
Wenn Bürgermeister zu Jahresschlussansprachen anheben, geht es häufig um Zahlen: Bevölkerungsentwicklung, Investitionen, Finanzlage. Es wird Rück- und Ausblick gehalten auf Geleistetes und noch zu Leistendes. Mitunter wirken solche Ansprachen wie eine Leistungsschau, wie eine Rechtfertigung gegenüber der Bevölkerung. Mario Paul hielt am Mittwochabend eine andere Rede.
Bei der letzten Sitzung des Stadtratjahres ließ er den Blick zwar auch über manch konkretes Projekt in Lohr schweifen. Vor allem aber spannte er einen größeren Bogen. In lokal wie global schwierigen Zeiten rief Paul zu stärkerem gesellschaftlichem Zusammenhalt auf, nicht zuletzt aber auch zu mehr Zuversicht.
Das Jahr hindurch tagt der Stadtrat in der eher nüchternen Atmosphäre diverser Sitzungssäle. Am Jahresende wird es dann stets feierlich. Diesmal traf man sich zur Schlusssitzung im großen Saal des Achat-Hotels Franziskushöhe. Vor dem Hintergrund, dass die Hotelkette vor wenigen Tagen ins Insolvenzverfahren gegangen ist, wertet Paul die freilich schon zuvor erfolgte Wahl des Sitzungsortes als Zeichen, dass die Stadt "stark und fest" an die Zukunft der Hotelkette und ihrer Lohrer Häuser glaube. Es sollte an diesem Abend nicht das letzte Bemühen Pauls bleiben, Optimismus zu verbreiten.
Schwierige Rahmenbedingungen
Zu Beginn räumte der Bürgermeister allerdings ein, dass es ihm selten so schwergefallen sei, passende Worte für eine Rede zu finden. Angesichts der Rahmenbedingungen könne man durchaus Zweifel daran haben, dass sich die Dinge zum Guten entwickeln. Paul erwähnte den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ebenso wie das vielerorts zu beobachtende Erstarken extremistischer Kräfte, aber auch die Folgen der in Deutschland über viele Jahre zu geringen Investitionen in Bildung, Verkehr, Verteidigung, Digitalisierung oder Dekarbonisierung. Die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft sei in Gefahr.
"Manches Mal gerät man schon ins Zweifeln und manches Mal ist es auch zum Verzweifeln", sagte Paul. Dass er dabei auch ein bisschen an die Stadtpolitik gedacht haben dürfte, ließ er nur in Zwischentönen anklingen. Etwa, als er die Anwesenden aufrief, sich zu fragen, ob die bei diversen Aussprachen des Stadtrats erfolgten Beteuerungen, sich mit mehr Respekt und Vertrauen zu begegnen, tatsächlich etwas bewirkt hätten.
Er habe die große Befürchtung, dass sich "unser Land in einer bloßen Ansammlung von Einzelinteressen verstrickt", lenkte Paul den Blick wieder auf das große Ganze und forderte dazu auf, Werte wie Aufrichtigkeit, Solidarität, Respekt, Vertrauen und Menschlichkeit zu leben. Das sei nicht zu viel verlangt für eine demokratische, freiheitliche und vielfältige Gesellschaft. "Drunter machen wir es nicht", so Paul.
Werte wie die genannten seien Nährboden für Zuversicht, der wiederum Zweifel zerstreuen und Menschen dabei helfen könne, mit optimistischem Blick die Herausforderungen der Zeit zu meistern. Grund für Zuversicht gebe es durchaus, sagte Paul. Auch hier nannte er zunächst überregionale Entwicklungen, wie etwa stetige Zuwächse bei den erneuerbaren Energien oder zuletzt bei den Mitgliederzahlen der demokratischen Parteien. Auch die jüngsten Entwicklungen in Syrien wertete Paul als Anlass zur Hoffnung für Millionen von Menschen.
Aber auch mit Blick auf Lohr könne man "in hohem Maße zuversichtlich sein", schwenkte der Bürgermeister ins Lokale. Als Beleg nannte er "Rekordsummen", die von öffentlicher und privater Hand investiert würden, beispielsweise in das neue Zentralklinikum des Kreises, die neue Gerontopsychiatrie oder auch diverse Wohnbauprojekte.
Dringende Investitionen möglich
Die Stadt selbst habe trotz großer Belastungen sowie steigender Ausgaben einen "vergleichsweise stabilen Haushalt, der dringende Investitionen ermöglicht". Mit Citymanagement und neuer Wirtschaftsförderung unterstütze die Stadt Handel und Gewerbe "so professionell und konsequent wie noch nie", sagte Paul. Den Vereinen wolle man künftig deutlich mehr Finanzmittel zur Verfügung stellen", kündigte er an. Mit Stadthalle, alter Tunrhalle und dem Jugendliteraturfestival sei Lohr "leuchtendes Zentrum der Kultur in unserer Region".
Es gebe also gute Gründe, mit Zuversicht in die Zukunft zu gehen, so Paul. Er rief die rund 60 Anwesenden aus Stadtpolitik und Verwaltung und wohl auch die gesamte Stadtgesellschaft dazu auf, sich für ein vereintes Lohr einzusetzen und nicht nur für einzelne Gruppierungen. Der Bürgermeister schuf dazu den Begriff von "Lohr united" als Garant einer lebens- und liebenswerten Stadt. Er jedenfalls könne nicht anders, als an "eine starke Gemeinschaft zu glauben, die etwas Positives bewirkt", sagte Paul.
Allen, die sich in diesem Sinne in Lohr ehrenamtlich oder beruflich engagieren, dankte er in einer längeren Aufzählung. Auch dem Stadtrat zollte Paul Dank und Respekt für die "in weiten Teilen sehr gute Zusammenarbeit". Dritte Bürgermeisterin Ruth Steger gab den Dank zurück und forderte alle dazu auf, auch im neuen Jahr gemeinsam und konstruktiv anzupacken.
Der von einem Oboentrio – bestehend aus Flavia Käfer, Charlotte Steck und Sophia Wilpert – musikalisch stimmungsvoll umrahmte Abend klang bei Entenbrust und Zanderfilet in gelöster Stimmung aus.