Es kann der Bravste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Diese Volksweisheit bestätigte sich wieder einmal in einem Ort im Raum Lohr. Hier eskalierte im Dezember 2021 ein Nachbarschaftsstreit, der nun am Amtsgericht Gemünden seinen Ausgang fand. Beide Parteien haben sich vor Gericht wieder vertragen, wodurch Strafrichterin Maryam Neumann das Verfahren gegen Auflagen einstellte.
Durch einen zunächst undurchsichtigen Dschungel von gegenseitigen Anschuldigungen hatte sich das Gericht durchzukämpfen. Ein 42-jähriger Mann war angeklagt, bei einem Streit am 5. Dezember 2021 einer Nachbarsfamilie gedroht zu haben, ihr Haus anzuzünden. Ferner soll er einem Nachbarssohn an den Oberschenkel getreten und dem zweiten Sohn einen Faustschlag auf die Lippen gegeben haben. Außerdem hat er einen der Söhne bei der polizeilichen Vernehmung beschuldigt, ihn geschlagen zu haben.
Beim Gassigehen eingekesselt und beschimpft
Am ersten Adventsonntag 2021 will die Verlobte des Angeklagten in Begleitung ihrer Kinder noch einmal mit dem Hund gegen 21 Uhr Gassi gegangen sein. Dabei wäre sie von der Nachbarsfamilie regelrecht eingekesselt und beschimpft worden. Schließlich konnte ihr Sohn nach Hause rennen und den Angeklagten informieren. Als dieser zum Nachbarhaus kam, wäre auch er tätlich angegriffen worden. Die zur Hilfe gerufene Polizei hätte sich aber nicht um ihn und seine Familie gekümmert, sondern die Angreifer "hofiert und verhätschelt", so sein Vorwurf.
Ein völlig anderes Bild der Wohnsituation und des Geschehens am Adventabend ergaben die Zeugenaussagen. Eine 48-jährige Nachbarin berichtete, dass es in dem Ortsteil immer sehr angenehm war. Die Nachbarn verstanden sich und halfen sich gegenseitig aus. Auch als die siebenköpfige Familie aus Syrien in ein Haus einzog, dieses kaufte und renovierte. "Die Familie ist hier sehr beliebt", so die Rentnerin.
Mit Hund provoziert
Das Bild änderte sich allerdings, als eine andere Frau mit ihren Kindern, einem Hund und dem Freund in einem anderen Haus einzog. So provozierten die Hinzugezogenen die siebenköpfige Familie, wenn sie oft mit ihrem Hund vor deren Grundstück rumliefen, wohlwissend, dass "die weiblichen Mitglieder unserer Familie große Angst vor Hunden haben", sagte der 18-jährige Sohn der syrischen Familie vor Gericht aus.
Da von beiden Seiten her mit den Handys Videoaufnahmen von den Streitigkeiten gefertigt worden waren, konnte das Gericht die Abläufe zusammen mit den jeweiligen Schilderungen gut nachvollziehen. So war zu sehen, dass es "ganz schön heiß her ging" zwischen den einzelnen Parteien. Demnach haben sich die Söhne der siebenköpfigen Familie auch nicht so brav benommen, wie sie dem Gericht glaubhaft machen wollten.
Entschuldigung unter Tränen
Jedoch sorgten die beiden Videovorführungen für eine große Wende in der Verhandlung. So stand der 48-jährige Angeklagte plötzlich auf und entschuldigte sich unter Tränen bei dem 56 Jahre alten Familienvater für alle Vorfälle. "Ich will keinen Krieg. Es wird nicht so sein, dass wir Freunde werden, wir wollen aber in Frieden nebeneinander wohnen", sagte der sichtlich gerührte Mann.
"Eine typische Nachbarschaftsstreitigkeit, die man nicht unbedingt aburteilen muss", meinte daraufhin auch Strafrichterin Maryam Neumann. Nach ihren Worten machte es nach der entscheidenden Entschuldigung, die von dem 56-Jährigen angenommen wurde, "keinen Sinn das Verfahren bis zu einer Verurteilung zu Ende zu führen". Auch der Staatsanwalt zeigte sich zu einer vorläufigen Einstellung unter Auflagen bereit. Innerhalb der nächsten sechs Monate muss der Angeklagte 50 Stunden Sozialarbeit leisten. Danach wird das Verfahren dann endgültig eingestellt.