Deftig, fränggisch und direkt macht Matthias Egersdörfer das „Ding der Unmöglichkeit“ möglich. Dass sein Auftritt am Freitagabend in der Alten Turnhalle kein Programm für zartbesaitete Seelen ist, wird den 180 Besuchern bald klar. Macht doch der Mittelfranke, der von sich sagt „Ich bin kein lustiger Kerl“, seinem Namen als „größter Choleriker der Kabarettszene“ alle Ehre.
Dass seine „middelfränggisch“ sprechende Bühnenfigur weit weg vom charmanten Sympathieträger angesiedelt ist, dürfte bekannt sein. „Für mich ist Brüllen auf der Bühne sehr lustig“, sagt der gebürtige Nürnberger im TV-Interview und kostet alle Facetten des Cholerikers aus, von chaotisch laut bis hemmungslos ungezügelt.
An der Grenze des Erträglichen
Das neue Solo des vielfach prämierten Kabarettisten gleicht zuweilen einer Gratwanderung an der Grenze des Erträglichen. Wiederholt greift der Kabarettist mit Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft, Philosophie und Kunst die Frage seines verstorbenen Künstlerfreundes Philipp Moll auf: „Was wäre, wenn man sich in der Öffentlichkeit komplett im weißen Anzug mal so richtig in die Hosn neischeißt?“. Thematisiert wurden – um es schonend auszudrücken – Erleichterungen aus allen Körperöffnungen.
Programm mit Niveau gewünscht
„Was haben Sie erwartet?“, fragt er sein Lohrer Publikum und gesteht: „Der Abend war anders gedacht“. Der Veranstalter (ktm-events) habe ein Programm mit Niveau gewünscht – politisches Kabarett vom Feinsten –, so als sei Egersdörfer Abonnent der Süddeutschen Zeitung.
„Sie verkaufen sich unter Wert“, spricht er die Besucherin in der ersten Reihe an. Sie hätte etwas Besseres verdient als den „Mann im Unterhemdle“ neben ihr. „Ich selbst hätt so was nit nötig, mit so Leut wie ihr“, betont Egersdörfer mit Blick ins Publikum.
„Wie kam ich dazu, Spaßmacher zu werden?“, sinniert der 48-Jährige in schwarzem Nadelstreifen und rotem Hemd mit finsterer Miene. „Mein Traumberuf war Sportlehrer im Frauengefängnis.“ Aber er sei halt nicht sportlich und „von Beruf müde“. Sein Tipp: „Lieber acht Stunden als Nutzlast auf dem Sofa, um Körper und Gedanken flach zu halten.“ Der Garant zur Gewichtsreduzierung, denn nach Sport oder Sex stelle sich ein Wahnsinns-Hunger auf Schinkenbrot ein. Sein Rezept gegen Stress und Burnout: „Die Leut? solldn sich besser e weng hilegn.“
„Schee is was anderes“ klagt er über nächtliche Einschlafprobleme. Bliebe Schäfchen zählen erfolglos, wiege er sich in blutrünstigen Mordfantasien und Selbstmordabsichten.
„Scheiße, Geschlechtsverkehr, Mord und Selbstmord, es wird immer schlimmer“, zieht er Bilanz und schiebt „e Gschichtle“ vom Salzknöchle mit schillerndem Sauerkraut, Salzkartoffeln und e paar Seidle Bier nach. Der Genussgipfel sei Bananensplit, eineinhalb Liter Schokosauce und kindskopfgroße Kugeln Vanilleeis plus drei Schlehenschnäpsle. „Die Folge ist Ruhe, Gerumse im Bauch und dann scheiß i mi o.“
Kulinarischer Geheimtipp zum Geburtstag seit frühester Kindheit sind die „Sauren Zipfel“ der Mutter, einen pro Lebensjahr. Übrig geblieben aus der Idiotenfamilie seien zwei bitterböse Schwestern und er, „ausgestattet mit Hübschheit und wachem Verstand“.
Mit ein Grund, weshalb die Frau an seiner Seite „wächst, blüht und gedeiht“. Die Tatsache, dass sie sein Bett reinigt, nachdem er drei oder viermal „nei gekotzt“ hat, wertet er als größten Liebesbeweis. „Aber es ist noch ein weiter Weg, bis sie eine vollständige Persönlichkeit ist.“
Kinoerlebnisse in der Jugend
Nach der Pause betritt Egersdörfer komplett im weißen Anzug samt Brustbeutel die Bühne und behandelt Themenkomplexe wie Chipskrümel im Bett, Filme mit der „drallen, rassigen Frau aus Süddeutschland (Christine Neubauer)“ oder Kinoerlebnisse in der Jugend vom „Boot“ bis zu den Schlümpfen. „Jetzt habe ich es geschafft, jetzt ist die Stimmung dahin“, hält er urplötzlich inne. Weil es ihm zu gut gehe. „Ich habe mich vollgefressen an einem Buffet mit raus gebackenen Blödheiten. Und die kotze ich Ihnen jetzt vor die Füße.“
Ordinär-vulgäre Entgleisungen
Applaus nach zweieinhalb Stunden. Und was sagt Frau zum Mann im Anschluss? Wie der Künstler „stolz auf seine leuchtende Hübschkraft“ vermutet: „Lass dir dein Haupthaar ausdünnen. Kaufe dir ein rotes Hemd. Die Wampn hast du schon.“
Einige Publikumsstimmen nach dem Kabarettabend werfen die Frage auf, wo ein Kabarettist vom Format eines Matthias Egersdörfer mit seinen ordinär-vulgären Entgleisungen hinzielt. Ein Ding der Unmöglichkeit? Mitten im Programm zieht eine ältere Dame mit ihrem zweimaligen Zwischenruf „Es reicht“ die Aufmerksamkeit auf sich und fügt hinzu „mit dem Mist, den Sie erzählen“. Matthias Egersdörfer wirft ihr „Missachtung und schlechte Erziehung“ vor und fordert sie mit den Worten „Es wird nicht besser“ zum Gehen auf. Im Foyer stellt sich heraus, dass sich die Besucherin in einem Vortrag über Kanada wähnte.
Kakophonie und Romantik, zwischen diesen beiden Grenzen bewegte sich Egersdörfer an diesem Abend. Wer zum Lachen kam, weil er Comedy erwartete, war fehl am Platz. Es war Bühnenkunst zwischen Beuys und C.D. Friedrich mit Ausflügen zu T. Rousseau und Gags von Uderzo.
Es war wie erwartet. Das Wetter passte zum Abend.
Danke für Kunst und nicht Klamauk.