
Deutschlandweit verkaufen Energieversorger Erdgas, das sie als klimaneutral oder umweltfreundlich bewerben. Kundinnen und Kunden wird so vermittelt, sie könnten für ein paar Cent Aufpreis etwas gegen den Klimawandel tun. Das Argument: Emissionen, die der fossile Energieträger Erdgas produziert, würden durch Klima- und Umweltprojekte ausgeglichen. Nun zeigt sich: Das stimmt nicht grundsätzlich.
In einer Kooperation des Recherchenetzwerks Correktiv.Lokal hat diese Redaktion Gutschriften und Projekte ausgewertet, die Erdgasversorger aus Unterfranken zum Werben für Öko-Gas nutzen. Die Daten stammen aus den beiden größten öffentlichen Registern des freiwilligen Kompensationsmarkts, Verra und GoldStandard.
Die Auswertung zeigt: In vielen Fällen täuschen scheinbar klimafreundliche Projekte die Kundschaft der Gasversorger – auch in Unterfranken. Antworten auf wichtige Fragen.
Wie funktioniert der freiwillige Kompensationsmarkt?
Gibt ein Unternehmen klimaschädliche Emissionen ab, kann es auf dem Kompensationsmarkt zum Ausgleich Gutschriften kaufen. Solche Gutschriften basieren auf Projekten, die angeben, irgendwo auf der Welt Klimaschutz zu betreiben.
Der Gedanke: Emissionen, die in Unterfranken entstehen, können in einem anderen Land eingespart werden. Zum Beispiel, indem ein Wald nicht gerodet wird, sondern erhalten bleibt. Ein Zertifikat entspricht dabei einer Tonne CO2.
Welche Probleme gibt es derzeit bei der freiwilligen Kompensation?
Der freiwillige Ausgleich ist nicht staatlich reguliert. Häufig mangele es an Transparenz und Glaubwürdigkeit, Endverbraucher könnten nichts überprüfen, sagt Prof. Harald Bolsinger, Wirtschaftsethiker an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS). Kernproblem des freiwilligen Zertifikatehandels sei, dass den Kunden versichert werde, sie könnten guten Gewissens fossile Energie weiter nutzen.
Bolsinger sieht darin einen "Marketingfreifahrtschein": Es würden Öko-Projekte angepriesen, die es ohnehin gibt. Werde beispielsweise ein Wald erhalten, der sowieso hätte stehen bleiben sollen, "gibt es quasi Geld für nichts".
Laut dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) ist ein Projekt für den CO2-Ausgleich geeignet, wenn es zusätzlich und dauerhaft entsteht und messbar und transparent ist. Und Emissionen, die im Projekt eingespart werden, dürften nicht anderswo ausgestoßen werden. Außerdem dürfe eingespartes Kohlendioxid (CO2) nicht mehrfach gezählt werden.
Landen CO2-Gutschriften aus ungeeigneten Projekten in Unterfranken?
Die Auswertungen von Correctiv.Lokal und dieser Redaktion zeigen: Auch an Gasversorger in Unterfranken werden Zehntausende Gutschriften verkauft, die laut Experten nicht zum Ausgleich geeignet sind. Die Datensätze von Verra und GoldStandard geben an, welche Firmen wann und wie viele CO2-Ausgleichszertifikate aus welchen Projekten gekauft haben.
Von den zehn Erdgasanbietern in Unterfranken bieten einige eine Ökogas-Variante an: die Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV), die Energieversorgung Lohr-Karlstadt und Umgebung GmbH & Co. KG, die Aschaffenburger Versorgungs-GmbH sowie die Gasversorgung Unterfranken GmbH (Gasuf), zu der die Gasversorgung Miltenberg-Bürgstadt GmbH und die Bayerische Rhöngas GmbH gehören.
Alle diese Ökogas-Anbieter haben Gutschriften aus Projekten erworben, die Expertinnen und Experten als ungeeignet für den CO2-Ausgleich einstufen.
Aus welchen Projekten stammen die CO2-Gutschriften der Gasversorger aus Unterfranken?
Seit 14 Jahren bietet die WVV ihr "Mein Frankengas Klima" an. Über den Drittanbieter "First Climate" erwirbt der Versorger laut eigenen Angaben seitdem CO2-Gutschriften aus Indien, Brasilien und der Türkei. Das Geld soll dort in Wind- und Wasserkraftwerke fließen.
Die Zertifikate der vergangenen zwei Jahre stammen aus dem Kinnaur-Wasserkraftwerk im Nordwesten Indiens. Schon 2011 schätzten Wissenschaftler der Uni Heidelberg das Projekt als ungeeignet für die Kompensation ein, weil es vermutlich auch ohne die Gelder des Zertifikatehandels entstanden wäre. Etwa 20.000 Tonnen CO2-Äquivalente sind demnach über dieses Projekt seit 2022 nicht ausgeglichen worden.
