Einmal der Beste, vielleicht sogar der Weltbeste zu sein, ist der Traum wohl vieler junger Leute – Michael Rauch war es gleich mehrfach und über viele Jahre. Der dreimalige Weltmeister im Kunstradfahren hat darüber die Bodenhaftung nicht verloren. Schon lang, bevor er 2016 dem Wettkampfbetrieb endgültig entsagte, hatte er seine berufliche Zukunft vorbereitet. Nichts in der Sportbranche, obwohl der Langenprozeltener einen Abschluss als Diplom-Sportwissenschaftler hat; der 45-Jährige hat sich der Wirtschaft zugewandt und ist seit 16 Jahren selbstständiger Finanz- und Versicherungsmakler. Das Büro wie auch die Wohnung befinden sich immer noch im Elternhaus in der Langenprozeltener Sonnenleite.
Jetzt schaut Michael Rauch nicht mehr nach den Wertungspunkten, sondern nach den Werten in der Finanzwirtschaft. "Das gefällt mir richtig gut", beteuert er, wenn auch sein Beruf nichts mit der staunenswerten Artistik eines Kunstradfahrers zu tun hat, der das Rad auf einem Reifen balanciert, weder Lenker noch Sattel benötigt und dabei einen Partner auf den Schultern stehen hat. Berührungspunkte aber gebe es doch: So waren Marketing und Finanzierung schon Themen seines Sportstudiums in Mainz, und der Name Rauch diente bei Kunden als Türöffner – "er war damals ja oft in der Zeitung zu lesen". Die wertvollste Erfahrung aus dem Sport aber sei gewesen: "Ich kann mich festbeißen." Und das war gerade in der Anfangszeit wichtig, als er mit 29 Jahren sein Büro eröffnet hatte: "Es war in den ersten drei, vier Jahren oft sehr, sehr knapp."
Zweijähriges Fernstudium
Heute laufe das Geschäft gut. Michael Rauch hat seit zwei Jahren eine Mitarbeiterin und will sich weiter vergrößern. Über einen Schulfreund vom Gemündener Friedrich-List-Gymnasium, der für einen großen Finanzdienstleister arbeitete, kam der Sportler zu seinem Beruf. Er entschied sich zur Selbstständigkeit als Versicherungsmakler und Berater für Vermögensanlage und Immobilienfinanzierung, um nicht an bestimmte Firmenprodukte gebunden zu sein. Der IHK-Prüfung "Fachberater für Finanzdienstleistungen" 2005 schloss er vier Jahre später ein zweijähriges Fernstudium zum Fachwirt an. 2016 trat er einem Beraternetzwerk mit eigener Vermögensverwaltung bei. Dadurch seien Geldanlagen beispielsweise in sozialen oder ökologischen Projekten möglich; immer mehr Kunden fragen eine derartige nachhaltige Vermögensbildung nach, ist Rauchs Erfahrung.
Privat ist Michael Rauch seit einem Jahr mit seiner langjährigen Partnerin Melissa Breitenbach verheiratet, die zweijährige Tochter Mathea wird bald ein Geschwisterchen bekommen. Gut möglich, dass Papa den Kindern das Kunstradfahren beibringen wird, da er sich im TSV Langenprozelten noch als Trainer engagiert. Durch den TSV, der eine lange Tradition in der Nischensportart hat, bzw. seinen jüngsten Bruder Stephan kam Michael Rauch selbst als Elfjähriger zum Kunstradfahren: "Mir gefiel, den Gleichgewichtssinn zu trainieren und immer neue Sachen auszuprobieren." Die Sonnenleite, eine wenig befahrene Sackgasse, war ein gutes Trainingsgelände.
Zwei Jahrzehnte in der Weltelite
Die drei Rauch-Brüder Stephan, Heiko und Michael – jeweils drei Jahre auseinander – erwiesen sich alle als Naturtalente, ob als Einzel- oder später Zweierfahrer wie auch in der Vierer- und Sechserformation; sie gehörten über zwei Jahrzehnte zur Weltelite. Schon bei seiner ersten deutschen Schülermeisterschaft 1988 kam Michael Rauch als 14-Jähriger mit einem zweiten Platz aufs Siegertreppchen, auf dem er dann auch in allen folgenden Jahren in der Junioren- und schließlich der Eliteklasse stand. Den Siegen und Platzierungen dort folgten die Europa- und Weltmeisterschaften.
Von 1994 bis 2004 startete er schließlich mit seinem Bruder Heiko jedes Jahr bei den Weltmeisterschaften; sie gewannen den Titel dreimal und wurden siebenmal Zweite. 2014 erreichten Melissa Breitenbach und Michael Rauch bei der Weltmeisterschaft in der Offenen Klasse noch einen dritten Platz. Ann-Kathrin Egert und Stephan Rauch hatten diese Klasse zuvor zweimal gewonnen.
Besondere Erinnerungen an drei Meisterschaften
Erinnern kann sich Michael Rauch an wohl alle Wettbewerbe, am besten an den ersten WM-Titel 1996 in Malaysia sowie den allerletzten deutschen Meistertitel, "weil's knapp war und weil klar war, dass Schluss ist". Vielleicht am schönsten war die Weltmeisterschaft von 1999, als das vor den Rauchs startende Duo den Punkte-Weltrekord der Langenprozeltener brach, – den dann die Brüder gleich darauf mit einem noch besseren Ergebnis wieder aufstellten.
Das schlimmste Erlebnis für Michael Rauch war die WM im Jahr zuvor: Alle Titel des Jahres waren gewonnen, der Sieg schien fast sicher. Dann, drei Stunden vor dem Einsatz, beim Aufwärmtraining, stürzten die Favoriten – Michael Rauch, gerade auf dem Lenker stehend, fiel rücklings aufs Fahrrad und den Boden und brach sich dabei das Ellbogenköpfchen: "Es war meine einzige verpasste WM-Teilnahme."