Seit mehr als 20 Jahren verrichtet Sam – selber nur einige Jahre älter – als Voltigierpferd im Lohrer Reitverein treue Dienste. Langsam bereitet sich das beliebte Tier auf seinen Ruhestand vor. Durch eine vom Alter herbeigeführte Arthrose wird sein Trab langsamer. Turniere sind dem Hengst nicht mehr zuzumuten.
Mittels eines Crowdfunding- Projektes (Schwarmfinanzierung über Spendenaufruf) sammelt der von der Corona-Krise finanziell gebeutelte Reitverein jetzt Geld für Sams Nachfolger. Dass jedoch ein Pferd nicht so einfach wie ein Auto gekauft werden kann, erklären im Stall vor Ort der stellvertretende Vorstand Michael Reinhart und seine Frau, Reitlehrerin Sigrun Reinhart.
Übungen auf Tierrücken
"Es kommt vor allem auf den Charakter, einen langen Rücken und Nervenstärke an", beschreibt Sigrun Reinhart, worauf bei einem Kauf zu achten sei. Der Preis eines ausgebildeten Voltigierpferdes liege bei 8000 bis 15 000 Euro. Das Voltigieren selber – dabei werden akrobatische Übungen auf dem Rücken des Pferdes im Galopp dargeboten – gilt im Verein als exklusives Angebot. "Viele Reitvereine bieten das gar nicht mehr an", sagt die Reitlehrerin. Etwa 25 Kinder voltigieren in Lohr, die Warteliste ist ebenso lang. "Wer das Voltigieren lernt, wird ein guter Reiter und bildet eine Einheit mit dem Tier", ist sich Reinhart sicher.
Etwa vier Turniere bestreitet der Verein jedes Jahr, dazu noch die eigens ausgerichteten Veranstaltungen. Dabei läuft das Pferd mehrere Stunden im Kreis, während die Akrobaten abwechselnd ihre Kür auf dem Rücken verrichten. "Die Bewegungsabläufe sind einstudiert", wirft Michael Reinhart ein. "Der ganze Ablauf ist eine Zeremonie." Um diese, dem Verein am Herzen liegende Sportart weiterhin umfangreich anbieten zu können möchte Sigrun Reinhart noch dieses Jahr ein neues Pferd besorgen. Mehr als 5000 Euro fehlen durch ausfallende Reitunterrichte in der Kasse. Zusätzliche Kosten kommen im nächsten Jahr auf den Reitverein zu, wenn mit dem Bau des Klinikums neue Koppelbereiche erschlossen werden müssen. "Sam soll ja bei uns endlich sein verdientes Gnadenbrot bekommen", sagt Reinhart und streichelt dem zutraulichen Pferd liebevoll über die Nüstern. Das Crowdfunding wird von der Raiffeisenbank Main-Spessart mit dem gleichen Betrag unterstützt. Allerdings müssen bis 21. August dazu erst einmal die 5000 Euro Spendengelder für das neue Pferd gesammelt werden. Bisher beläuft sich der Betrag auf gut die Hälfte. Die Reinharts hoffen auf Unterstützung, sonst würde das Voltigieren in ihrem Verein einer ungewissen Zukunft entgegenblicken. Alleine wäre es dem Verein gegenwärtig nicht möglich, den Kauf zu stemmen.
Mit Anhänger unterwegs
"Sobald wir das Geld zusammen haben, lege ich los", plant Sigrun Reinhart. Im Umkreis bis zu 300 Kilometer würde sie Ausschau nach Sams Nachfolger halten. "Wir haben Voltigiererinnen dabei, die die Anforderungen vor Ort testen." Auch einen Anhänger hat das Ehepaar immer mit dabei, denn das richtige Pferd würden sie sofort mit nach Lohr bringen.
Sam indes scheint zu erahnen, dass sich der Gesprächsverlauf um ihn dreht. Immer wieder lässt er sich von Sigrun Reinhart kraulen. "Deine Rente hast Du Dir auf jeden Fall verdient", flüstert Reinhart Sam ins Ohr und hofft darauf, dass das treue Pferd bald auf die "Rentnerkoppel" übersiedeln darf.