Im Dezember wollte eine 92-jährige Karlstadterin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt einen Termin für einen Hörtest bekommen. Ende Juni hätte sie in die Praxis kommen können. Ihr Sohn konnte es nicht glauben: "Wenn es zwei oder drei Wochen dauert, ist nichts einzuwenden, aber ein halbes Jahr..." Lediglich das Ohrenschmalz sei im Dezember entfernt worden. Da er in Schweinfurt wohnt, habe er sich wegen des Hörtests dort an eine HNO-Praxis gewandt. Und siehe da: "Ich hätte mit meiner Mutter sogar am selben Tag kommen können." Es wurde dann ein Termin in der Folgewoche vereinbart.
Der betreffende Karlstadter Arzt Heinz E. Hauck erklärt: "Im Landkreis Main-Spessart mit seinen 125 000 Einwohnern sind wir lediglich zwei HNO-Ärzte, aber es gibt 4,5 Kassensitze." Er und der Lohrer Dr. Friedrich Hochapfel haben also doppelt zu tun.
Unterschied zwischen akut und chronisch
Hauck: "Jeder Hörtest braucht auch seine Zeit und Personal. Und es müssen in der Testkabine Zeiten freigehalten werden." Tinnitus, Hörsturz, Schwindel oder ein akuter Infekt, bei denen sofort ein Hörtest nötig ist, müssten in der normalen Sprechstunde ebenfalls behandelt werden können. Eine Hörgeräteversorgung hingegen sei nichts Akutes, sondern etwas Chronisches und daher auf einen Zeitpunkt zu legen, der dafür frei ist. So kommt es zu langen Wartefristen.
Wie Hauck berichtet, hat er eine 50-Stunden-Woche, ist jetzt 65 und sucht schon seit einem Jahr einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Tendenziell würden die Jungen lieber in der Klinik bleiben. "Als Oberarzt ist der Verdienst dort gleich. Aber sie haben nicht so viel Organisatorisches zu erledigen wie in einer eigenen Praxis."
Patienten kommen auch aus Hessen
Der Lohrer Dr. Friedrich Hochapfel bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel: "Die Patienten kommen gefühlt aus einem Gebiet von Fulda bis Mergentheim." Die Situation im benachbarten Hessen sei schlecht. Vor zehn bis zwölf Jahren sei die Lage in Main-Spessart wesentlich entspannter gewesen. Zwar waren es auch damals schon nur zwei HNO-Ärzte, aber man bekam in zwei bis drei Wochen einen Termin.
Letztlich würden auch immer mehr Menschen mit einem Behandlungsbedürfnis kommen, für die der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist eigentlich gar nicht zuständig wäre. "Die brauchen zum Teil psychotherapeutische oder internistische Behandlung." Hochapfel ist nebenbei auch als Notarzt tätig. Heuer wird er 59. Noch mindestens vier und höchstens sieben Jahre werde er seine Praxis in Lohr führen.
Wie die KVB Ärzte und Ärztinnen anlocken will
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) kennt die Versorgungslücke und wirbt für die Niederlassung in Main-Spessart. Bis zu 60 000 Euro Zuschuss bietet sie dafür. Wer eine Zweigpraxis hier eröffnet, erhält bis zu 15 000 Euro Zuschuss. Und wer einen HNO-Arzt anstellt, bekommt bis zu 4000 Euro pro Quartal.
Unter anderem preist die KVB den Landkreis mit folgendem Text: "Rad- und Wanderbegeisterte erwarten rund 1000 Kilometer ausgeschilderte Radrouten sowie ein ausgedehntes und hochwertiges Wanderwegenetz, Nordic-Walker-Parcours in Nähe der Urlaubsorte. Die Freunde des kleinen weißen Golfballs können sich in Marktheidenfeld über einen gepflegten 18-Loch-Platz freuen und Tennisplätze und Bademöglichkeiten finden Sie im gesamten Landkreis. Bei Schnee garantieren Loipen in Frammersbach, um die Bayerische Schanz bei Ruppertshütten oder die Frankenlandloipe bei Waldzell den sportlichen Winterspaß. Für Kulturliebhaber lassen viele Burgen, Museen und Sammlungen die Vergangenheit lebendig werden."
Die Kommunen könnten mitwirken
Neben solchen weichen Faktoren teilt Axel Heise als Sprecher der KVB mit, die Arztsuche sei als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. "Kommunen und Landkreise sind hier wichtige Akteure, können beispielsweise Kontakt mit umliegenden Vertragsärzten aufnehmen und gegebenenfalls eine Filialgründung besprechen. Die Lokalpolitik kann aktiv attraktive Praxisräume anbieten (häufig passiert dies sogar schon) und damit unterstützen, niedergelassene Ärzte anzusiedeln. Auch Arbeitsmöglichkeiten für den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin sowie gute Betreuungsmöglichkeiten für etwaig vorhandene Kinder können für einen Arzt oder eine Ärztin gute Argumente sein, sich im Landkreis Main-Spessart niederzulassen."
Wie Heise ausführt, arbeitet die "neue" Generation von Medizinern heute vermehrt angestellt und auch in Teilzeit. Für das Arbeitsvolumen, das früher ein Arzt geleistet hat, brauche es künftig gegebenenfalls zwei Ärzte in Teilzeit. "Praxen brauchen als wichtigste Voraussetzung vom Gesetzgeber Planungssicherheit und verlässliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen, was den Betrieb ihrer Praxen angeht. Prinzipiell ist eine Erhöhung der Studienplätze für Humanmedizin in ganz Deutschland unbedingt notwendig, wenn man auch weiterhin eine hochwertige medizinische Versorgung gewährleisten möchte."