
Niemand weiß, was Graf Ludwig von Löwenstein 1597 auf diese Idee brachte. Aber er legte damals fest, dass seine fünf Söhne ihm gleichberechtigt nachfolgen sollten. Beim Tod des Vaters 1611 waren es noch vier: Ludwig IV., Ludwig Christoph, Wolfgang Ernst und Johann Dietrich. Diese vier gingen nun daran, die Besitzungen untereinander aufzuteilen.
Aber im Zentrum der Herrschaft, der Grafschaft Wertheim, wollten sie sich nicht abwechseln, sondern dem Wunsch des Vaters entsprechen und gemeinsam regieren. Nun ist Gemeinsamkeit nicht immer einfach und gemeinsames Regieren erst recht nicht. Man muss sich schließlich einigen. Gelingt dies nicht, passiert auch nichts. Genau dies machte dann den Ruf der Grafschaft Wertheim im Alten Reich aus.
Zunächst aber stellte jeder der Brüder einen Juristen als Hofrat ein und schickte ihn in die Kanzlei, die zugleich Regierung und oberstes Gericht der Grafschaft war. Und weil die vier Brüder alle gleichberechtigt Chefs der Grafschaft waren, gingen alle Schreiben ihrer Bediensteten an diese Chefs nicht an Euer Gnaden, sondern an Euer Gnaden, Gnaden, Gnaden, Gnaden – schließlich waren sie vier und jeder hatte ein Recht darauf, angesprochen zu werden, wie es sich gehörte.
Die Verwaltung der Grafschaft entwickelte sich unter diesen Bedingungen mit der Zeit zu einem im ganzen Reich für ihre Blockaden bekannten Kuriosum. Dabei konnte man noch von Glück sagen: Nur Johann Dietrich und Ludwig Christoph hatten Nachkommen, während ihre beiden Brüder kinderlos verstarben. So entstanden die beiden bis heute bestehenden Linien des Hauses Löwenstein-Wertheim.
Graf Johann Dietrich (1585–1644) war katholisch geworden und diente als Offizier im Heer des Kaisers. Sein Nachkomme Maximilian Carl (1656–1718) wurde Administrator in Bayern und schließlich sogar Vertreter des Kaisers am Reichstag in Regensburg. Für seine Verdienste in kaiserlichen Diensten wurden er und seine Nachkommen in den Fürstenstand erhoben. Im 18. Jahrhundert bauten sie sich eine neue Residenz, das Schloss in Kleinheubach. Die andere Linie trägt den Fürstentitel seit dem 19. Jahrhundert und sitzt im Anfang des 18. Jahrhunderts erbauten Schloss in Kreuzwertheim.
Herkunft der von Löwenstein
Die von Löwenstein trugen ihren Namen von einer Grafschaft in den Löwensteiner Bergen bei Heilbronn. Erster des Geschlechts war Ludwig von Löwenstein (1463–1524), ein Sohn des Pfälzer Kurfürsten Friedrich mit der Augsburgerin Klara Dett. 1494 bestätigte Kaiser Maximilian diesem Ludwig den Besitz der Grafschaft Löwenstein.
Nach Wertheim kamen die Löwensteiner erst viel später: Als die alten Wertheimer Grafen 1556 ausstarben, hatte sich zunächst Graf Ludwig von Stolberg das Erbe gesichert. Unter seinen Schwiegersöhnen konnte sich dann der bereits erwähnte Ludwig von Löwenstein durchsetzen. Entscheidend war der Kindersegen: Ludwig hatte mit seiner Ehefrau Anna von Stolberg 15 Kinder, während die beiden Schwägerinnen kinderlos blieben.
Die Löwensteiner waren nun zwar an Main und Tauber gekommen, aber das Geschlecht hatte weitere Besitzungen. Kleinere Herrschaften im Saargebiet, im Odenwald und in der Pfalz, ja sogar in den spanischen Niederlanden (mit schönen Ortsnamen wie Herbemont und Hupperdingen) und seit dem 18. Jahrhundert auch in Böhmen kamen dazu. Die europäische Adelsgesellschaft war international aufgestellt, die von Löwenstein waren es auch.
Zwei Eimer Wein in Michelrieth, anderthalb in Altfeld
Die im Alten Reich zur Grafschaft Wertheim gehörenden Spessartorte hatten nicht ganz so klangvolle Namen wie die Außenbesitzungen in den spanischen Niederlanden, aber sie machten schon etwas her. Nimmt man zum Beispiel den Weinverbrauch im 3. Quartal des Jahres 1588, erreichte Altfeld anderthalb Eimer und lag damit gleichauf mit Höhefeld, während Michelrieth mit zwei Eimern nur knapp hinter Nassig (zweieinhalb Eimer) lag. Ein Eimer wurde damals mit knapp 80 Litern gerechnet. Nun stammen diese Angaben aus Steuerrechnungen, und sagen daher möglicherweise eher etwas über die Qualität der Steuervermeidung aus als über den tatsächlichen Verbrauch.
