In den vergangenen Jahren ist es etwas stiller geworden um Pfarrer Heiner Spittler. Die letzten zehn Jahre seines aktiven Dienstes in der evangelischen Landeskirche hat der heute 65-Jährige im Raum Lohr verbracht. Und doch weiß man hier teils wenig über das bewegte Berufsleben, auf das der gebürtige Waiblinger zurückblickt und auch nicht über die Dinge, die Pfarrer Spittler während der vergangenen 30 Jahre in der evangelischen Kirche in Bewegung gebracht hat.
Etwa seine Zeit in den USA, wo er unter anderem als seelsorgerischer Ausbilder in Los Angeles (LA) gearbeitet hat, oder seine Verdienste um die klinische Seelsorge hierzulande. Das mag zum einen daran liegen, dass Spittler zuletzt vermehrt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, zum anderen liegt es aber sicher auch daran, dass der 65-Jährige niemand ist, der Dinge an die große Glocke hängt.
Innere Welten entdecken
Von Erlangen über New York und LA nach Main-Spessart: Nach fast zehn Jahren als Krankenhausseelsorger und Pfarrer in Lohr und Partenstein wird Pfarrer Heiner Spittler nun am Sonntag, 19. März, offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Eine einfache Zeit ist es für ihn nicht, denn obwohl "Pfarrer mit Leib und Seele", musste er sich doch schon frühzeitig verabschieden und weilte seit Mitte Januar in der Reha am Starnberger See. Es scheint, als wolle ihm das Leben sagen: "Zeit, sich um sich selbst zu kümmern". Denn Zeit seines Berufslebens hat sich der Pfarrer überwiegend um andere gekümmert.
Schon während seines Theologie-Studiums hat Spittler erste Begegnungen mit der klinischen Seelsorge gemacht, die später sein Leben und Wirken als Pfarrer maßgeblich bestimmte. "Ich habe damals schon gemerkt, dass ich in diesem Bereich einen ganz anderen Zugang zu den inneren Welten kennenlernen kann", sagt Spittler. Und schnell habe er auch seine Begabung auf diesem Gebiet festgestellt – ebenso wie seine Ansprüche. "Eine klinische Seelsorgerausbildung, wie ich sie mir gewünscht hatte, gab es in dieser Intensität in Deutschland nicht", sagt Spittler. Nach seinem Studium ging er deswegen nach Amerika und hat sich dort selbst eine fast zweijährige Ausbildung in Brooklyn gesucht.
Ausbildung in den USA
Zum Vergleich: In Deutschland umfasste die Ausbildung zum klinischen Seelsorger zwei Mal sechs Wochen. "Schmalspurausbildung" nennt Spittler das – damals wie heute. In den USA hingegen habe die klinische Seelsorge einen größeren Stellenwert. "Die geistliche Dimension gehört bei der Krankenhausfürsorge dazu, sonst gibt es dort auch keine staatlichen Gelder", erklärt der Pfarrer. Generell seien Glaubensfragen in Amerika noch höher angesiedelt als in Deutschland, findet Spittler. Das könne Vor- und Nachteile haben. Aber egal welche Religion, in der Krankenhausseelsorge gehe es darum, mithilfe der Religion die Menschen zurück zu verbinden.
"Religio bedeutet ja auch 'wieder verbinden', also innerlich verorten und damit kann man mit Schwankungen im Leben ganz anders umgehen", sagt der Pfarrer. Seine Aufgabe sei es gewesen, Menschen in schwierigen Situationen zu helfen, ihre eigene Mitte wiederzufinden und so ganzheitlich gesund zu werden. "Das ist ein ganz anderes Verständnis einer Krankenhausseelsorge. In der alten Form denkt man vielleicht, da kommt der Pfarrer nur zur Krankensalbung. Aber bei einer intensiven Krankenhausseelsorge geht es auch darum, die eigenen Ressourcen fürs Heilen zu aktivieren."
