Weißt du, wo die Eichen trotzig ragen . . . – Mit diesen Worten beginnt es, das Spessartlied. Seit über 80 Jahren besingen heimatliebende Menschen in ihm die Urwüchsigkeit der Naturlandschaft und den Charakterbaum des Spessarts.
Seit einigen Wochen jedoch ist die Spessarteiche nicht mehr nur Charakterbaum, sondern auch eines der am meisten strapazierten Argumente gegen einen Nationalpark im Spessart. Ein solches Schutzgebiet, so argumentieren die überwiegend in Forst- und Jägerkreisen angesiedelten Gegner, werde die Eiche aus dem Spessart verschwinden lassen. Ohne steuernde forstliche Eingriffe werde die Baumart schon bald von der im Kampf ums Licht konkurrenzfähigeren Buche verdrängt.
Sinner: Nur die Forstwirtschaft sichert Eichenanteil im Spessart
Ein Nationalpark sei ein „Ausrottungsprogramm für die Eiche“, sagt beispielsweise Eberhard Sinner. Der Lohrer Forstmann und Staatsminister a.D. ist einer der vehementesten Streiter gegen ein Großschutzgebiet im Spessart. Er beschreibt die dortige Forstwirtschaft als ein über Jahrzehnte geprägtes und weltweit angesehenes Musterstück für nachhaltiges Wirtschaften und als einzigen Garanten für den Erhalt der Spessarteiche.
Doch es gibt auch Widerspruch zu Sinners These. Manuel Schweiger beispielsweise spricht gar von „Augenwischerei“. Der Diplomingenieur und Umweltplaner ist Wildnisreferent bei der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt. Diese unterstützt seit Jahren bundesweit Nationalparkinitiativen in verschiedenen Bundesländern, zuletzt beispielsweise im Hunsrück und Schwarzwald. Der 36-Jährige bezeichnet Sinners Aussage, wonach die derzeitige Eichenwirtschaft im Spessart Garant der Artenvielfalt ist, als „nicht nachvollziehbar“. Schweiger argumentiert zum einen, dass die Eichen im Wirtschaftswald des Spessarts nicht einmal annähernd in das Alter kommen, in dem sie ihren ökologischen Wert erst richtig entfalten.
Im Spessart werden Eichen nur selten so alt wie sie es könnten
Eichen werden problemlos 500 bis 600 Jahre alt – wenn man sie lässt. Die für viele Tiere und Pflanzen so wichtigen Kleinstlebensräume in Form von Höhlen, Bruchstellen oder Rissen entstünden erst in diesem „Methusalem-Alter“, so Schweiger. Im Spessart jedoch werden die Eichen zumeist deutlich früher gefällt. Das aus ökonomischen Betrachtungen resultierende Bewirtschaftungskonzept im Staatswald sieht vor, dass Eichen spätestens im Alter von 230 Jahren geerntet werden.
Schweiger spricht angesichts des von Natur aus möglichen Alters der Eichen daher von einer Ernte im „jugendlichen Stadium“.
Artenvielfalt dort am höchsten, wo die Motorsäge ruht
Etliche bedrohte Arten, die Forscher im Spessart ausgemacht haben, wurden daher vor allem in den wenigen Naturschutzgebieten und Naturwaldreservaten gefunden, dort also, wo die Motorsäge ruht und die Eichen in größerer Zahl wirklich alt werden dürfen.
Der Zustand, der derzeit vor allem auf die kleinen Schutzgebiete im Staatswald des Spessarts begrenzt ist, würde sich laut Schweiger in einem Nationalpark auf einer großen, zusammenhängenden Fläche entwickeln.
Anders als von Eberhard Sinner dargestellt, wäre ein Nationalpark daher mit Blick auf die von der Spessarteiche ausgehende Artenvielfalt sicherlich „kein Verlust, sondern ein Gewinn“, so der Wissenschaftler, der selbst am Fuße des hessischen Spessarts wohnt und ihn auch berufsbedingt kennt.
Klimawandel macht Prognose zur künftigen Waldentwicklung schwierig
Auch die Aussage, wonach ohne steuernde Eingriffe des Menschen die Eiche recht bald fast vollständig aus dem Spessart verschwinden würde, stößt bei Schweiger zumindest auf Skepsis. Angesichts des Klimawandels stünden aus den forstlichen Erfahrungen der Vergangenheit abgeleitete Prognosen zur künftigen Waldentwicklung auf äußerst wackligen Beinen, sagt er.
Eiche könnte von Klimawandel profitieren
In der Tat gehen Wissenschaftler davon aus, dass die Klimaerwärmung zu größeren Verschiebungen bei der Zusammensetzung hiesiger Wälder führen dürfte. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die vergleichsweise wärmeliebende und trockenheitsresistente Eiche den Klimawandel besser vertragen als die Buche. Bisherige Erkenntnisse zur Konkurrenzsituation zwischen Buche und Eiche im Spessart könnten damit hinfällig werden.
