
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wirkt sich auch auf die Kulturveranstaltungen in Lohr aus: Für die am 13. April stattfindende Tanzaufführung von Dornröschen in der Stadthalle war ursprünglich ein "Klassisches Moskauer Ballett" vorgesehen. Nun heißt es auf der Internetseite der Lohrer Stadthalle, dass stattdessen das "Ukrainian Ballet Theater Premiera" auftritt. Handelt es sich dabei um dasselbe Ensemble, das unter einem neuen Namen firmiert, oder um eine gänzlich andere Tanztruppe?
Laut Thomas Funck, der das Kulturamt und die Stadthalle in Lohr leitet, hat der Veranstalter das russische Ensemble von sich aus zunächst durch ein ukrainisches ersetzt. Er habe daraufhin Nachweise gefordert, dass es sich um Ukrainer und nicht um Russen handele, die in Lohr auftreten. Da die entsprechenden Papiere auf Kyrillisch waren, habe er sie beim ukrainischen Konsulat prüfen lassen wollen, erzählt der Kulturamtsleiter.
Ballett-Ensemble aus Neapel
Doch das ist inzwischen nicht mehr nötig. Denn kürzlich habe ihn die Frankfurter Konzertagentur darüber informiert, dass die Künstler jetzt noch einmal ausgetauscht worden seien, sagt der 40-Jährige. Das Dornröschen wird nun von einem 22-köpfigen italienisches Ballett-Ensemble aus Neapel getanzt. Das ist inzwischen auch auf der Internetseite der Stadt Lohr so zu lesen.
Nina Zepezauer, Projektleiterin bei der P.T.F. GmbH – Konzertagentur Friedmann aus Frankfurt, erläutert, dass die russischen Tänzerinnen und Tänzer bereits im April vorigen Jahres in Lohr auf der Bühne stehen sollten. Doch die Veranstaltung wurde pandemiebedingt verschoben. In der Werbung sei deshalb bis voriges Jahr auch immer vom "Moskauer Ballett" die Rede gewesen, sagt die 57-Jährige. "Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, konnten wir die russischen Künstler nicht mehr nach Deutschland holen, um Auftritte zu planen. Deswegen haben wir seit 2022 neue Ballettgruppen, mit denen wir zusammenarbeiten", erklärt sie.
Agentur änderte ihren Namen
Der Ukraine-Krieg rüttelte am Fundament der Frankfurter Veranstaltungsagentur, die laut ihrer Internetseite seit 20 Jahren "russisches Ballett, Theateraufführungen, Volksmusik und Kabarett, Opernsänger, Pop-Stars und Disco-Bands aus Russland" für Deutschland-Tourneen vermittelte. So stark waren die Folgen des Kriegs auf die Kulturwelt, dass die Agentur, die voriges Jahr noch P.T.F. Deutsch-Russische Kulturförderungs GmbH, hieß, ihren Namen änderte.
"In der Vergangenheit haben wir viele russische Künstler in Deutschland und Europa präsentiert. Unser Name war nicht mehr zeitgemäß und passt auch nicht, weil wir zu dieser schrecklichen Zeit keine russischen Künstler fördern können", sagt Zepezauer. Ihrer Aussage zufolge bekommen russische Künstler keine Visa mehr für Deutschland ausgestellt. Die Agentur hätte vergangenes Jahr bei der deutschen Botschaft deswegen angefragt und die Information bekommen, dass das nicht mehr möglich sei, berichtet sie.
Mit Qualität unzufrieden
Deshalb arbeitet die Agentur seit 2022 mit neuen Ballettgruppen zusammen. Die letzten drei Monate trat das oben genannte ukrainische Ballett mit Nussknacker und Schwanensee auf. Doch da man mit der Qualität des Ensembles nicht zufrieden gewesen sei, komme ab 17. März die Ballett-Truppe aus Neapel zum Einsatz. Ein paar Tage vor dem Auftritt in Lohr gastieren die Tänzer am 2. April bereits in der Aschaffenburger Stadthalle.