Insgesamt dauerte Spittlers seelsorgerische Ausbildung in den USA fünf Jahre. Nach seinem Vikariat studierte er ein Jahr in Princeton, der dann folgenden zweijährigen Ausbildung in New York schloss sich eine weitere zweijährige Ausbildung zum Supervisor in New Jersey an.
Dann verlangte die evangelische Landeskirche in Deutschland wieder nach ihrem Schützling – es war Zeit, in die Heimat zurückzukehren. So wurde Spittler Gemeindepfarrer in der Christuskirche Bad Füssing. Er blieb bis 1995 – dann rief Amerika ihn erneut. Für weitere fünf Jahre ging Spittler nach Los Angeles, wo er in einem katholischen Krankenhaus arbeitete. Es war eine sehr schöne Zeit seines Lebens, frisch verliebt kam Spittler mit seiner Frau in die USA. Es waren familiäre Gründe, die ihn schließlich veranlassten, doch mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukommen.
Für Weiterbildung engagiert
Ab 2000 engagierte sich Spittler in Würzburg für die Ausbildung in der Klinikseelsorge. "Ich hatte wirklich Glück, eine von drei Landesstellen zu bekommen." Das Herz immer schon mehr in der Ausbildung als in der Arbeit in der Pfarrgemeinde, hatte Spittler bereits während seiner Zeit in Bad Füssing erste Kurse in Krankenhaus-Seelsorge für Theologie-Studenten angeboten.
2004 etablierte er das deutschlandweit einmalige Projekt "Klinisches Seelsorgejahr". Bis zu fünf Personen wurden hier in einem Jahreskurs zum klinischen Seelsorger ausgebildet. In Würzburg gründete er zudem eine Stiftung für die klinische Seelsorge, war Mitorganisator der Bayerischen Friedenswoche und Mitbegründer des Klinischen Ethik-Komitees in Würzburg und natürlich Krankenhausseelsorger an der Uniklinik.
Bereits selbst mit gesundheitlichen Problemen kämpfend, ließ er sich 2013 nach Main-Spessart versetzen. Nachdem er sein halbes Berufsleben in der Weiterbildung tätig war, übernahm Spittler eine theologisch-pädagogische Stelle in Partenstein mit einem Anteil in Lohr. Er wurde Krankenhausseelsorger am Klinikum Main-Spessart, betreute unter anderem das Caritas-Seniorenzentrum, das AWO-Seniorenheim in Partenstein und das Haus Benefit in Frammersbach mit. Aufgrund persönlicher Umstände schied er allerdings ab 2017 aus der Regelfürsorge aus und übernahm andere Tätigkeiten in der evangelischen Kirche.
Seelsorge während Corona
Die Zeit der Pandemie hat Spittler deswegen nicht aktiv als Krankenhausseelsorger miterlebt, wohl aber Notfälle betreut. Entsetzt ist er noch heute über den Umgang mit der Krankenhausseelsorge während dieser Zeit. "Im Lohrer Klinikum sind die Seelsorger ausgesperrt worden. Das war in anderen Krankenhäusern nicht so. Menschen mussten sterben, ohne Begleitung, ohne ihre Angehörigen und auch ohne geistige Unterstützung. Die Reinigungskräfte hingegen durften rein. Das ist auf einer Seite auch typisch deutsch und zeigt die eher geringe Wertschätzung der Krankenhausseelsorge und der seelischen Dimension, anders als es die WHO eigentlich vorgibt", sagt der Pfarrer.
Wenn er am Sonntag als Pfarrer entpflichtet wird, bedeutet das allerdings nicht, dass er seine Tätigkeit in der Seelsorge komplett niederlegt. "Man bleibt doch einfach Pfarrer. Auch wenn ich vielleicht im aktiven Ruhestand nicht so viel machen werden, wie ich es mir mal vorgenommen habe, bleibe ich doch Pfarrer mit Leib und Seele." Und so will der 65-Jährige weiterhin auch im Raum Lohr und eventuell in Aschaffenburg sein Wissen und seine Begabungen einbringen.