Aus einem ähnlichen Wasserkraftprojekt hat die Energieversorgung Lohr-Karlstadt und Umgebung etwa 800 Gutschriften erworben. Dem Versorger zufolge wurden sie für einen "öffentlichen Auftraggeber" und nicht für Privatkunden beschafft.
Die Gasuf hat den Registerdaten zufolge zur Kompensation ihres Produkts "Option green - CO2-kompensiertes Erdgas" 28.000 Gutschriften aus Waldschutzprojekten in Brasilien erworben. Das entspricht 28.000 Tonnen CO2 - umgerechnet dem jährlichen CO2-Ausstoß von 2500 Menschen.

Besonders die Wirkung von Waldschutzprojekten wird jedoch stark angezweifelt. Kritiker sagen, dass freigesetzter fossiler Kohlenstoff das Klima über Jahrhunderte bis Jahrtausende beeinträchtige - die Speicherung von Kohlenstoff im Baum als Ausgleich deshalb allenfalls einem "Zwischenparken" gleichkomme.
Auch die Aschaffenburger Versorgungs-GmbH hat aus fragwürdigen Waldschutzprojekten Gutschriften gekauft – etwa 2800 sind im Verra-Register festgehalten. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben nach negativen Berichten über die Projekte den Zertifikatgeber gewechselt.
Was sagen die Unternehmen und Erdgas-Anbieter?
Die Gasuf mit Sitz in Würzburg teilt mit, man habe das Thema an den Projektpartner und den "unabhängigen Projektzertifizierer" zur Prüfung weitergeleitet. "Bis zur Klärung dieses Sachverhaltes haben wir unser Angebot 'Option green – CO2-kompensiertes Erdgas' vom Markt genommen", teilt der stellvertretende Vertriebsleiter Alexander Stockmann mit.
Das gelte auch für das Angebot der Gasversorgung Miltenberg-Bürgstadt und der Bayerischen Rhöngas. Was das für die Kundinnen und Kunden bedeutet, lasse sich noch nicht sagen, so Stockmann. Gasuf-Geschäftsführer Thomas Merker teilt mit, dass bei der "Option green-Erdgas" bewusst nicht mit Klimaneutralität geworben worden sei.
Die WVV gibt auf Anfrage an, "dass wir ausschließlich Emissionsminderungsnachweise beziehen, die nach anerkannten Standards (in diesem Fall dem Verified Carbon Standard) zertifiziert wurden".
Kritik an einem spezifischen Projekt nehme die WVV sehr ernst. Die Möglichkeiten, als Käufer der CO2-Zertifikate zur Aufklärung beizutragen, seien jedoch begrenzt.
Die Energieversorgung Lohr-Karlstadt und Umgebung antwortet, sie beliefere Kunden mit herkömmlichem Erdgas. Für "eine kleine einstellige Kundenanzahl" habe man das Nischenprodukt "meinÖkogas Regio" - weil dies "explizit von den Kunden gewünscht wurde". Die Ökogas-Variante sei bis zur "Klärung der Sachlage" mit dem Dienstleister aus dem Angebot genommen worden.
Diese Recherche ist eine Kooperation von Main-Post und CORRECTIV.Lokal. Das Lokaljournalismus-Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt über die Klimakrise. Weitere Infos: correctiv.org/klima
Jeder bezieht jetzt den ÖKO-Strom bzw. wird es der Industrie teilweise sogar vorgeschrieben. Wo soll der denn momentan herkommen? Und die andere Frage? Wer muss den "bösen"Nicht-ÖKO Strom verbrennen? Ist der vielleicht sogar günstiger?
Man verpulvert zwar weiterhin fossile Brennstoffe als gäbe es kein Morgen, dafür spendet man Geld, damit irgendwo auf der Welt Leuten mit ohnehin praktisch nicht vorhandenem CO2 Fußabdruck klimaneutrale Öfen hingestellt werden. Das ist Klimaschutz nach Gutsherrenart. Oder sollte man Kolonialherrenart sagen?
Hauptsache, man muss den eigenen faulen Arsch nicht bewegen.
hilft nur eins: selber kümmern (z. B. konsequent "Bio" kaufen statt billig-billig-billig).
Bei solchen "Projekten" kann einem doch jede/r das Blaue vom Himmel herunter erzählen, ohne dass es irgendjemand wirklich nachprüfen kann. Wobei ich mir außerdem sicher bin, dass es auch Regierungsstellen irgendwo auf der Welt gibt, die so einer Organisation gegen eine "kleine Gebühr" so ziemlich alles bestätigen, was die verlangt. Ich will nicht sagen: alles Augenwischerei, aber gefühlt ziemlich nahe dran, und bin der Meinung, wenn man schon sein Geld zum Fenster rauswerfen will, gibt es schönere (und umweltfreundlichere) Möglichkeiten als irgendwelchen undurchsichtigen Typen ihr Dolce Vita zu finanzieren.