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Lohr
"Man bekommt viel zurück": Warum der Helferkreis trotz vieler Hürden nicht aufgibt
Der Helferkreis Migration Lohr und
Umland hat den Nikolaus (Joachim Salzmann) in die Gemeinschaftsunterkünfte Lohr und Marktheidenfeld geschickt. Teils wurde er von Emilia Jobst als Engel, Birgit Bernhart vom Helferkreis und Lisa Herrmann-Fertig, Referentin für Familien, Kinder und junge Menschen der Stadt Lohr, begleitet. Geschenke hatten
Ehrenamtliche eingepackt.
Finanziert und unterstützt haben die Aktion die Regierung von Unterfranken, Spender und die Caritas. 
Foto: Monika Büdel | Der Helferkreis Migration Lohr und
Umland hat den Nikolaus (Joachim Salzmann) in die Gemeinschaftsunterkünfte Lohr und Marktheidenfeld geschickt.
Monika Büdel
 |  aktualisiert: 13.12.2024 02:36 Uhr

Geflüchtete haben meistens viele Probleme, wenn sie neu in Deutschland sind. Einer, der weiß, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben, ist Joachim Salzmann, organisatorischer Leiter des Helferkreises Migration Lohr und Umland. Einen Arzttermin zu bekommen zum Beispiel, rechtliche Fragen zu ihrem Aufenthaltsstatus und Asylverfahren, Formulare ausfüllen – wer ist wofür zuständig?

Das alles in einem Land mit einer anderen Sprache, für viele mit einer anderen Schrift, einer anderen Kultur und Struktur sei eine enorme Herausforderung. Deshalb ist Salzmann eines ganz wichtig: "Verständnis auf beiden Seiten fördern."

Einen Beitrag zu diesem Verständnis und in allen praktischen Dingen zu leisten, hat sich der Helferkreis zur Aufgabe gemacht. Das wird im Gespräch der Redaktion mit Joachim Salzmann immer wieder deutlich. Der Helferkreis ist eine Gruppe Ehrenamtlicher, strukturiert nach Aufgabenbereichen, aber ohne Vereinsstatus und -statuten. Aus rechtlichen und versicherungstechnischen Gründen agiere er unter dem Dach der Caritas.

Von Medizin bis Sprache

Die ersten Ansätze reichten bis zum Spätsommer 2015 zurück, erinnert sich Salzmann. Form angenommen habe der Helferkreis im März 2016. Als Arbeitsbereiche nennt er Dolmetscher, Schule, medizinische Versorgung, Kindergarten/Vorschule und Deutschkurse. Dazu kommt der Info-Point zur Unterstützung bei Behördenbriefen, Bewerbungen und ähnlichen Formalitäten.

Der Beratungsbedarf ist groß. An den zwei Terminen pro Woche bilden sich manchmal Warteschlangen vor dem städtischen Gebäude in der Rathausgasse. Der Bedarf sei gestiegen, egal ob im Info-Point oder bei den Sprachangeboten, sagt Salzmann.

Birgit Bernhart, Alex Büdel, Rudolf Englert, Sunita Lama und Karin Offermann übernehmen Beratungsdienste meist als Zweier-Team im Wechsel. An einem Montagnachmittag im November sind es Bernhart und Englert, die die beiden Büros besetzen. Es ist kalt drinnen und erst recht draußen. In den zwei Stunden kümmern sie sich um die Ratsuchenden. Mal sind es acht, mal zwölf und auch mal 20 oder 25, ist die Erfahrung von Offermann. Sie kommen mit Bescheiden, Briefen, Formularen, Kündigungen oder beklagen, dass die Bezahlkarte nicht funktioniert.

