Einige turbulente Jahre hat Beate Friedrich schon hinter sich. Seit etwas mehr als vier Jahren lebt sie in Shanghai, im Stadtviertel Hongqiao, im Ortsteil Minghang und dort in der „Chengjiaqiaozhi lu 3215“. Obwohl ihr Lebenslauf ganz „normal“ begann – mit dem Besuch im Gambacher Kindergarten und einem Abschluss an der Johann-Rudolph-Glauber-Realschule in Karlstadt.
Der bodenständigen, aber für Frauen nicht ganz typischen Ausbildung von 1990 bis 1994 bei Siemens VDO Würzburg (heute Brose-Fahrzeugteile GmbH) zum Industriemechaniker folgte eine berufsbegleitende Weiterbildung zum Maschinenbautechniker. Nach 20 Jahren bei Brose suchte sie jedoch eine Veränderung. Als die Volkswagen AG, ein Brose-Kunde, eine Lokalisierung (Anpassung an ein Absatzgebiet) des Doppelkupplungsgetriebes für China plante, war die Gelegenheit da. Im Januar 2011 wechselte die Projektleiterin in das Brose-Büro nach Shanghai.
Ihr Auftrag waren die Lokalisierung und Entwicklung von Getriebeaktuatoren (Optimierung des Schaltpunktes, Reduzieren des Verbrauchs und CO2-Ausstoßes). Und seit dem Projektende entwickelt sie nun mit dem Team Bauteile für die Märkte in Asien und für andere Getriebehersteller. Zur Abstimmung kommt sie mehrmals jährlich in die Firmenzentrale nach Deutschland und für Projekt- oder Vertriebsgespräche zu Kunden in die USA, nach Mexiko, Korea, Japan oder in chinesische Städte. Ihr Vertrag für China wird Ende 2015 enden. Dann wird sie sich entscheiden, ob sie weiter in Shanghai bleiben oder nach Deutschland zurückkehren will. Weil sie sich auch privat sehr schnell in Shanghai zurechtgefunden hat, ist die Rückkehr noch nicht beschlossen.
Denn im September 2013 lernte sie Chen Jianwei auf dem Flughafen in Shanghai kennen. Jianwei wollte zur IAA nach Frankfurt und sie nach Würzburg. Beim Verladen des Gepäcks lernten sie sich kennen. Jianwei spricht etwas Deutsch. Er arbeitet bei Shanghai General Motors – einem Kunden von Brose. Aus den Gesprächen rund um Motoren wurde mehr. Vom täglichen Chat über WeChat (das chinesische WhatsApp) war es nicht mehr weit bis zu gemeinsamen Abendessen und Kinobesuchen. Seit Februar 2014 wohnen die beiden zusammen in Shanghai, und am 10. Januar 2015 wurde geheiratet.
An diesem Tag betrat das Paar mit vielen anderen Pärchen ein „Heiratsbüro“. Alle saßen nebeneinander am „Hochzeitsschalter“. „Eine Atmosphäre, wie früher in der Post oder Bank“, berichtet Beate ernüchtert. Nach dem Einreichen der Dokumente bekamen die Eheleute ein rotes Hochzeitsbuch (eine Art Stammbuch), und die Trauung war geschafft.
Wesentlich romantischer wurde aber die Hochzeitsfeier am 6. Februar. Beates Eltern und ihre Schwester waren aus Gambach angereist. Auf Schwiegermutter Yan MeiJuangs Wunsch hin wurde das Ehebett mit roter Bettwäsche überzogen. Die chinesische Verwandtschaft hatte nahezu die ganze Wohnung rot dekoriert und den Tisch mit Snacks geschmückt. Nüsse und Früchte mussten in einer bestimmten Reihenfolge liegen, damit ein Reim über „Glück und Fruchtbarkeit“ lesbar wurde. Gefeiert wurde in einem Restaurant. Nach Reden von den Vätern und von Jianwei (auch auf Deutsch) sprach auch Beate Friedrich einige Worte auf Chinesisch. Oma Mo Aiyu stimmte einige Stücke aus einer chinesischen Oper an, und die internationale Hochzeitsgesellschaft feierte prächtig.
Auch die Eltern von Jianwei wohnen in Shanghai. Die Familie hat in China einen hohen Wert, wohl aufgrund der „Ein-Kind-Politik“. Nahezu jedes Wochenende essen sie gemeinsam. Obwohl die Kommunikation schwierig ist, fühlt sich Beate Friedrich dabei sehr wohl. Ihr Chinesisch (Mandarin) wird ständig besser, aber Jianweis Eltern sprechen eigentlich Shanghainese. Und Shanghainese hat mit Mandarin so viel gemeinsam wie Deutsch mit Holländisch. „Auch wenn die Eltern Mandarin sprechen, haben sie doch einen so starken Akzent, dass ich Schwierigkeiten habe, es zu verstehen. Dazu kommt, dass mein Mandarin fränkisch unterlegt ist“, berichtet sie verschmitzt, um anzufügen, dass die Aussprache sehr wichtig ist. „Gleiche Wörter, mit unterschiedlicher Tonart gesprochen, können eine ganz andere Bedeutung haben.“, sagt sie. „Qing wen“ bedeutet „Kann ich Sie bitte etwas fragen?“, kann aber auch heißen: „Kann ich Sie bitte küssen?“.
Anpassen musste sie sich auch beim Essen. Aber es gibt auch Kompromisse zwischen deutscher, fränkischer und chinesischer Kochkunst. Chinesen, auch Jianwei, essen dreimal am Tag warm. So hat sie sich daran gewöhnt, schon zum Frühstück Nudelsuppe oder Huntun (Teigtaschen) oder Jiaozi (eine Art Ravioli) zu kochen. Das Essen in China empfindet sie als abwechslungsreich.
Als sie mit Jianwei in Gambach spazieren war, sammelte er Weinbergschnecken. Die wollte er ihren Eltern kochen. Jianwei konnte nicht verstehen, dass die Eltern darauf keinen Appetit hatten. Aber der (etwas bittere) Löwenzahn, den er gekocht hatte, wurde gegessen. Löwenzahnblätter werden in China als Salat geschätzt, währenddessen die fleischige Wurzel zur Gewinnung von Tee und Pharmazeutika verwendet wird. Auch das Yin und Yang ist den Chinesen beim Essen wichtig, sagt sie. Sie achten darauf, dass das Essen, welches den Körper wärmt, ausgeglichen zu den Speisen serviert wird, welche den Körper kühlen. Jianweis Familie bevorzugt im Winter Lamm, weil das gut wärmt. Andere Chinesen essen stattdessen Hund.
Die Hafenstadt Shanghai hat Beate Friedrich in ihr Herz geschlossen. Die Innenstadt hat etwa 15 Millionen Einwohner, in den Randbezirken leben weitere fünf Millionen, eine extreme, interessante und moderne Stadt mit unterschiedlichen Kulturen. Mit ihrer chinesischen Familie lernt sie jetzt auch die andere Seite von Shanghai kennen: die chinesische!