Für die Betroffenen sind es Ausnahmesituationen, wenn Gabi Rösch gerufen wird. In den meisten Fällen ist ein Angehöriger gestorben, ums Leben gekommen oder hat Suizid begangen. Die 59-Jährige aus Mittelsinn ist seit 2011 ehrenamtliche Notfallseelsorgerin, ihr Einsatzgebiet ist der Raum Gemünden und Karlstadt. Sie ist in der schweren Stunde dabei, wenn die Polizei eine Todesnachricht überbringt. Während die Polizeibeamten wieder gehen, bleibt sie ein, zwei Stunden und redet, tröstet, gibt Halt und Empfehlungen, ruft Verwandte und Freunde an. Auf Wunsch spricht sie auch ein Gebet mit den Betroffenen oder einen Segensspruch für den oder die Verstorbene.
"Vor allem hören wir erstmal zu", sagt Rösch über das, was sie tut, wenn gerade eine Todesnachricht überbracht wurde. Wenn jemand nicht reden möchte, dann schweige sie mit. Wichtig sei, dass die Leute sitzen und was trinken. "In der Situation selber bleibe ich sehr sachlich", sagt die Mittelsinnerin – "schon mitfühlend, aber mit einer gewissen Distanz". Das sei nötig, wenn man selber Halt geben wolle. Sie bleibe so lange, bis sie mit ruhigem Gewissen wieder fahren könne, wenn sie also sicher ist, dass der Betroffene alleine bleiben kann, oder wenn Angehörige oder Freunde gekommen sind. Oft ist sie es, die in der Schule anruft, dass ein Kind der Familie am nächsten Tag wegen des Trauerfalls nicht in den Unterricht kommt.
Besonders schlimm sei es, wenn jemand vom Tod eines Angehörigen aus den Medien erfahre, etwa durch Unfallbilder im Internet. "Das ist keine gute Situation." In dem Moment ist eben kein Notfallseelsorger mit dabei, der die Betroffenen auffangen könnte. Sie sei in einem solchen Fall einmal erst am nächsten Tag gerufen worden, weil die Hinterbliebenen noch Hilfe wollten. Polizei, Feuerwehr oder Rotes Kreuz können über die Einsatzzentrale einen Notfallseelsorger anfordern. In den meisten Fällen geht es ums Überbringen einer Todesnachricht. "Ich habe noch nie die Erfahrung gemacht, dass man nicht willkommen ist."
Sie erlebe die unterschiedlichsten Emotionen bei solchen Einsätzen. Bei Suizidfällen machen sich die Angehörigen oft Vorwürfe. Sie versuche dann zu vermitteln: "Da hat keiner Schuld, außer derjenige, der es gemacht hat." Einmal, als ein noch recht junger Vater aus gesundheitlichen Gründen plötzlich gestorben ist, habe die schon erwachsene Tochter dem Vater Vorwürfe gemacht, wie er die Familie einfach so im Stich lassen könne. Um die Trauer zu verarbeiten und Abschied nehmen zu können, empfiehlt sie häufig einen Brief zu schreiben. Eltern eines Kindes, das seinen Großvater verloren hat, hat sie schon empfohlen, es solle doch ein Bild zum Abschied malen.
Seit 1. Dezember 2002 existiert im Landkreis Main-Spessart ein Notfallseelsorge-System. Zum Team gehören derzeit 14 Hauptamtliche der evangelischen und katholischen Kirche – Pfarrer, Diakone, Pastoralreferenten –, Gabi Rösch als die einzige Ehrenamtliche sowie drei Notfallseelsorger vom Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes. Rösch, die seit Kurzem auch evangelische Dekanatsbeauftragte für die Notfallseelsorge ist, gehört mit einem Pastoralrefernten, einem Diakon und einem Mann vom Roten Kreuz zum Leitungsteam, das etwa die Dienstpläne mit drei Schichten erstellt. Wie alle anderen haben auch die Pfarrer im Team zuvor eine Schulung für Notfallseelsorger machen müssen. Rösch würde sich freuen, wenn sich noch Ehrenamtliche oder auch Diakone als Mitarbeiter in der Notfallseelsorge melden würden. Für die Katholischen gebe es Mitarbeiterschulungen in Würzburg, für die Evangelischen in Neuendettelsau.
