Mit den Kollegen aus den Heimatfilmen der 1950er und 1960er Jahre hat der Förster von heute nichts mehr am Hut. Wanderer und Naturfreunde suchen vergebens nach dem Mann im grünen Jäger-Outfit mit geschultertem Gewehr und dem braven Jagdhund an der Leine.
Wenn Andreas Holzheimer in seinem 1800-Hektar-Revier, das rund 70 Prozent der Fläche des ehemaligen Forstamts Bischbrunn ausmacht, unterwegs ist, dann kommt er, der optischen Sicherheit wegen, in einer orangefarbenen Fleecejacke daher. Er fährt einen Kombi japanischer Bauart und sitzt nicht im dicken, grün-lackierten Geländewagen. Die sechsjährige Wachtelhündin Silva ist als aufmerksamer „Beifahrer“ fast immer mit an Bord.
Försterromantik kennt der 46-jährige Forstamtmann ebenfalls nur aus dem Fernsehen. Sein Revier, das zwischen dem idyllischen Haslochtal im Nordwesten und dem nicht weniger beschaulichen Weihersgrund im Norden liegt, könnte allerdings durchaus als Kulisse für einen Heimatfilm herhalten.
Holzheimer ist mit seiner Familie seit 1992 in einem Buntsandstein-Anwesen in der Zwieselmühle zu Hause. Der Weiler gehört politisch zur Gemeinde Schollbrunn, der höchstgelegenen Kommune im Landkreis Main-Spessart. Der Revierleiter ist der einzige Staatsförster in der Region Marktheidenfeld, der im, beziehungsweise am Wald wohnt – mit Natur pur zum Nulltarif. Im Gespräch lässt er durchblicken, dass er sich in der Einöde des Weilers sehr wohl fühlt – und dies, obwohl weder Supermarkt noch Arzt oder Apotheker in der Nähe liegen.
Es sei für ihn ein Glücksfall gewesen, dass er hier die Nachfolge seines allzu früh gestorbenen Vorgängers Ulfried Vogel und von dessen ehemaligen Kollegen Schunck, Steininger, Hauerwaas, Erhard und Heil antreten konnte. Es ist gar nicht mal so selten, dass Holzheimer beim Blick aus dem Fenster seines Hauses bei Dämmerungsbeginn äsendes Wild erblickt. Nachts begleitet ihn das Rauschen des bis ans Forsthaus reichenden Waldes. Insgeheim hält es der Förster mit dem Erzgebirgsdichter Anton Günter. „Mit keinem König möchte ich tauschen.“ Schließlich erlebt er jahrein, jahraus auf einem Logenplatz der Naturbühne die vier Akte des Schauspiels vom immer wiederkehrenden Werden und Vergehen.
Andreas Holzheimer über die Liebe zu seinem Beruf
Bis zum Wandel des Berufsbildes vom Hüter des Waldes zum modernen Forst-Manager, der sich in Mathematik, Biologie, Zoologie und elektronischer Datenverarbeitung genauso auskennen muss wie im Forstrecht und Controlling, glich die erstmals 1896 erwähnte Forstdienststelle in der Zwieselmühle einem Selbstversorger-Anwesen.
Holzheimers Vorgänger bewirtschafteten in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine kleine Landwirtschaft mit Viehweide, Stall und Vorratsscheune. Wer hier zu Hause war, war Selbstversorger für fast alles, was die Familie zum täglichen Leben benötigte. Mussten andere Dinge des täglichen Bedarfs im Krämerladen besorgt werden, dann war dies nur im beschwerlichen Fußmarsch hinauf nach Schollbrunn, wohin auch die Kirchgänge führten, möglich. Meistens mussten die Schulkinder des Weilers nach dem Unterricht noch im Krämerladen vorbeischauen und schon mal Zucker und Salz mit ins Tal nehmen.
Taten noch in den 1960er Jahren im früheren Forstamt Bischbrunn, zu dem auch das Revier Zwieselmühle gehörte, mit einer bewirtschafteten Fläche von fast 3000 Hektar fünf Förster Dienst, so hat sich der Personalbestand in den folgenden 40 Jahren auf ein Ein-Mann-Unternehmen reduziert. Es kam vor, dass Holzheimers frühere Kollegen in einer Waldhütte samt Rucksack-Brotzeit übernachteten, wenn sie zu Fuß ihre ausgedehnten Reviergänge unternahmen. Später löste das Motorrad oder das „Sächsle“ die Fußläufigkeit ab. Es war die Zeit, als die Löhne der Waldarbeiter noch in der Tüte ausbezahlt wurden und der Förster alle Schreib- und Verwaltungsarbeiten per Hand erledigen musste.
