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KARLSTADT
Nach 37 Jahren ist bei Reimers Schluss
Von unserem Redaktionsmitglied Martina Amkreutz-Götz
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:37 Uhr

Wieder verabschiedet sich ein Gastwirtspaar und schließt ein Traditionshaus mit gut bürgerlich fränkischer Küche, in der in früheren Jahrhunderten Metzger und Bäcker die Karlstadter mit Wurst, Fleisch und Brot versorgten. Heinz und Edith Reimer haben ihr Anwesen in der Hauptstraße 18 verkauft, an wen, verraten sie nicht. Darum hat der Käufer gebeten.

Seit 1975 führte das Ehepaar Reimer das frühere Gasthaus Brand mit Metzgerei in der Hauptstraße 18. Es bestand aus einem 337 Quadratmeter großen Grundstück in der Altstadt mit Haupthaus und alter Scheune, die als Garage dient, sowie einem Baugrundstück an der Hofriethgasse 1. Hier wurden Edith und Heinz Reimer erstmals sesshaft, nach einem Zigeunerleben, wie sie es selbst bezeichnen, mit Umzügen fast im Jahrestakt quer durch Deutschland, das ihnen aber auch Spaß machte, wie sie betonen.

Das unstete Leben hatten beide selbst gewählt. Heinz Reimer, 1938 in Schlesien geboren, im Erzgebirge in die Schule gegangen und in Sachsen zum Metzger ausgebildet, heuerte von 1956 bis 1962 als kochender Metzger, der auch Backen lernte, auf Schiffen der Handelsmarine und der Hochseefischerei an und befuhr mit Stückgutfrachtern die Weltmeere.

Wanderleben

Edith Reimer, 1939 in Kassel geboren, lernte Verkäuferin und arbeitete in einer Buchbinderei und Druckerei in Kassel und Bremen. Die Heirat mit ihr 1962 brachte Heinz Reimer endgültig zurück an Land, wo beide ein aufregendes Wanderleben begannen, das den Koch und Metzger mit Frau und den Kindern Ralf und Sabine in verschiedene Gasthäuser und renommierte Hotels wie das „Intercontinental“ mit 1000 Betten an unterschiedlichen Orten führte, erst als Koch und dann als Pächter: ein Jahr Frankfurt, drei Jahre Donauwörth, sieben Jahre Ansbach und ein Jahr Obervellmar bei Kassel, dann Karlstadt.

„In Frankfurt wären wir gern geblieben. Wir fanden aber Anfang der 60er Jahre keine Wohnung“, erzählt Reimer. In Ansbach führte das Ehepaar die Stadthalle und verköstigte nach Konzerten so illustre 60er-und 70er-Jahre-Promis wie Dieter Thomas, TV-Künstler wie Rudi Carrell, Gerhard Wendland, Cindy und Bert, Bata Illic, Udo Jürgens, aber auch Anneliese Rothenberger, Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Franz-Josef Strauß. An die Zeit erinnern mehrere silberne und eine goldene Medaillen, die Heinz Reimer bei internationalen Wettbewerben beim Hotel- und Gaststättenverband erkochte.

1975 pachteten die Reimers von Anton und Liesel Brand das gleichnamige Gasthaus in der Hauptstraße 18. Edith Reimer erinnert sich: „Uns hat Karlstadt sofort gefallen, auch wenn hier noch der Bundesstraßenverkehr vorbeirollte.“ Heinz Reimer war wichtiger: Karlstadt hat Schulen, Kindergärten und Ärzte. 1977 legte Reimer die Meisterprüfung im Metzgerhandwerk ab. 1978 richteten sie eine neue Metzgerei ein. Schnell machte sich Reimer einen Namen mit seinen guten Fleisch- und Wurstwaren, die seine Frau im Laden verkaufte, und die er im Gasthaus seinen Gästen servierte. Im Gasthaus half noch eine Servicekraft, in der Metzgerei ein Geselle. 1988 modernisierten Heinz und Edith Reimer den Gastraum.

Ein erster Einschnitt erfolgte nach dem Abriss der Frama und den neuen Häusern im Quartier, die Peter Schmidtlein Anfang der 80er Jahre errichtete. Der Okay-Kauf gleich neben den Reimers wurde Konkurrenz und blieb es bis zur Schließung 1998. Der zweite Einschnitt erfolgte 1992 mit einer Erkrankung von Edith Reimer. In jenem Jahr schloss das Ehepaar die Metzgerei. 1998 verpachtete das Ehepaar, das mit seinen Kindern im Haus wohnte, die Gastwirtschaft an Sohn Ralf. Nach einem Jahr aber orientierte sich der gelernte Metzger um. Edith und Heinz Reimer starteten noch einmal durch.

Nun aber fordert das Alter seinen Tribut. Eine Verpachtung der Gaststätte kam für das Ehepaar nicht infrage. Heinz Reimer betont aber: „Es tut weh, so eine Perle mitten in der Stadt zu verkaufen, aber wir wollen in unserem Alter nicht mehr investieren.“ Bis 31. Dezember haben sie das Haus geräumt. Karlstadt ist ihre Heimat geworden. Sie bleiben hier.

Fährer, Bäcker, Metzger, Gastwirte

Wann das Haus Hauptstraße 18, alte Nummer 443, gebaut wurde und wer der Bauherr war, ist nicht bekannt. Es gibt keinen Türsturzstein und keinen Schlussstein. Die Hausgeschichte des Historischen Vereins Karlstadt beginnt 1687 mit dem Eigentümer Albert Brendel. 1715 ist der Fährer Michael Michel genannt. Dann zogen die Handwerkler ein.

 

Mit Franz Groß übernahm 1788 der erste Bäcker das Anwesen, der im selben Jahr das Haus abbricht und ein neues erstellt. 1820 ist der Metzger und Gastwirt Franz Müllerklein bekannt. Dann folgten wieder Bäcker: 1850 Michael Göpfert, 1899 seine Witwe Elise Göpfert und 1931 Bäckerwitwe Elisabeth Göpfert. 1958 kaufte Metzger und Gastwirt Anton Brand das Anwesen, riss es ein und baute ein neues Gebäude, das er 1965 an Metzger und Gastwirt Gerhard Wirthmann und ab 1975 an Metzgermeister und Koch Heinz Reimer verpachtete. Mit seiner Frau Edith kaufte er 1980 das 337 Quadratmeter große Anwesen.

Zweites Standbein: In der Metzgerei verkaufte Edith Reimer bis 1992 Fleisch und Wurst. Rechts Metzgereimeister Heinz Reimer.
Foto: Reimer | Zweites Standbein: In der Metzgerei verkaufte Edith Reimer bis 1992 Fleisch und Wurst. Rechts Metzgereimeister Heinz Reimer.
 
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