Sie selbst hat während ihrer Zeit in Bad Brückenau, wo sie in einer Klinik als Hauswirtschafterin und Ernährungsberaterin tätig war, innerhalb der Landeskirchlichen Gemeinschaft von 1994 bis 1998 eine seelsorgerische Ausbildung gemacht. Die berechtigt sie in schwierigen Situationen beratend tätig zu sein. 1998 zog sie zu ihrem Mann nach Mittelsinn. Als ihre Tochter in der 5., 6. Klasse war, dachte sie sich, dass Notfallseelsorge etwas für sie wäre, und machte ein Grundlagenseminar. Dabei ging es etwa um die Frage: "Wie verhalte ich mich, wenn von der Polizei die Todesnachricht überbracht wird?"
Drei Wochen Dienst in einem halben Jahr
In einem halben Jahr habe ein Notfallseelsorger auf Schichten verteilt maximal drei Wochen Dienst. Jeder hat dafür, wie ein Feuerwehrmann, einen eigenen Piepser. Es gebe Wochen, in denen sei "gar nichts los", sagt die 59-Jährige. In anderen könne es passieren, dass man zwei Einsätze habe. Vergangenes Jahr ist Gabi Rösch etwa zehnmal rausgefahren. Natürlich gelte für die Notfallseelsorger die Schweigepflicht. Wenn sie jemand neugierig fragt: "Da warst du doch?", antworte sie nur: "Ja, da war ich." Mehr nicht.
Für die Notfallseelsorger selbst gibt es die Möglichkeit der Supervision durch die Diözese und das Dekanat, bei der die Notfallseelsorger selbst über ihre Arbeit und was sie vielleicht belastet reden können. Ihr reichen zum Reden meist ihr Mann und ihre Tochter und gute Bekannte. Oft werde sie zu Hause bekocht, wenn sie einen Notfall hatte. Manchmal geht sie nach einem Einsatz auch mit dem Hund spazieren. Andere setzen sich aufs Rad, weiß sie. Auch der Bericht, der nach jedem Einsatz geschrieben wird, helfe beim Verarbeiten. Zwei, drei Tage später rede man in der Regel zudem mit einem anderen aus dem Team.
Betroffene bei Todesfällen reagieren in der Ausnahmesituation etwa mit Schwitzen, Umhergehen, häufigen Toilettengängen. Rösch klärt dann auf, dass das normale Reaktionen bei außergewöhnlich belastenden Ereignissen sind. Manchmal können auch zusätzliche Beschwerden wie starke Nervosität, Schlafstörungen, Hoffnungslosigkeit auftreten. Diese Reaktionen verschwinden üblicherweise nach wenigen Tagen oder Wochen wieder. Tun sie dies nicht, rät sie Betroffenen eventuell einen Arzt aufzusuchen. In einem Faltblatt, das die Notfallseelsorger dalassen, finden sich wichtige Empfehlungen zusammengefasst.
Oft werde sie gefragt: "Gehst du dahin zum Beten?" Sie frage bei Einsätzen schon, ob jemand ein Gebet oder einen kurzen Segensspruch für einen Verstorbenen möchte. Viele wollen das. Manche, so ihre Erfahrung, möchten jedoch nichts "von Gott und dergleichen" wissen, vor allem Jüngere. Aber klar sei: "Wir haben den Glauben mit im Gepäck." Ihr Glaube helfe ihr, ihre Arbeit zu machen. "Der Herrgott trägt mich mit durch", sagt Gabi Rösch. Normalerweise werde auch der jeweilige Ortspfarrer informiert.
Zwar gehe es in den allermeisten Fällen um Todesfälle, aber sie habe auch schon andere Fälle erlebt. Einmal sei sie zu einem schweren Unfall gekommen, bei dem sie die Tochter betreut hat. Der Vater habe schließlich überlebt. Nach dem Terroranschlag in Barcelona im August 2017, den eine hiesige Schulklasse mitbekommen hat, machte sie für die Eltern der Schüler eine Abendveranstaltung und informierte sie, wohin sie sich wenden können, sollte dies nötig sein.
Wer Interesse hat, selbst in der Notfallseelsorge zu arbeiten, kann sich an Gabi Rösch, Telefon (0 93 56) 97 20 00, oder Pastoralreferent Wolfgang Pfeifer, Telefon (0 93 58) 90 10 50, wenden.