zurück
LOHR
Neujahrsempfang der Stadt Lohr: Plädoyer gegen Turbokapitalismus
Wolfgang Dehm
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:34 Uhr

Zahlreiche Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft waren am Mittwochabend in die Alte Turnhalle gekommen, wo der mit einer Bürger- und Sportlerehrung verbundene Neujahrsempfang der Stadt Lohr stattfand. Nur durch „Gemeinsinn und Miteinander“ sei es hinzubekommen, die Stadt Lohr unter den herrschenden schwierigen Bedingungen erfolgreich in die Zukunft zu führen, sagte Bürgermeister Mario Paul. Ihm war bewusst, dass es sich bei derartigen Appellen zuweilen um nichts anderes als Lippenbekenntnisse handelt.

Wenn er sich allerdings im Saal umsehe und insbesondere die zu ehrenden Bürger und Sportler anblicke, dann sei nichts davon zu spüren, „dass Zusammenarbeit, Miteinander und Gemeinsinn abgegriffen und überstrapaziert wären oder gar zu bloßen Lippenbekenntnissen verkämen“. Sowohl die verdienten Bürger als auch die erfolgreichen Sportler zeigten, dass gegenseitiger Respekt, das Miteinander im Verein und Gemeinsinn noch immer sehr viel wert seien. „Sie sind für uns und die Gesellschaft leuchtende Vorbilder“.

Viele Krisen und zwei Kriege überstanden

Gastredner Michael Zeuch, scheidender Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenbank Main-Spessart, knüpfte mit deutlichen Worten inhaltlich nahtlos an Pauls Ausführungen an. Die regional tätigen Genossenschaftsbanken, die nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ arbeiteten, hätten in den vergangenen 150 Jahren zwei Weltkriege und mehrere Krisen überlebt, sagte Zeuch.

Nun jedoch werde die Welt durch fortschreitende Digitalisierung zunehmend von großen Konzernen wie Amazon, Apple und Google beherrscht. „Ist es das, was wir wirklich brauchen? Ist das Streben nach immer höheren Gewinnen ohne Rücksicht auf ökonomische und ökologische Folgen erstrebenswert oder überhaupt gesellschaftlich akzeptabel?“, fragte Zeuch. Der Zukunftsforscher Matthias Horx jedenfalls stelle infrage, ob das derzeit Schrille, Schnelle und Extreme nicht vielleicht doch dem Bedächtigen, Langsamen und Geruhsamen weichen müsse.

„Einer für alle und alle für einen“

Auch Mitte des 19. Jahrhunderts, als Wilhelm Raiffeisen die ersten Genossenschaftsbanken gründete, gab es laut Zeuch „herzlose Wucherer“. Darauf habe Raiffeisen damals mit dem genossenschaftlichen Motto „Einer für alle und alle für einen“ eine klare Antwort gefunden.

Menschen könnten ihre wirtschaftlichen Ziele nicht nur egoistisch und konkurrenzgetrieben verfolgen, sondern auch partnerschaftlich und mit Blick auf die Umwelt, meinte Zeuch. Seinen Worten nach spricht viel dafür, dass die Genossenschaftsidee ihre große Zukunft noch vor sich hat. Noch mehr spreche derzeit allerdings dafür, „dass sich die Kapitalismusfrage im Kapitalismus zuspitzt“.

Vor diesem Hintergrund appellierte Zeuch an die Menschen im Landkreis, in den örtlichen Geschäften einzukaufen und die örtlichen Gastwirtschaften sowie die örtlichen Veranstaltungen zu besuchen. Andernfalls brauche man sich „nicht wundern, wenn die Angebotsplakette immer kleiner wird und am Interneteinkauf gar kein Weg mehr vorbeigeht“.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lohr
Wolfgang Dehm
Amazon
Apple
Genossenschaftsbanken
Google
Krisen
Mario Paul
Matthias Horx
Turbokapitalismus
Wilhelm
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top