Schweiger ist sich jedenfalls auch aufgrund dieser Tatsache sicher: „Ein Nationalpark wäre nicht der Tod der Eiche.“ Der Fortbestand der Baumart im Spessart sei auch mit einem Großschutzgebiet auf Jahrhunderte hinaus gesichert, so der Wildnisreferent der Zoologischen Gesellschaft. Ausgeblendet werde bei der Diskussion überdies gerne, dass in Teilen des Nationalparks sehr wohl steuernde forstliche Eingriffe zur Förderung der Eiche möglich wären. Und schließlich würde ein Nationalpark auch nur einen vergleichsweise kleinen Teil des Spessarts umfassen.
Verbreitete Scheu, sich öffentlich zu dem Thema zu äußern
Schweigers Ansicht teilen auch in Bayern angesiedelte Wissenschaftler. „Im Spessart wird es in tausend Jahren noch Eichen geben“, sagt einer von ihnen, freilich nur hinter vorgehaltener Hand.
Die Scheu mancher Fachleute, sich öffentlich dazu zu äußern, hängt zum einen mit einer Art Maulkorberlass zusammen, den es in der auch politisch heiklen Nationalparkdiskussion für gewisse Instanzen gibt, andererseits damit, dass man sich als Staatsdiener bei einem solch emotionsgeladenen Thema wohl generell nicht dem Verdacht der Einflussnahme aussetzen will.
Das gleiche Bild in Forstkreisen: Auch hier melden sich Stimmen, die Zweifel an der These hegen, wonach allein die Forstwirtschaft im Spessart der Garant der alten Spessarteichen ist. Gegenüber der Redaktion äußerten sich mehrere Forstleute, die teilweise Jahrzehnte im Spessart aktiv waren. Namentlich genannt werden wollen auch sie nicht – aus Angst davor, in ihrem Berufsstand als schwarze Schafe an den Pranger gestellt zu werden.
Kritiker: Über Jahrzehnte deutlicher Schwund bei den wirklich alten Eichen im Spessart
Ihre Aussagen jedoch zeichnen ein Bild von einer Wirtschaftsweise, die nicht ganz zum Bewahrer der alten Eichen passen will. Aus den Staatsforsten des Spessarts seien die 250 und mehr Jahre alten Baumriesen, die einst den Mythos der Spessarteichen begründeten, heute fast überall verschwunden, schildern kritische Forstleute. Über Jahrzehnte seien die Alteichenbestände im Spessart im großen Stil abgeerntet worden, um es in der Staatskasse klingeln zu lassen. Gleichzeitig wüchsen kaum mehr Eichen in die hohen Altersklassen nach, weil sie vorher geerntet würden.
„Der größte Feind der alten Eichen ist nicht der Nationalpark, sondern die Motorsäge“, sagt einer der Forstleute. Vor allem zwischen den 1960er und 1980er Jahren seien Tausende der noch aus kurfürstlichen Zeiten stammenden Alteichen bei Wertholzversteigerungen meistbietend verkauft worden. Nach dem Aderlass der vergangenen Jahrzehnte gebe es sie heute im Wirtschaftswald des Spessarts nur noch vergleichsweise selten, die wirklich alten, dicken Eichen.
Forstbetrieb verweis auf die im Wald verteilten Biotopbäume
Die Verantwortlichen des Forstbetriebs Rothenbuch widersprechen dieser Aussage. Sie verweisen nicht zuletzt auf eine Vielzahl an auf Dauer nicht angetasteten Biotopbäumen, darunter auch zahlreiche alte Eichen, die verteilt im Staatswald stünden.
Kritiker, darunter nicht zuletzt Naturschützer sprechen jedoch von einem dramatischen Schwund bei den besonders imposanten Exemplaren des Charakterbaumes des Spessarts. Nur in den komplett unter Schutz gestellten Naturschutzgebieten und Naturwaldreservaten ragten urwüchsige Eichen noch in größerer Zahl trotzig in den Himmel.
Unterdessen geht im bewirtschafteten Teil des Staatswaldes die Eichenwirtschaft ihren gewohnten Gang. Deutlich wurde das dieser Tage in einer Pressemitteilung, die Jann Oetting, der Leiter des Forstbetriebes Rothenbuch, verschickte. Darin rief der Forstmann – vor dem Hintergrund der Nationalparkdiskussion sicher nicht ganz ohne Hintergedanken – das zu Ende gegangene Jahr 2016 kurzerhand zum „Jahr der Eiche“ aus. Oetting begründete dies unter anderem damit, dass die Eichen auch im Spessart in diesem Jahr außerordentlich viele Früchte produzierten, die als Saatgut für verschiedene Eichenkulturen dienten.
Eichen im Gegenwert eines Kleinwagens
Die Pressemitteilung zum „Jahr der Eiche“ bebilderte Oetting mit einem Foto, das Kritiker als bezeichnend empfinden dürften: Es zeigt eine prächtige Uralteiche – gefällt und bereit für den Verkauf auf einem Holzlagerplatz liegend. Der Stamm, so dazu die Betrachtung des Forstmannes Oetting, habe „in etwa den Wert eines Kleinwagens“.