
Ein Mädchen, ein Junge. Sie brünett, für ihr Alter groß gewachsen. Er hat blonde Haare, eine Locke keck aus der Stirn frisiert. Sie spielt gerne Tischtennis, liest oder fährt Inlineskates. Er liebt Fußball und Radfahren. Außer Mathe mag sie Kunst und Englisch, er lieber Sport und Religion.
Angst vor Prüfungen hat die neunjährige Lena Weigand nicht. Sie weiß, was sie kann, traut sich einiges zu. Die Tiefenthalerin ist ein selbstbewusstes Mädchen. Der gleichaltrige Sachsenheimer Timo Gehrig hingegen ist vor manchen Tests nervös – meistert sie aber trotzdem erfolgreich. Die beiden Schüler sind sehr unterschiedlich. Sie haben sich erst einmal gesehen – bei der Siegerehrung der Mathematikmeisterschaft im Landkreis Main-Spessart.
Am 13. Dezember treffen sie sich wieder. Denn dann dürfen die beiden Viertklässler zur Regierung von Unterfranken nach Würzburg fahren und dort die Schüler des Landkreises Main-Spessart in der nächsten Runde des Wettbewerbs vertreten. Sie haben in der Vorrunde die gestellten Aufgaben am besten gelöst.
Erst am Tag nach der Prüfung erfuhr Lenas Mathelehrerin Sandra Dorsch von dem Sieg – der erste eines Schülers der Grundschule Erlenbach. Sie schenkte dem Mädchen einen Glücksstein, den Lena in der nächsten Runde mitnehmen wird. Doch was ist die Mathematikmeisterschaft eigentlich? Was sich nach komplizierten Gleichungen, der Addition oder der Division von großen Zahlen anhört, sind tatsächlich zehn Knobelaufgaben. Der Wettbewerb wird für alle unterfränkischen Schüler der vierten Klassen abgehalten. Mit dem, was sie bisher im laufenden Schuljahr im Mathematikunterricht behandelt haben, hat der Wettbewerb wenig zu tun.
Gefordert wird vor allem logisches Denken. Wer sich die Problemstellung klarmachen kann und selbstständig eine Lösungsstrategie überlegt, der punktet. Und manchmal hilft auch eine kleine Portion Kreativität.
Timo gewann den Vorentscheid in der Grundschule Gössenheim – und durfte deshalb am nächsten Wettbewerb teilnehmen, in dem die beiden besten Schüler aus Main-Spessart ermittelt wurden. „Zur Vorbereitung haben wir in der Schule vorher Aufgaben gelöst“, verrät der Junge mit dem Berufswunsch Architekt. Knobelaufgaben mag er eigentlich gar nicht. Im Mathematikunterricht löst er viel lieber einfache Rechenaufgaben.
Lena hingegen knobelt gerne – egal ob zu Hause im Rätselheft oder neben 51 anderen Viertklässlern bei der Mathematikmeisterschaft. Vorbereitet hatte sie sich weder auf den Wettbewerb in der Grundschule in Erlenbach, noch auf den Landkreis-Entscheid. Ebenso unaufgeregt wie schon in der eigenen Schule ging sie auch hier an die Sache heran. „Lena kam von der Schule ganz entspannt nach Hause. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass der Wettbewerb an diesem Tag war“, erzählt Mutter Nicole.
Für das Mittagessen blieb nicht viel Zeit. Gleich danach fuhren die beiden nach Lengfurt – zum Glück nur eine kurze Strecke. Wer aus dem Norden des Landkreises Main-Spessart kam, musste schon längere Fahrzeiten einplanen.
In den Tests haben die Schüler für zehn Aufgaben insgesamt 60 Minuten Zeit. Für jede richtige Aufgabe gibt es einen Punkt. Im Schulentscheid hatte Lena neun Punkte erreicht. In der zweiten Runde wurde die Anzahl der richtig gelösten Aufgaben nicht bekannt gegeben. „Ich habe bei einer Aufgabe gar nichts hingeschrieben. Sie war mir zu schwer“, erinnert sich Lena.
Timo sagt: „Ich habe als Letzter abgegeben.“ Seine Mutter Sandra Gehrig bestätigt, dass er 50 Minuten gebraucht hatte. Die fremde Schule und die Anspannung der anderen Prüflinge machte ihm zu schaffen. Lena sagt, dass sie viele der Aufgaben schwer finde – und hat anscheinend trotzdem kaum Probleme bei den Lösungen.
Sie mag es zum Beispiel, wenn sie Zahlen in Ketten einsetzen soll, so dass sich logische Reihenfolgen ergeben: „Fünf Zahlen werden der Größe nach geordnet aufgeschrieben. Zwischen benachbarten Zahlen besteht immer eine Differenz von drei. Die Summe aller Zahlen ist 100.“ Wie lautet die Lösung?

Zu Timos Favoriten gehören Aufgaben, bei denen man Ziffern so in Kästchen einsetzen muss, dass gleiche Summen entstehen. Lena mag es, wenn räumliches Vorstellungsvermögen gefragt ist. Nach einem Drittel der Zeit hatte sie ihre Aufgabenblätter abgegeben – und war damit schneller als ihre Mutter. Denn die Eltern der beteiligten Schüler testeten ihre eigenen Fähigkeiten bei der Bearbeitung der Knobelaufgaben: Sie bearbeiteten die Aufgaben des Vorjahres. Mutter Nicoles Ehrgeiz war geweckt. „Ich wollte die Aufgaben auf jeden Fall beenden“, sagt sie.
Und sie ist genauso beeindruckt wie Timos Mutter Sandra Gehrig: Welch anspruchsvolle Aufgaben ihre Kinder lösen können. Lena empfindet die Wettbewerbe als Spiele – vielleicht ist das ihr Geheimnis: kein Druck, nur Spaß.
Dass es ihr Spaß macht, Lösungen zu finden, das zeigt Lena. Immer wieder wandert ihr Blick auf die Aufgabenstellungen von 2015, die auf dem Tisch liegen. Laut liest sie vor: „Welche zweistellige Zahl ist sechsmal so groß wie ihre Quersumme?“ Und schon ist sie in Gedanken bei der Aufgabe.
Lena löst gerne Rätsel, puzzelt oder beschäftigt sich mit dem bunten „Rubik?s Cube“. Bei diesem Zauberwürfel versucht man durch Drehen verschiedener Seitenteile Flächen mit gleichen Farben zu bilden. Doch obwohl sie auch mit dem Unterrichtsstoff in der Schule keine Probleme hat, weiß Lena laut ihrer Mutter schon genau: „Mathelehrerin will sie mal nicht werden.“
Wie sich die Meister errechnen
Die Regierung von Unterfranken führt seit 2008 die Unterfränkische Mathematikmeisterschaft für die vierten Klassen an Grundschulen in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Schulämtern und der Unterstützung der Volks- und Raiffeisenbanken durch.
Die Mathematikmeisterschaft findet in drei Runden statt. Die Grundschulen, unter anderem in Main-Spessart, ermittelten jeweils zwei Sieger, ein Junge und ein Mädchen. Die 52 Kinder maßen sich am 17. November beim Entscheid auf Schulamtsebene an der Grundschule in Lengfurt. Die besten 24 Schüler aus Unterfranken qualifizierten sich für das Finale am 13. Dezember an der Regierung von Unterfranken.
Wer wissen möchte, wie er bei der Mathematikmeisterschaft abgeschnitten hätte, kann die Aufgaben von 2015 hier rechnen. Alle weiteren Aufgaben finden sich auch im Internet: tinyurl.com/mathemeisterschaft dfi