
Es gilt als das Lohrer Filetstück. Doch irgendwie verschluckt sich ein Kandidat nach dem anderen an der letzten großen Freifläche im Industriegebiet Süd und spuckt sie wieder aus. Nun ist erneut eine Planung für das Bebauen des rund 18.000 Quadratmeter großen Areals an der Bürgermeister-Dr.-Nebel-Straße geplatzt. Die Firma Sorg, die die Fläche 2019 von der Stadt gekauft hatte, wird dort keinen Komplex mit Fertigungs-, Büro- und Logistikflächen errichten. Gleichwohl will das Unternehmen in Lohr expandieren. Wie es mit dem Gelände im Industriegebiet weitergeht, ist derzeit offen.
Für die Stadt ist es bereits die zweite große Enttäuschung, die sie mit der Fläche in Industriegebiet Süd, der einzigen, die sie aktuell im Angebot hat, erlebt. Jahrelang hatte sie gehofft, dass die Bosch Rexroth AG dort wie angekündigt ein großes Bürogebäude errichtet. Eigens zu diesem Zweck hatte die Stadt dem Unternehmen die Fläche einst verkauft. Doch 2018 kam der Rückzieher und die Stadt machte von ihrem Rückkaufrecht Gebrauch.
2019 von Stadt an Sorg verkauft
Ein Jahr später verkaufte sie das Grundstück – erneut voller Hoffnung – an den Lohrer Glasofenbauer Sorg. Das familiengeführte Unternehmen, einer der größten Steuerzahler der Stadt, hatte sich unter drei Bietern nicht zuletzt mit der Ankündigung durchgesetzt, rund 50 Arbeitsplätze von Gemünden in den Neubau im Lohrer Süden verlagern zu wollen. Doch das ist jetzt vom Tisch.
Entsprechende Informationen bestätigten die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Alexander (57) und Michael Sorg (37) gemeinsam mit Bürgermeister Mario Paul jetzt in einem Gespräch mit der Redaktion. Wie Alexander Sorg dabei erklärte, hatte das Unternehmen noch bis vor wenigen Monaten die feste Absicht, die Fläche im Industriegebiet wie geplant zu bebauen.
Und das, obwohl speziell der Ukrainekrieg und die Entwicklung der Energiekosten in der Glasindustrie zu einer spürbaren Verunsicherung hinsichtlich der Investitionen geführt hätten. Die Pläne für den Neubau in Lohr seien fertig gewesen, bereit zum Einreichen, so Alexander Sorg. Das Investitionsvolumen hätte seinen Worten zufolge mehr als zehn Millionen Euro betragen.
Zukauf in Polen ändert Lage
Doch vor den Sommerferien sei man zu der Erkenntnis gekommen, die Planung verwerfen zu müssen. Grund ist vor allem ein Zukauf: Im Frühjahr hat Sorg mit der Firma Techglass im polnischen Krakau einen mittelständischen Mitbewerber mit 140 Mitarbeitern übernommen. Weil in Polen die Kosten niedriger und Personal leichter zu finden seien, werde man nun dort die Fertigungskapazitäten aufbauen, die man eigentlich in Lohr habe ansiedeln wollen, sagt Michael Sorg. Gleichwohl "bekennen wird uns klar zum Standort Lohr", so der 37-Jährige, der Cousin von Alexander Sorg ist.
Der sagt, dass das Unternehmen noch immer das Ziel habe, den Standort in angemieteten Hallen in Gemünden aufzugeben und nach Lohr zu verlagern. Die Konstellation sei durch die räumliche Distanz unpraktisch. Überdies brauche Sorg in Lohr zusätzlich rund 2000 Quadratmeter Bürofläche. Denn, so Michael Sorg: "Wir wollen weiter wachsen."
Dazu, wo und wie der Raumbedarf gedeckt werden könnte, halten sich die Sorgs bedeckt. Am liebsten wäre ihnen wohl eine Erweiterung am bestehenden Stammsitz in der Stoltestraße. Doch auch das Nutzen zumindest einer Teilfläche des Areals im Industriegebiet Süd ist denkbar. Dass das dortige Grundstück aufgeteilt wird, ist laut Bürgermeister Mario Paul eine Option. Dass das Filetstück nun schon so lange und vorerst auch weiter brachliegt, sei "suboptimal".
Eigentlich hatte es für Sorg nach dem Verkauf der Fläche im Jahr 2019 ein Baugebot gegeben, dem Vernehmen nach mit einer Frist von drei Jahren. Doch der Stadtrat hatte eine Fristverlängerung gewährt. Bis 2025, so sagt Alexander Sorg jetzt, hätte das Unternehmen jedoch mit dem Bau beginnen müssen. Als klar gewesen sei, dass man die Planung nicht umsetzen werde, habe man die Stadt umgehend informiert.
Paul: Bedauerlich aber plausibel
Bürgermeister Paul bedauert die Entscheidung, bezeichnet sie jedoch als "betriebswirtschaftlich plausibel". Sorg bleibe für die Stadt weiter ein sehr wichtiges Unternehmen. Dessen Geschäftsführer Michael Sorg spricht davon, dass es den Sorg-Standort Lohr stärke, wenn das Unternehmen durch den Ausbau in Polen insgesamt seine Wirtschaftlichkeit verbessere.
Grundsätzlich, so erklären die beiden Geschäftsführer, befinde sich die Sorg-Gruppe mit ihren knapp 300 Mitarbeitern in Lohr und 700 weltweit in einer "wirtschaftlich sehr soliden Lage". Im vergangenen Jahr habe man einen Rekordumsatz von knapp 150 Millionen Euro erzielt, so Alexander Sorg. Michael Sorg spricht allerdings auch davon, dass es in der Branche auch Zeichen eines Abschwungs gebe.
Mit Blick auf die noch Sorg gehörende Fläche im Industriegebiet Süd kündigt Paul baldige Gespräche dazu an, wie die Rückgabe geregelt werden könnte. Allein durch vertraglich Fristen könne diese Rückgabe bis zu zwei Jahren dauern. Man wolle jedoch zügig vorgehen, aber "nichts übers Knie brechen", sagt Paul.
Es sei das Ziel, die der Stadt bekannten Bedarfe von in Lohr angesiedelten Unternehmen zu decken. Alle Entscheidungen oblägen dem Stadtrat. Alexander Sorg sagt, dass das Unternehmen nur ungern die gesamte Fläche an die Stadt zurückgeben würde, solange nicht geklärt ist, ob es seinen Bedarf an Büroflächen anderswo in Lohr decken könnte, etwa durch einen Anbau am Hauptsitz an der Stoltestraße.
Die Stadt selbst, das macht Paul deutlich, hat derzeit keine weiteren Industrie- oder Gewerbeflächen im Angebot. Es geht also weiter darum, das Filetstück im Lohrer Süden endlich so an den Mann zu bringen, dass dort auch tatsächlich etwas entsteht, was die Lohrer Wirtschaft voranbringt. Daran, so sagt Bürgermeister Paul, wolle man im Rathaus "unaufgeregt aber mit höchster Priorität" arbeiten.