Bei der nächsten Zahl konnte man dagegen kaum tricksen: Verstorbene. Für den Zeitraum 1628–1631 ergibt sich folgendes Bild: Kreuzwertheim 13, Hasloch 9, Altfeld 9, Steinmark 8, Michelrieth 7, Oberwittbach 5, Hasselberg und Kredenbach 1. An der Spitze dieser Statistik der Dörfer der Grafschaft Wertheim steht in diesen Jahren Dertingen mit 23 Verstorbenen.
Wieder einen anderen Bereich spiegelt der in den Rechnungen erscheinende Hostienverbrauch. Für die Residenzstadt Wertheim stehen im Jahr 1591 exakt 6000 Hostien in den Büchern, in Michelrieth sind es 500 (womit man vor Kreuzwertheim lag: 400), in Hasloch und Schollbrunn zusammen 700. Nach absoluten Einwohnerzahlen ergibt sich im Jahr 1712 folgendes Bild (wobei das Gesinde jeweils nicht mitgezählt ist): Altfeld 198, Kreuzwertheim 186, Hasloch 163, Michelrieth 93, Oberwittbach 80, Hasselberg 82, Glasofen 77, Kredenbach 67. Auch das Zugvieh wurde 1676 gezählt: Hasloch und Michelrieth 10, Altfeld 20, Steinmark 14, Oberwittbach 12.
Aber die Spessartorte konnten auch jenseits der Finanzkennzahlen Bedeutung für die Löwensteiner haben. 1731 brachte Graf Ludwig Moritz seine Maitresse beim Kredenbacher Gastwirt Endress unter, damit sie die gemeinsame Tochter abseits des Wertheimer Klatsches entbinden konnte.
Das 19. Jahrhundert brachte große Veränderungen
Über Jahrhunderte hatte die Grafschaft Wertheim im Spessart wie ein Keil zwischen den viel größeren Territorien der Bischöfe von Würzburg und Mainz gelegen. Nun brachten die Französische Revolution und die napoleonischen Kriege große Veränderungen. Den kleineren Herrschaften des Alten Reiches sollte die Stunde schlagen. Zunächst profitierte Löwenstein-Wertheim 1803 noch von der Auflösung der geistlichen Staaten: Das Würzburger Amt Rothenfels kam ebenso an Löwenstein wie die Klöster Bronnbach und Grünau und das Stift Triefenstein.
Aber die Gründung des napoleonischen Rheinbunds brachte 1806 das Ende: Wie bei den meisten anderen Fürsten und Grafen des Alten Reichs wurden die Gebiete mediatisiert. Die Löwenstein-Wertheimer verloren ihre Selbständigkeit als Landesherren. Damals wurde der Main zur Grenze. 1806 wurden die linksmainischen Gebiete der Grafschaft badisch, die rechtsmainischen kamen ans neu geschaffene Fürstentum Aschaffenburg und später an Bayern.

Den Löwensteinern blieb ausgedehnter Waldbesitz im Spessart mit einigen Forsthäusern, die heute teils touristische Attraktionen sind. Die Entwicklung wurde als großer und widerrechtlicher Abstieg empfunden. Von souveränen Herrschern in ihren Territorien wurden sie zu sogenannten Standesherren, die noch einige Sonderrechte hatten und in den zweiten Kammern der Parlamente saßen, die sich nun in den Ländern entwickelten. Die Löwensteiner waren dort in Bayern, Baden und Hessen vertreten – eine Folge der willkürlichen Grenzziehung aus dem Jahr 1806.
Neue Aufgaben als Agrarunternehmer
Das Ende des Alten Reichs und die Mediatisierung stellte die Löwensteiner wie den Reichsadel insgesamt vor neue Herausforderungen. Man brauchte neue Aufgaben, man musste seine Sozialposition neu definieren. Beide Löwensteiner Linien begannen damals, sich als Agrarunternehmer zu betätigen. Man baute Weingüter auf und arbeitete mit dem Waldbesitz. Die katholischen von Löwenstein aus Kleinheubach fanden ein weiteres Betätigungsfeld im Laienkatholizismus. Aloys Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg war von 1920 bis 1948 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Als Mitglied des europäischen Hochadels hat das Fürstenhaus Löwenstein immer wieder bekannte Persönlichkeiten in die Region gebracht. Mitte des 19. Jahrhunderts lebte der aus Portugal vertriebene König Dom Miguel de Braganza, der eine Löwensteiner Prinzessin geheiratet hatte, in Kloster Bronnbach im Taubertal, damals Besitz seiner Schwiegereltern.
In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war der jüngst verstorbene Prinz Philipp, Ehemann von Queen Elizabeth, mehrfach im Spessart zu Gast. Er nahm dort an Wildschweinjagden teil, die Fürst Löwenstein veranstaltete, und übernachtete im Forsthaus Karlshöhe. So brachte das Haus Löwenstein, obwohl die Vorrechte des Adels längst aufgehoben sind, noch etwas von Glanz und Glamour des Alten Reichs in den Spessart.
Zum Autor: Dr. Robert Meier ist Dozent an der Archivschule Marburg und Lehrbeauftragter an der Universität Würzburg. Er lebt in Würzburg.
Literatur: Harald Stockert, Adel im Übergang. Die Fürsten und Grafen von Löwenstein-Wertheim zwischen Landesherrschaft und Standesherrschaft (1780-1850), Stuttgart 2000.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL