Menschen verlassen ihre Heimat und suchen ihr Glück woanders – das war wohl zu allen Zeiten so, verstärkt zum Beispiel während der spätantiken Völkerwanderung, aber auch im Mittelalter und im 18. sowie 19. Jahrhundert oder der Gegenwart. Den Migranten, die während vergangener Zeiten bis heute nach Unterfranken kamen, spürt die neue Sonderausstellung des Bezirks Unterfranken im Spessartmuseum in Lohr nach. "Woher/Wohin – eine Ausstellung vom Ankommen und Weggehen" lautet ihr Titel. Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Daniela Kühnel (48) aus Kitzingen, die das Konzept entwickelt hat.
Daniela Kühnel: Die Idee kam vom Bezirk Unterfranken, sie stand schon fest, als ich mich an der Ausschreibung Ende 2018 beteiligte. Der Bezirk plante eine Ausstellung zum Thema Migration in Unterfranken, aber an der Feinabstimmung konnte ich noch mitwirken.
Kühnel: So genau weiß ich das natürlich nicht, es war wohl eine Kombination aus verschiedenen Aspekten. Da es sich um eine Wanderausstellung handelt, haben wir versucht, alles hineinzupacken, beispielsweise auch Aktivstationen für die Besucher, und das Ganze trotzdem transportabel zu gestalten. Ich habe bewusst darauf verzichtet, dieses große Thema alleine zu erarbeiten und mir 17 Fachleute ins Boot geholt, die sich bereits damit beschäftigt und interessante Geschichten aufgetan hatten. Sie haben auch am Katalog mitgewirkt.
Kühnel: Kernelement ist ein chronologischer Rundgang vom frühen Mittelalter bis heute. Wir schauen, wer angekommen und wer weggegangen ist. Ausgangspunkt ist immer Unterfranken, aber theoretisch hat jede andere Region der Welt die Chance, über Migranten mit hinein zu spielen. Jede unterfränkische Region, jedes Museum ist aufgefordert, die Wanderausstellung um eigene Exponate zu ergänzen. Da findet sich überall etwas – zum Beispiel ein Koffer oder ein Rucksack, die für Flucht oder Vertreibung stehen. Das hat bislang wunderbar geklappt. Lohr wird die elfte Station für die Ausstellung, die 2019 eröffnet wurde. Im Museum für Franken in Würzburg ging die Reise los. Zum Konzept gehört auch, aus dem chronologischen Ablauf einzelne Geschichten herauszugreifen und mit Exponaten anschaulicher zu machen.
Kühnel: Je weiter wir in die Geschichte zurückgehen, desto weniger Exponate haben wir natürlich. Von den iroschottischen Wandermönchen, mit denen die Christianisierung im siebten Jahrhundert begann, gibt es naturgemäß nicht viel. Wir haben nur eine Zeichnung und ein Foto des Kreuzbergs. Dagegen ist aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als die Heimatvertriebenen nach Unterfranken kamen, sehr viel vorhanden. Eine originale Fluchtkiste samt Wägelchen macht deutlich, wie wenig diese Menschen damals mitnehmen konnten. Dazu gibt es Filmausschnitte und Interviews mit Zeitzeugen.
Kühnel: Prominentestes Beispiel dürfte der Bankier Marcus Goldman sein, der 1821 in Trappstadt im Landkreis Rhön-Grabfeld geboren wurde und mit der Auswanderungswelle im 19. Jahrhundert nach Amerika ging. Er ist der Urvater von Goldman Sachs.
Kühnel: Wir haben zum Beispiel eine Wand mit Wörtern, die aus anderen Sprach- und Kulturräumen stammen und in Unterfranken hängen geblieben sind. Gleichzeitig gab es wieder andere, die wir exportiert haben. An der Wand befinden sich Täfelchen, die sich hochklappen lassen. Darunter ist zu lesen, woher die Begriffe stammen, also "Friseur" beispielsweise aus Frankreich oder "Joghurt" aus der Türkei. Anhand unseres Flaggenbaums lässt sich erkennen, mit wie vielen Nationen unser Staat Anwerbeabkommen abgeschlossen hat. Man denkt spontan an Italien, Spanien, später die Türkei - aber tatsächlich waren es weitaus mehr. Dazu gibt es eine schöne Geschichte aus Karlstadt. Dort leben heute noch viele Migranten. Zunächst wurden Italiener, später Spanier und Türken angeworben. Hintergrund war, dass die Eisenwerke Wilhelm Düker Arbeiter brauchten und sich dafür stark machten.
Kühnel: Ich denke, das kann man so nicht sagen, Migration gehört überall zur Historie dazu. Insbesondere der Glaube als Hintergrund für Wanderungsbewegungen zieht sich über alle Jahrhunderte durch.
Kühnel: Begriffe und Wörter, die in den Sprachgebrauch aufgenommen wurden, hatte ich bereits erwähnt. Auch das, was wir heute essen, ist multikulturell. Das spiegelt sich in der Ausstellung auf einem Tisch, der Lieblingsessen verschiedener Nationen präsentiert.
Kühnel: Neue Kochformen und Ernährungsarten kamen mit den Flüchtlingen. In vielen Orten haben sich Treffpunkte gebildet, wo zusammen gekocht und neue Ernährungsstile kennengelernt werden. Hier wurde und wird über den sprichwörtlichen Tellerrand geschaut und jeder kann etwas für sich entdecken. Neue Sichtweisen aufs Leben kamen besonders mit den syrischen Flüchtlingen. Neben Essen sind auch Sportarten importiert worden. Afghanische Flüchtlinge brachten zum Beispiel Cricket mit.