Der Bezirk Unterfranken hat am Mittwoch auf dem Gelände des psychiatrischen Bezirkskrankenhauses (BKH) Lohr ein neues Mahnmal für die Euthanasieopfer während der NS-Diktatur eingeweiht. Das Werk »Turm der Erinnerung« der Bildhauerin Heike Metz auf dem Vorplatz des Festsaals soll an rund 600 Patienten erinnern, die von den Nationalsozialisten ab 1940 aus Lohr verlegt und ermordet wurden.
Es ist bereits das zweite Mahnmal für die Lohrer Euthanasieopfer. Das erste, das Bronzerelief »Finaler Adam« von Rainer Stoltz, verlief 23 Jahre lang quer im Boden eines der Hauptwege am Verwaltungsgebäude. Der Künstler ließ es im Sommer 2016 abbauen, weil es durch den Verkehr beschädigt worden war.
»Wer sich vor seinen Erinnerungen fürchtet, ist feige«, zitierte Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel den Schriftsteller Elias Canetti. Es gebe in der deutschen Geschichte viel Furchterregendes, wozu auch die Euthanasie-Aktion während der NS-Zeit gehöre. Das sei eine »Erinnerung, der wir uns stellen müssen«.
Das Mahnmal stellt nach Dotzels Worten eine »besondere Facette der Erinnerungskultur« dar. Der »Turm der Erinnerung« stehe zentral in einem von Bäumen und Hecken bewachsenen Park und direkt vor dem Festsaal. Damit stelle das Mahnmal einen Bezug zur umgebenden Architektur her, »lädt aber zugleich zu einem kontemplativen Verweilen ein«.
Die Geschichte der Ermordung seelisch, geistig und körperlich kranker Menschen, des sogenannten »lebensunwerten Lebens«, im NS-Staat rekapitulierte der Mediziner, Psychiater und Autor Michael von Cranach. Nach seinen Angaben wurden zwischen September 1939 und August 1941 rund 70000 Menschen bei der »Aktion T4« ermordet, benannt nach der Tiergartenstraße 4 in Berlin, von wo aus die Vernichtungsaktion koordiniert wurde.
Dann folgte wegen der Unruhe in der Bevölkerung und des Widerstands der Kirchen ein Stopp. Anschließend wurden laut Cranach die Opfer nicht mehr in Tötungsanstalten abtransportiert und mit Kohlenmonoxid vergast, sondern das Töten sei in den Kliniken auf andere Art weitergegangen – unter anderem durch Todesspritzen, Vernachlässigung und Verhungern. Die Gesamtzahl der Opfer bezifferte Cranach auf mindestens 270000.
»Wie konnte es passieren, dass gebildete Menschen, die Elite der deutschen Ärzteschaft, die christlich erzogen wurden, so etwas taten?«, fragte der Autor. Wenn man genau hinschaue, erkenne man, dass es kein rein nationalsozialistisches Programm gewesen sei, »es war ein psychiatrisches Programm«. Die Nationalsozialisten hätten nur die »Türen geöffnet für etwas, was schon seit Jahrzehnten in den Köpfen war«.
Menschenwürde und Psychiatrie, zwei Errungenschaften der französischen Revolution, seien während der Umwälzungen durch die industrielle Revolution von sozialdarwinistischen Vorstellungen zurückgedrängt worden, die den Menschen unterschiedliche Werte zuwiesen. In den groß gewordenen Psychiatrien sei der therapeutische Elan erlahmt, so Cranach.
Deshalb seien hochgebildete Menschen »radikal und mitleidslos mit ihren Patienten umgegangen«. Was sich daraus lernen lasse, formulierte Cranach so: »Wir sind alle anders. Wir müssen Behinderung als Teil der Vielfalt des Menschen sehen.« Dafür bekam er lauten Beifall.
Der Turm wachse wie ein Baum organisch nach oben, sagte Bildhauerin Heike Metz bei der Vorstellung ihres Werks. Die starke Oberflächenstruktur sage aus, dass Erinnerung etwas Lebendiges sei. Die Treppen führten ins Leere und symbolisierten dadurch, dass ein Ausstieg aus der Erinnerung ins Nichts führe.
Basis des Menschenbilds
Bei der Segnung des Werks erklärte der evangelische Dekan Till Roth, der Glauben, dass Gott jeden Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen habe, sei die Basis des christlich-jüdischen Menschenbildes. Der katholische Lohrer Pfarrer Sven Johannsen zitierte aus einer Predigt von Kardinal Clemens August von Galen gegen die Euthanasie: Wenn man »Unproduktive« töten dürfe, müssten sich alle Menschen vorsehen, denn sie würden alle alt und krank. Krankenhausdirektor Bernd Ruß geht davon aus, dass viele Patienten und Besucher das Mahnmal am ausgewählten Standort sehen werden.