Orientierung im Behördendschungel

Bernhart erklärt während der Beratung, dass manchmal Anträge zweimal gestellt werden müssen, wenn bestimmte Regeln im Ablauf nicht eingehalten werden. Ein anderes Mal bekommt ein Migrant kein Geld, weil er sich nach einer Kündigung nicht rechtzeitig an der richtigen Stelle gemeldet hat. Der Info-Point leistet keine Rechtsberatung, hilft aber beim Verständnis, unterstützt, fragt nach und gibt Orientierung im Behördendschungel.

Birgit Bernhart freut sich, wenn Ratsuchende ihre Unterlagen geordnet dabeihaben.
Foto: Monika Büdel | Birgit Bernhart freut sich, wenn Ratsuchende ihre Unterlagen geordnet dabeihaben.

Wenn Bernhart mit ihrer Erfahrung nicht weiterkommt oder Fragen mit dem Landratsamt zu klären sind, ruft sie die Sachbearbeiterin an. "Die Zusammenarbeit ist sehr gut", sagt die Ehrenamtliche. Auch an diesem Tag: Die Mitarbeiterin der Kreisbehörde löst die Probleme mit der Bezahlkarte direkt vom Computer aus. Bernhart steht per Whatsapp mit ihren Klienten in Kontakt. Über diesen Kanal informiert sie sie, wenn es etwas Neues gibt. In der Beratung scannt oder kopiert sie Unterlagen, um sie anschießend weiterzuleiten oder zu bearbeiten. So kommen etliche Stunden zu den eigentlichen Beratungszeiten im Info-Point dazu. Viel nimmt sie mit nach Hause, um es dort zu bearbeiten.

Man kann selten eine Sache zu Ende bringen

Rudolf Englert sitzt im Büro auf der anderen Seite des Ganges. "Es tauchen immer wieder neue Regeln auf", stöhnt er. Alles seien Einzelfälle, wenig übertragbar. Er habe nie das Gefühl, eine Sache zum Abschluss bringen zu können. Ein anderes Mal hat sich bei der Technik im Büro etwas geändert, was zusätzlich Zeit und ihn Nerven koste. Er hilft auch mal praktisch: beim Umzug zum Beispiel. "Man bekommt viel zurück. Es entstehen persönliche Beziehungen", sagt Englert und erzählt von Begegnungen. Er bewundere die Menschen, die hierher kommen und versuchen, ihr Schicksal zu meistern. Die Menschen aus Afghanistan, die er kennengelernt habe, seien fleißig und sprachbegabt. "Integration ist ein hartes Stück Arbeit", lautet seine Erfahrung. Manche wollten aber auch, dass hier alles so bleibt, wie sie es aus ihrer Heimat kennen. Dort spiele zum Beispiel soziale Kontrolle oft eine viel größere Rolle, als wir es gewohnt sind.

Englert hat auch Zuwanderer kennengelernt, die keine Integrationsabsicht hätten. Davon geht er jedenfalls aus, wenn jemand achtmal schwarz fährt. "Aber die meisten wollen hierbleiben, Deutsch lernen und sich etwas aufbauen." Er hofft, dass der Arbeitskreis Migration weitere Helferinnen und Helfer findet, die diese Menschen unterstützen. Je mehr es sind und sich die Arbeit auf ein größeres Team verteilt, umso leichter werde es für die Einzelnen. Das würde es auch ihm leichter machen, sich zurückzuziehen. So sinnstiftend die Arbeit auch sei, empfiehlt er neuen Unterstützern, Frustrationstoleranz mitzubringen – nicht wegen der Menschen als vielmehr den verwaltungstechnischen Herausforderungen.

Birgit Bernhart engagiert sich seit acht Jahren im Helferkreis. Sie setzt auf Fördern und Fordern. Als eine Ratsuchende das Gespräch mit der Übersetzungshilfe ihres Mobiltelefons führen will, ist sie nicht einverstanden. Der Grund: Die Frau habe schon gut Deutsch gesprochen. "Sprache ist das A und O", sagt sie immer wieder.