Derzeit werden europaweit russische Künstler von Veranstaltungen und Wettbewerben ausgeschlossen. Nina Zepezauer antwortet auf die Frage, was sie von diesem generellen Boykott hält, lediglich: "Die russischen Künstler sind nicht an dem Krieg schuld." Die Projektleiterin erzählt von den negativen Reaktionen auf noch vor dem Krieg geplante Veranstaltungen mit dem russischen Staatsballett, die nach dem Kriegsausbruch kurzfristig geändert wurden. "Uns wurde angekündigt, dass man gegen diese Veranstaltung demonstrieren werde", erzählt sie dieser Redaktion. Da hatte die Agentur aber bereits ukrainische Künstler als Ersatz engagiert.
Lohrs Kulturamtsleiter kann nachvollziehen, "wenn jemand Kritik übt, dass Anna Netrebko bei einem großen Festival auftritt". Es gebe genug andere Künstler, sagt er. "Es ist momentan keine Zeit, in der die Stadthalle Lohr eine Veranstaltung mit russischen Künstlern machen würde. Es sei denn, es wären Oppositionspolitiker oder Künstler, die eine ganz klare Position entkoppelt von den jetzigen politischen Verhältnissen oder gegen diese haben", betont Funck. In einem solchen Fall würde er aber vorher mit dem Bürgermeister und dem Stadtrat darüber sprechen, schiebt er nach.
Nicht gegen Sanktionen verstoßen
Fast jedes Ensemble aus Russland ist nach Funcks Meinung "eine vom russischen Staat geförderte Kultureinrichtung". Eine pauschale Aussage zu einem Auftrittsboykott russischer Künstler für Lohr möchte er aber nicht treffen. "Bei der Frage, was ein russischer Künstler darstellen würde, der bei uns auf der Bühne steht, müsste ich mir den Einzelfall genau ansehen", betont der 40-Jährige. Grundsätzlich gelte es, die aktuell gültige, teils wechselnde Rechtslage zu prüfen, damit nicht gegen geltendes Recht oder gegebenenfalls Sanktionen verstoßen wird, fügt Funck noch an.
Persönlich wolle und könne er es nicht verantworten, dass durch den Auftritt eines Künstlers eventuell "eine positive Assoziation entsteht, mit dem was Russland momentan anrichtet". Das Risiko, dass bei einem russischen Ensemble Künstler auf der Bühne stehen, die den Angriffskrieg befürworten, will er nicht eingehen. "Was passiert denn, wenn jemand vielleicht ein Z auf der Brust trägt, wie das zum Beispiel unmittelbar nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Krieges russische Sportler auf Siegerpodesten getragen haben", fragt der Lohrer Stadthallenmanager. Die russische Armee hat das Z im Krieg auf ihre Militärfahrzeuge gemalt. Unter Zivilisten gilt es auch als Zeichen, dass sie Putins Angriff auf die Ukraine unterstützen.
Konzert im Januar abgesagt
Das Konzert des russischen Pianisten Ivan Bessonov, der im Januar ebenfalls in der Lohrer Stadthalle spielen sollte, ist abgesagt worden. Im Gegensatz zu Dornröschen handelte es sich dabei um eine Eigenveranstaltung der Stadt. Der 20-Jährige trete laut Funck "ganz klar als jüngster Nachwuchsstar aus Russland auf". Abgesehen davon, dass auch Bessonov nicht einreisen konnte, hätte der Kulturamtsleiter einen Auftritt des Künstlers aktuell nicht vertreten wollen. "Bei den Kriegsverbrechen, die im Namen Russlands verübt werden, können wir nicht zur Tagesordnung übergehen", betont er. Das Konzert habe die Stadt Lohr im gegenseitigen Einvernehmen mit der Agentur abgesagt.
Wie sehr sich die Zeiten gewandelt haben, zeigt ein Blick zurück auf das Jahr 2018. Da gab die Russische Nationalphilharmonie ein vielbejubeltes Konzert in Lohr, der mit Abstand kleinsten Stadt auf ihrer Europatournee. Stadthallenmanager Funck, der auch die Kontakte zu den Musikern geknüpft hatte, begrüßte die 630 Zuhörer damals zu einem "ganz besonderen Konzertabend mit einem der weltbesten Orchester".