Holzheimer, der einer Försterfamilie aus Schmalwasser in der Rhön entstammt, machte nach seinem fünfjährigen Studium in Weihenstephan mit Abschluss als „Diplom-Ingenieur für Forstwirtschaft“ seine ersten beruflichen Gehversuche an den Forstämtern Hammelburg und Bad Neustadt. „Ich hatte mir immer ein Revier in einem Mittelgebirge mit viel Laubholz gewünscht“, sagt er rückblickend. „Und ebenso einen Wohnsitz am Arbeitsplatz.“ Dass vor der Haustüre keine Bushaltestelle vorhanden ist und heute zwei seiner drei Kinder mit dem Schulbus zum Unterricht nach Marktheidenfeld fahren, sind aus seiner Sicht keine allzu großen Umstände.
Holzheimers „weit Revier“ gehört nach der großen Forstreform mit gewinnorientierten Zielen und einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung zum Forstbetrieb Rothenbuch, dem unter der Leitung von Forstdirektor Jann Oetting neun weitere Reviere in drei Landkreisen mit einer Gesamtfläche von rund 17 000 Hektar angeschlossen sind. „Unser Beruf ist heute ein richtiger Job in der Holzproduktion. „Wir arbeiten just in time“, fassen Holzheimer und Oetting den Prozess vom Fällen der Bäume bis zum Verkauf zusammen. Früher habe man Holz auf Vorrat produziert; heute wisse man schon beim Fällen, wohin der Baum geht.
Obwohl die Waldarbeit einst einem Knochenjob gleichkam, wollten die Waldfacharbeiter des früheren Forstamts Bischbrunn, zu dem auch die ehemals 900 Hektar große Forstdienststelle Zwieselmühle gehörte, mit keinem anderen Beruf dieser Welt tauschen. Bis Ende der 1950er Jahre hinein, als die Motorsäge den arbeitstechnischen Fortschritt einläutete und die schweren Handsägen (Landauer) ablösten, konnten pro Arbeitstag manchmal nicht mehr als drei Furniereichen vom Stock geschnitten werden. Muskelkraft war gefragt – ganz zu schweigen davon, dass der Arbeitsplatz Wald im Winter erst im mühsamen Fußmarsch durch knöcheltiefen Schnee erreicht werden musste.
Das Forstamt Bischbrunn zählte in den ersten Nachkriegsjahrzehnten 60 bis 80 Beschäftigte. Es gab Familien, in denen drei bis vier Generationen ihr Geld im Wald verdienten. Wer im Forst arbeitete, der wurde der Arbeitsplatzsicherheit und des Lohns wegen oft beneidet.
Heute hat längst moderne Forsttechnik die Handarbeit und das Holzrücken per Pferd verdrängt. Der Forstbetrieb Rothenbuch mit seinen 56 Mitarbeitern vergibt einen Großteil seiner Arbeiten an Fremdunternehmen. Im Revier von Andreas Holzheimer werden im Jahr 10 000 bis 13 000 Festmeter Holz eingeschlagen (Forstbetrieb Rothenbuch: 96 000 Festmeter). Was Holzheimer an seinem Försterberuf besonders schätzt, ist die Tatsache, dass er so gut wie alle Arbeitsprozesse im Wald eigenverantwortlich ausführen kann, auch wenn er dabei häufig auf eine 40-Stunden-Woche verzichten muss.
Zu dem gut sortierten Standort seines Waldes gehören Baumarten wie Buchen, Kiefern und Lärchen sowie die weithin geschätzte Spessarteiche. Wer heute im Barriquefass gelagerte Rotweine trinkt, kann vermuten, dass die guten Tropfen in Holz aus Holzheimers Revier gereift sind. Zu einem weiteren Klassiker, der vor allem für den Innenausbau gefragt ist und gerne in Österreich verwendet wird, gehört laut Holzheimer die Spessartlärche. Ihre Qualität sei längst nicht mehr von der Gebirgslärche zu unterscheiden.
Wann immer der Förster aus der Zwieselmühle mit Holz zu tun hat, begleitet ihn die elektronische Datenverarbeitung als Teil eines „großen zentralen Systems“ (Jann Oetting). Er verbringt einen Großteil seiner Arbeit am Computer – und fährt nie ohne Notebook in den Wald.