Genervt von den vielen Hürden

Karin Offermann ist genervt von den vielen Hürden – beispielsweise bei der Bezahlkarte oder der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen oder der beim Start des Info-Points zunächst mangelnden Wertschätzung mancher Behörde – die es den Flüchtlingen und den ehrenamtlich Helfenden schwer machen, vorwärtszukommen. Dennoch ist Aufhören zurzeit für sie keine Wahl.

Da seien die vielen netten Begegnungen. "Viele Menschen, denen wir helfen, wollen etwas zurückgeben", sagt sie. Mal repariere jemand etwas an der Technik oder unterstütze beim Dolmetschen. Außerdem sieht sie es als gesellschaftliche Aufgabe, die Flüchtlinge nach vorne zu bringen, denn umso hilfreicher seien sie für die Gesellschaft hier. "Es bringt nichts, wenn wir ihnen Steine in den Weg legen." Haltung zeigen gegen die momentane populistische Flüchtlingspolitik, heißt ihre Linie.

Sie wünscht sich, dass sie wieder mehr werden im Helferkreis. Einige Jüngere seien ausgeschieden oder hätten ihr Engagement reduziert, weil sie von Teilzeit- auf Vollzeitstellen gewechselt hätten. Der Vorteil der Jungen sei, dass sie sich beim Arbeiten und Organisieren mit dem Computer leichter täten. Wenn sie die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen könnten, wäre die Belastung für die Einzelnen geringer, sind sich die Ehrenamtlichen einig.

Wer gelegentlich oder regelmäßig mitmachen möchte, von der IT-Fachkraft über Sprachfreaks bis hin zu Formular-Fans, meldet sich bei Joachim Salzmann, Tel.: (09352) 89200.

Im Überblick: Infostellen und Helferkreise

Die hier genannten Initiativen und Ehrenamtlichen stehen beispielhaft für all die Initiativen, die es in Städten und Gemeinden, Pfarreien und Vereinen gibt. Dort sind auch Informationen erhältlich, ob und wie man helfen kann.
Hier eine Auswahl von Anlauf- und Informationsstellen:
Die Koordinierungsstelle "Netzwerkarbeit Integration – hauptamtliche Integrationslotsinnen" bietet ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern des Landkreises Unterstützung im Bereich der Flüchtlingshilfe und der Integration, heißt es auf www.main-spessart.de. Ansprechpartnerinnen sind Laura Senger, Tel.: (09353) 7931022 und Olga Hart, Tel.: (09353) 793114.
Der Helferkreis Migration Lohr und Umland ist kein Verein, aber unter dem Dach der Caritas und arbeitet mit der Arbeiterwohlfahrt zusammen (Hausaufgabenhilfe, Jugendzentrum). Es gibt Deutsch-Kurse (Info unter Tel.: (0157) 72045647), das Deutsch-Sprachcafé und Sprach-Spaziergänge (Tel.: (0160) 91049318) und "Mütter lernen Deutsch" mit Kinderbetreuung (Anmeldung und Information, Tel.: (0160) 2105715) sowie den Info-Point, Lohr, Rathausgasse 18, Tel.: (0160) 99847405.
In Karlstadt wird der Helferkreis von Sakine Azodanlou und Günther Rösch geleitet. Zusätzlich gibt es für einzelne Arbeitskreise feste Ansprechpartner. Angeboten werden Deutschunterricht, Freizeitaktivitäten das Café International, Öffentlichkeitsarbeit, Familienbetreuung.
Auch wer wenig Zeit habe, könne sich dort engagieren, heißt es unter www.karlstadt-helferkreis.de. So würden immer Ehrenamtliche zum Beispiel für Fahrdienste oder Unterstützung bei Behördengängen benötigt. Auch Menschen mit Fremdsprachenkenntnissen seien gefragt. "Jede Art von Unterstützung ist willkommen", schreibt der Helferkreis. Tel.: (09353) 7902-1124.
Quelle:
 
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