Kaum ist die umstrittene Sanierung der Fischer- und Muschelgasse in Lohr fertig, gibt es schon wieder Ärger. Zahlreiche Anwohner haben von den Stadtwerken Rechnungen über teilweise horrende Summen für neue Dachrinnenanschlüsse erhalten. Es steht Aussage gegen Aussage, ob die Zahlungspflicht vor der Sanierung klar war.
937 Euro soll Anwohner Wolfgang Dehm für den neuen Dachrinnenanschluss an seiner Werkstatt an der Muschelgasse zahlen. "Rechnung" steht auf dem Schreiben der Stadtwerke, das er unserem Medienhaus zur Verfügung gestellt hat. Und darunter: "Auftrag: Sanierung des Dachrinnenanschlusses". "Ich habe nie einen solchen Auftrag erteilt", betont Dehm. Er kann sich an eine Besprechung mit Anwohnern im Rathaus vor der Sanierung der beiden Straßenzüge erinnern, wo es geheißen habe, diese Arbeiten seien kostenfrei.
Arbeiten sollten kostenlos sein
Im Vorfeld sei gesagt worden, Arbeiten in den Häusern, etwa an einer Wasserleitung, würden in Rechnung gestellt, alle Arbeiten außerhalb des Hauses seien kostenlos, berichtet Sabine Nothacker. Sie ist mit rund 750 Euro dabei und unterstreicht ebenfalls: "Ich habe keinen Auftrag erteilt."
Bei den nun verrechneten Leistungen handele es sich um sogenannte "weitere Anschlüsse", die immer wieder bei Grenzbebauungen direkt an der öffentlichen Straße notwendig würden, erläutert Stadtwerke-Leiter Otto Mergler auf Anfrage. In diesen Fällen sei es oft nicht ohne weiteres möglich, alle anfallenden Abwässer (in der Regel Dachablaufwasser) mit einem vernünftigen Aufwand auf dem Grundstück selbst zusammenzufassen und über einen einzigen Grundstücksanschluss fortzuleiten.
Deshalb würden diese Anschlüsse gesondert erfasst und dem Hauptsammler zugeleitet. Die Kosten für den einen Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund tragen laut Mergler satzungemäß die Stadtwerke. Weitere Anschlüsse gingen allerdings komplett zu Lasten des Anschlussnehmers.
Keine Mehrwertsteuer ausgewiesen
Mergler versichert: "Die Leistungen wurden von uns als einfache Rechnung zu den Selbstkosten weiterverrechnet." Zu einer Besprechung im Rathaus vor Beginn der Maßnahme seien alle Grundstückseigentümer geladen worden. Es sei klar gewesen, dass die in Frage stehenden Dachrinnenanschlüsse im Straßengrund erneuert werden mussten, um die Verhältnisse komplett für die Zukunft zu ordnen.
Dazu hätten sogar einige noch nicht gefasste Dachrinnen angeschlossen werden müssen, um "wild" ablaufendes Abwasser geordnet der Kanalisation zuzuleiten. Dass die hierfür entstehenden Kosten durch die Eigentümer zu tragen seien, "wurde in dieser Besprechung eindeutig kommuniziert", so Mergler. Schriftlich seien diese Aufträge nicht erteilt worden, entgegnete Mergler auf die Frage, ob den Stadtwerken die angeblichen Aufträge der Anwohner schriftlich vorlägen.
Dehm und Nothacker bemängelten weiter, dass aus dem Schreiben der Stadtwerke nicht ersichtlich sei, auf welcher Rechtsgrundlage die Forderungen erhoben würden. Es gebe zudem keine Rechtsbehelfsbelehrung. "Nicht einmal die Mehrwertsteuer ist ausgewiesen", kritisierte Nothacker.
Es handelt sich nicht um Bescheide
Laut Mergler erfüllen die Schreiben der Stadtwerke "alle Anforderungen an Rechnungen", aber nicht die Anforderungen an Bescheide. Denn es handele sich nicht um Bescheide. "Wir handeln in diesem Fall nicht hoheitlich mit einem Aufwandserstattungsanspruch nach einer Satzung", erläuterte der Leiter der Stadtwerke.
In den vorliegenden Fällen seien erbrachte Leistungen privatrechtlich weiterverrechnet worden. Die Mehrwertsteuer werde deshalb nicht ausgewiesen, weil der Abwasserbereich nicht umsatzsteuerpflichtig sei. "Wir können hier keine Vorsteuer ziehen und dürfen auch keine Umsatzsteuer in Rechnungen ausweisen."
Die beiden Anwohner haben mittlerweile schriftlich Widerspruch eingelegt. Nach Informationen der Redaktion haben weitere Fischer- und Muschelgässler das ebenfalls vor, andere lassen sich noch rechtlich beraten. Nothacker berichtete, bei einem Telefonat mit einem Mitarbeiter der Stadtwerke habe dieser gesagt, wegen der Rechnungen hätten "schon 30 Leute angerufen".
"Verursachergerechte Abrechnung"
Nach Merglers Worten werden nach jeder Baumaßnahme "nach der Abrechnung Fragen an uns gestellt". Das treffe auch in diesem Fall zu. Auf die Frage nach der Anzahl antwortete Mergler, Widersprüche seien jeweils Einzelfälle, "über die wir aus datenschutzrechtlichen und abgabenrechtlichen Gründen keine Auskunft geben können".
Deutlich weist der Werksleiter Vermutungen zurück, die Stadtwerke versuchten nach dem Wegfall der Ausbaubeiträge, auf diesem Weg Geld hereinzuholen: "Mit dem Wegfall der Straßenausbaubeiträge hat die Verrechnung von zusätzlichen Leistungen für einzelne Grundstücke gar nichts zu tun."
Das könne man schon daran erkennen, dass sich die Stadtwerke bekanntermaßen selbst finanzieren müssten und auch früher keinen Anteil an den Straßenausbaubeiträgen bekommen hätten. Für die Stadtwerke gehe es "lediglich um eine verursachergerechte Abrechnung der tatsächlich angefallenen Kosten, die nicht durch die Allgemeinheit finanziert werden können".