten, modernen Pharmazie. Philosophische Spekulationen seien schon in den alten Hochkulturen zur Grundlage der Heilung von Krankheiten geworden.
Den vier Grundelementen Luft, Feuer, Erde und Wasser habe man in der hippokratischen Schule vier Kardinalsäfte des Körpers zugeordnet. Diese sollten in einem harmonischen Gleichgewicht stehen oder mittels Arzneipflanzen, organischen Stoffen oder Mineralien dahin gebracht werden. Nicht immer führte dies zum gewünschten Erfolg – und verschlimmerte oft die Symptome sogar. Allerdings hätten sich solche unhaltbaren Vorstellungen teilweise bis in die Jetztzeit tradiert.
Dies gelte auch für die Signaturenlehre. Anhand von Merkmalen wie Farbe, Form, Geruch, Geschmack oder Standort von Heilmitteln schloss man auf die ihnen innewohnende Wirkung. Namen wie Paracelsus oder Oswald Croll seien in diesem Zusammenhang zu erwähnen, führte Eric Martin aus.
Als Beispiele erwähnte er, wenn Bohnen wegen scheinbarer Übereinstimmung in ihrer Form gegen Nierenleiden oder Walnüsse für Erkrankungen des Gehirns verordnet wurden. Gemahlene Hirnschale hielt man für ein probates Mittel gegen Epilepsie, weil dies scheinbar eng miteinander zusammenhing. Rote Koralle galt wegen der Farbübereinstimmung als blutstillend. Vermeintliches Walsperma erklärte man als fortpflanzungsförderlich, Gemskugeln verordnete man gegen Schwindel. Hasenknöchlein dienten der Schnelligkeit und in Öl gekochte, kaltblütige Frösche sollten das Fieber senken können.
Menschliche und tierische Exkremente
Solche Verfahren wurden durch die Chemiatrie abgelöst, in der man die vermeintlichen Wirkstoffe durch Veraschen und Auslaugen isolieren wollte und ausnahmslos völlig wirkungslose Produkte hervorgebracht hatte.
Eine besonders bizarre Ausprägung der Medizin habe Ende des 17. Jahrhunderts Christian Franz Paullini in seiner "Heylsamen Dreckapotheke" propagiert. In dieser wurden menschliche und tierische Exkremente als Basis der Gewinnung von Heilmitteln angesehen. Füttert man Hunde beispielsweise bevorzugt mit Knochen, so glaubte man aus deren getrocknetem, weißen Kot mit dem Pulver "Album graecum" ein Mittel gegen Koliken und Durchfall gefunden zu haben.
Ab dem nächsten Frühjahr möchte Dr. Eric Martin ausgewählte Kapitel aus der Heilmittelgeschichte in einem neuen, fünften Museumsraum, dem einstigen Nachtdienstzimmer der Obertorapotheke, zeigen. Ab Winter soll ein Audio-Guide auf Smartphone-Basis den Gästen die Dauerausstellung zur Pharmaziegeschichte in zwanzig Stationen in deutscher und englischer Sprache näher erläutern.