Ernst Brust ist fahrradbegeistert. Einfache Lösungen sind genial, sagt er. Brillant sei die Idee, beim Fahrradbau auf Holz zu setzen. Im Besprechungsraum seiner Firma Velotech in der Gustav-Heusinger-Straße am Hauptbahnhof steht der Nachbau einer lenkerlosen Laufmaschine aus Holz, die Graf de Sivrac konstruiert und im Jahr 1791 gebaut hat. Daneben: eine Drais'sche Laufmaschine von 1817, die mit einem Tretkurbelantrieb (Erfinder war der Oberndorfer Philipp Moritz Fischer) nachgerüstet wurde.
Auch das Tandem „Renovatia“, das der Holzingenieur Jens Eichler als Diplomarbeit bei Velotech gefertigt hat, steht in diesem Raum. Der Rahmen des Doppelsitzers ist aus Holz, er ist wunderschön gemasert. Moderne Technik macht das Gefährt komfortabel. Mit 34 Kilogramm wiegt das Rad mit ausgehöhltem Holzrahmen nicht mehr als die stählerne Konkurrenz.
Bis die Ketten reißen
In den 700 Quadratmeter großen Werkstätten von Velotech sind Holzfahrräder noch Exoten. Die Kundschaft aus Europa, Amerika und Asien schickt Fahrräder oder Teile nach Schweinfurt, wo getestet wird, bis Ketten reißen, Rohre brechen, Bremsbacken glühen. Brust und seine acht Mitarbeiter, darunter drei anerkannte Gutachter, haben die computergesteuerten Prüfstände und Simulatoren konstruiert und gebaut. Gefahndet wird nach Verbesserungen nicht nur bei der Sicherheit.
Das Tandem im Besprechungsraum ist Made in Schweinfurt. Den Studenten Jens Eichler hatte Brust auf einer Hausmesse kennengelernt. Eichler kam nach Schweinfurt mit seinem Prototypen: ein 54 Kilo schweres Gefährt mit einem Holzrahmen aus einem Stück. „20 Kilo mussten runter“, sagt Brust. Gefertigt wurde ein neuer Rahmen. Das Holz wurde nun aufgeschnitten und ausgehöhlt. Nach sechs Monaten war die Diplomarbeit fertig.
Erfahrungswerte hatten Tests mit Tandems aus Alu, Stahl und Carbon gebracht. Das Holz hielt mit. In punkto Steifheit lag das Holzrad selbst beim Bremsen und Beschleunigen stets im grünen Bereich.
Mittlerweile hat Velotech einige Holzrahmen genauestens unter die Lupe genommen, darunter auch Designerräder. „Erstaunlich lang“ haben auch diese die Belastungstests ausgehalten. Dass es Brüche gab, ist bei den Tests normal. Die beschränkten sich aber auf sowieso anfällige Stellen, wie etwa auf den Steuerkopf, der in einem Fall barst.
„Holz fasziniert mich“, sagt Brust, der davon schwärmt, dass längst nicht mehr nur die Rahmen aus Holz gefertigt sind. Fahrradgabeln, Speichen, Sattel, Sitzrohre und Kurbeln samt der Pedale werden aus dem nachwachsenden Rohstoff hergestellt – aus Vollholz und ausgehöhlt, auch in Leimbindertechnik.
Brust hat Informationen vor allem im Internet gesammelt. Fabriziert werden längst nicht mehr nur Roller und Räder für Kinder. Allerhand rustikales Zeugs gibt es, das eher als Zierde für den Vorgarten denn als fahrbarer Untersatz geeignet ist. Die Fahrradindustrie forscht und hat ein Exemplar gefertigt, das – von der Bereifung einmal abgesehen – komplett aus Holz besteht, selbst die Kette und die Züge der Schaltungen. Ein Test im Dauerbetrieb würde Brust reizen. Doch so weit sei man noch nicht.
Futuristisch
Sagen lässt sich aber, dass der Werkstoff Holz bei der Gestaltung neue Dimensionen eröffnet. Es gibt gefederte Sesselräder mit hölzernen Scheibenbremsen, Fahrradrahmen in Dreiecks-, Kreis-, Kreuz-, T- oder Z-Form. Einige Liegeräder gehören in die Abteilung futuristisch. Helme, Schutzbleche und Kettenkästen werden aus Holz gemacht.
Zusammengearbeitet hat Brust mit einem Schreiner aus dem Bayerischen Wald. Dieser brachte fünf Räder nach Schweinfurt. Die Entwicklung lässt sich an der Gewichtsreduzierung von anfangs 40 auf 15 Kilo beim jüngsten Modell nachvollziehen, das zu 100 Prozent fahrtüchtig und auch nicht schwerer als die Konkurrenz aus Stahl ist.
In Japan gibt es Holzräder mit E-Motoren und einen Konstrukteur, der in seiner Werkstatt vor allem mit Mahagoni arbeitet. Bei den technischen Komponenten greift der Mann auf modernste Technik von Shimano zurück. Doch was er aus Holz machen kann, das ist aus Mahagoni, sogar die Ventilkappen.
Vom Band sind auch schon Holzräder gekommen, etwa bei Audi USA, allerdings in sehr begrenzter Stückzahl, räumt Brust ein. Topaktuell ist bei den Alternativen zu Alu, Stahl und Carbon neben Holz das Bambusrohr. Mindestens drei Firmen produzieren weltweit mit den meterlangen Halmen.
Bei der Festigkeit sieht Brust keine Probleme. Knifflig seien die Lösungen bei Nahtstellen und Anbindungspunkten. Bislang werden hier Muffen und Hülsen – bevorzugt aus Metall – eingesetzt. Ganz neu ist die Verwendung von Bambusrohr in der Fahrradfertigung übrigens nicht. Schon 1896 warb eine Firma in Wien für Bambusräder. Neu und noch am Anfang stehen im Fahrradbau die Versuche mit Pappe.