Der Rentner aus dem Raum Karlstadt hatte Anfang September 2021 mehrfach laut "Drecks-Nazis" ausgerufen hatte. Die Besonderheit bestand darin, dass das nicht in einem Gespräch innerhalb der Behörde geschah. Vielmehr stand er auf dem Karlstadter Marktplatz und artikulierte sich derart laut, dass im Gebäude nicht nur eine Verwaltungsangestelle im Erdgeschoss die üblen Worte durch ihr geöffnetes Bürofenster hörte, sondern auch der Personalleiter ein Stockwerk darüber.
Das sei nicht das erste Mal gewesen, gab die Frau als Zeugin an. "Er geht am Fenster vorbei und ruft das immer bei mir." Er habe das auch schon zugegeben und zuvor sei einmal die Polizei geholt worden, die ihm einen Platzverweise erteilt habe. Danach sei Ruhe gewesen, bis zu dem Tag im September. Anfangs habe er immer gesagt, er würde telefonieren und habe das Handy auch in der Hand gehabt, es aber nicht bedient, sondern einfach eingesteckt. Arbeitstechnisch habe sie rein gar nichts mit ihm zu tun. In ihr Büro könne er wegen geschlossener Lamellenvorhänge nicht schauen, wohl aber in das Nachbarbüro, zu dem immer die Türe offen stehen. Sie berichtete auch, er sitze manchmal am Marktplatz und stiere in die Büros hinein.
Ursprünglich hätte er 2100 Euro zahlen sollen
"Ich kenne die Frau nicht, wer ist das überhaupt?", fragte der 48-Jährige, nachdem die Vertreterin der Staatsanwaltschaft die Anschuldigung aus dem auf 30 Tagessätze zu 70 Euro angesetzten Strafbefehl verlesen hatte. Der Angeklagte hatte diesem widersprochen. Er gab an, damals vom Marktplatz aus mit seinem Cousin telefoniert zu haben. Im Landratsamt sei er nicht gewesen, wegen der Corona-Auflagen sei man damals ja auch nicht einfach hinein gekommen. Er habe auch nicht mit Leuten gesprochen, die hinein wollten oder heraus kamen.
Gut zu sprechen ist er auf das Landratsamt allerdings nicht, nachdem er dort erfolglos Hilfe suchte. Er hat Angst, dass Sprengungen in einem Steinbruch sein Haus beschädigen. Mitarbeiter des Amtes hätten sich das bei ihm zu Hause sogar schon angeschaut, aber seien zum Ergebnis gekommen, dass die Firma nichts falsch macht.
Staatsanwältin forderte weiterhin Bestrafung
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft sah den angeklagten Sachverhalt in ihrem Plädoyer vollumfänglich bestätigt und erinnerte daran, dass der Strafrahmen für Beleidigung von Geldstrafe bis zwei Jahre Gefängnis reicht. Sie beantragte wie schon im Strafbefehl eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen, mit Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit reduzierter Tagessatzhöhe von 40 Euro.
"Für Beleidigung braucht es eine Kundgabe gegenüber einem Ehrträger", erklärte Richterin Maryam Neumann den Freispruch. Auch wenn die Beweisaufnahme den Sachverhalt bestätigte, sei das hier nicht der Fall gewesen. Der Rentner habe sein allgemeine Wut und Missachtung gegenüber dem Landratsamt ausgedrückt. Das sei als Behörde mit verschiedensten Abteilungen so vielfältig, dass es als Ganzes keinen einheitlichen Willen bilden könne. Letzteres sei aber eine zwingende Voraussetzung, um überhaupt beleidigungsfähig zu sein.
Weiter sei unklar, gegen wen die Bezeichnung "Nazis" gerichtet war. Weder gab es einen Dialog, noch konnte der Angeschuldigte wissen, dass jemand im Büro ist oder gar wer. Dennoch gab sie dem Rentner den dringenden Hinweis, allgemeine Beleidigungen gegenüber dem Landratsamt künftig zu unterlassen.